Gemeinsam unterschiedlich. Kelly McDonald
Читать онлайн книгу.über Rassismus und Diversity reden können.
Ich bin weiß. Als ich anfing, dieses Buch zu schreiben, hatte ich vornehmlich weiße Leser*innen vor Augen, weil weiße Geschäftsleute zu einer weißen Sichtweise auf die Dinge neigen. Wir wissen nicht, wie es sich anfühlt, »der oder die Einzige« in einem Raum zu sein: die einzige schwarze Person, die einzige asiatische Person, die einzige hispanische Person, die einzige Person aus dem Nahen Osten, zum Beispiel. Wir wissen nicht, wie es ist, sich Sorgen zu machen, ob wir bei einer Beförderung wohl berücksichtigt werden, und wenn wir sie dann erreicht haben, sich Sorgen zu machen, ob wir nur die Alibiperson für Diversity waren, damit unser Unternehmen »dieses Thema von der Liste streichen« kann. Wir wissen nicht, wie es ist, wenn uns bei der Arbeit jemand sagt, wir sollten lieber unter einem anderen Namen auftreten, damit wir besser dazugehören. (Ja, so etwas gibt es. Mein Freund Leroy ist ein großgewachsener Afroamerikaner. Er verkauft noble Luxusautos und kann dabei eine starke Verkaufsbilanz vorweisen. Sein Mitarbeiter schlug ihm vor, er würde »mehr erreichen und weniger bedrohlich wirken«, wenn er seinen Namen bei der Arbeit in Doug änderte.)
Weiße Personen in Führungspositionen sind sich solcher Dinge womöglich gar nicht bewusst. Das muss keine Absicht sein. Es ist einfach nur die Linse, durch die wir die Welt betrachten. Wir können andere Ansichten nicht in Betracht ziehen, wenn wir keine anderen Ansichten hören. Und wir hören keine anderen Ansichten, wenn wir uns nur mit Leuten umgeben, die genauso sind wie wir.
Meine Ansichten zu Diversity, Chancengerechtigkeit (Gleichberechtigung) und Inklusion entspringen über zwei Jahrzehnten Arbeit zu diesem Thema. Ich bin professionelle Rednerin und habe drei Bestseller zum Thema Diversity geschrieben, alle von einem geschäftlichen Standpunkt aus. Ich arbeite mit allen Arten von Unternehmen und allen Arten von Menschen zusammen: Fortune-500-Unternehmen und kleinen Geschäftsinhaber*innen, Stars in puncto Diversity und Skeptiker*innen in puncto Diversity. Die Reaktion auf meine Bücher und Präsentationen fällt immer positiv aus, ganz besonders unter Weißen, weil Weiße einfach nicht wissen, wie sie über Rassismus und Diversity reden sollen. Und wenn wir nicht wissen, was wir tun sollen, dann tun wir gar nichts, und das ist wiederum nicht gut fürs geschäftliche Wachstum und für den Erfolg. Ein weiterer Grund, warum die Reaktion auf meine Ansichten zum Thema Diversity immer positiv ausfällt, ist, dass ich nicht versuche zu ändern, wie die Leute in puncto Diversity empfinden. Die Menschen haben sehr komplexe Emotionen zu diesem Thema, die von Furcht über Schuldgefühl und Verbitterung bis hin zu Hilflosigkeit und darüber hinaus reichen. Ich gehe von einer grundlegenden Wahrheit aus, der alle zustimmen: In der Wirtschaft geht es nicht darum, mit der Welt so umzugehen, wie wir sie gerne hätten. Sondern es geht darum, mit der Welt so umzugehen, wie sie nun mal ist. So formuliert, ist das Thema Diversity für die meisten Menschen leichter zu akzeptieren. Ich versuche nicht, Herz und Geist zu verändern. Ich versuche, Geschäftspraktiken zu verändern.
Aber um einen Irrtum auszuschließen: Ich glaube durchaus, dass diversere Arbeitsplätze nur Gutes bewirken, und im 4. Kapitel erläutere ich das auch genau. Und ich glaube auch, dass wir als Gesellschaft und als Einzelne davon profitieren, wenn wir Fortschritte in puncto Diversity, Chancengerechtigkeit und Inklusion erzielen. Aber der Fokus dieses Buchs liegt auf den Fertigkeiten, die Sie brauchen, um über ein Schlüsselthema zu sprechen, das Ihr Geschäft betrifft.
Auch Ihr eigener Fokus ist auf dieses Thema gerichtet. Sie sind gerade im ersten Kapitel eines Buchs, das Ihnen zeigt, wie Sie hier helfen können – tatsächlich, wirklich, messbar und bedeutsam helfen können. Sie sind Geschäftsmann oder Geschäftsfrau. Helfen können Sie über Ihr Unternehmen, Ihr Team und Ihre Kundschaft. Sie können dabei helfen, faire, gerechte und inklusive Arbeitsplätze für alle zu schaffen, und dadurch können Sie buchstäblich dabei helfen, die Welt zu verändern.
Sie könnten im jetzigen Augenblick auch alle möglichen anderen Dinge tun, die Spaß machen: mit Ihren Kindern spielen, mit Freunden reden, ein Essen zubereiten, Ihre Lieblings-Show im Fernsehen schauen, Sport treiben, den nächsten Urlaub planen, Eis essen! Aber das tun Sie alles nicht. Sondern Sie lesen ein Buch darüber, wie man am Arbeitsplatz über Rassismus und Diversity reden kann, und Sie hoffen, dass Sie dadurch ein paar Erkenntnisse und Tipps erhalten können, wie Sie Ihren Arbeitsplatz oder Ihre Teams besser machen können. Besser für alle. Sie investieren Ihre Zeit im jetzigen Augenblick darin, zu lernen, wie sich ein Thema ansprechen und anpacken lässt, das wichtig und unbequem ist.
Wie ist es zur derzeitigen Situation gekommen?
Eine Zeitlang wiegten wir uns in den USA in der Annahme, wir hätten als Gesellschaft gewisse Fortschritte gemacht! Schließlich hatten wir acht Jahre lang einen schwarzen Präsidenten, wie schlimm konnte es mit dem Rassismus also noch sein?
Am 25. Mai 2020 fanden wir dann heraus, wie schlimm es tatsächlich noch sein konnte. An diesem Tag starb George Floyd auf einer Straße in Minneapolis, während vier Polizeibeamte auf ihm saßen und ihn zu Boden drückten und einer auf seiner Halsschlagader kniete. George Floyds Sterben dauerte acht Minuten und 46 Sekunden. Später erfuhren wir, dass es tatsächlich noch länger gewesen war: neun Minuten und 29 Sekunden. Und wir haben dabei zugesehen.
Und plötzlich war das Problem Rassismus nicht mehr nur rein abstrakt. Der schreckliche, furchtbare, grausige, den Magen umdrehende Tod George Floyds ließ uns – und insbesondere uns Weiße – erkennen, dass allen vermuteten Fortschritten zum Trotz die Welt nicht für alle gleich ist. Viele von uns reagierten auf die einzige uns vertraute Art und Weise: Wir sagten »Das Maß ist voll« oder »Es MUSS sich etwas ändern«.
Es war ein historischer Moment. Millionen Menschen gingen auf die Straße, um für Gleichbehandlung zu demonstrieren. Tausende Unternehmen schauten sich die Organisation ihrer eigenen Betriebe genauer an und fragten sich: »Was können wir besser machen?« Und das passierte nicht nur in den USA. Millionen Menschen in allen Teilen der Welt demonstrierten wochenlang und forderten Gerechtigkeit und Veränderungen. Es passierte in Großstädten. Und es passierte in kleinen Städten auf dem Lande mit einer nahezu ausschließlich weißen Bevölkerung. Alt und Jung, von jeder Nationalität, von jeder Volksgruppe, überall, sagten: »Wir müssen etwas tun. Jetzt.« Aber was? Was sollte das sein?
Dieses Buch ist der Ausgangspunkt zu einem inklusiveren Arbeitsplatz
Es ist völlig in Ordnung, wenn Sie unsicher sind, was Sie tun sollen. Sie würden liebend gern alles anders machen, aber in manchen Unternehmen erfolgt die Betonung der Themen Diversity, Chancengerechtigkeit und Inklusion doch recht ungeschickt. Das Ganze fühlt sich oft eher nach einem »Marschbefehl« an als nach der Beteiligung an einer positiven Veränderung. Womöglich sind Sie gegenüber den Bemühungen um Diversity skeptisch oder misstrauisch und fühlen sich auf unsicherem Terrain, weil Sie jeden Moment etwas Falsches sagen könnten und dann jemand schreit: »Ha, erwischt!« Wenn Sie weiß sind, könnten Sie das Gefühl haben, ungefähr alles, was Sie tun, könnte »falsch« sein, fehlinterpretiert oder missverstanden werden, nach hinten losgehen oder Ihnen um die Ohren fliegen. Vielleicht sind Sie nervös und in Konflikten, weil Sie aufrichtig helfen und alles anders machen wollen, aber nicht wissen, wie Sie dabei vorgehen sollen. Und Sie fühlen sich dabei unwohl.
Ob Sie nun weiß, schwarz, indigen oder Person of Color sind, männlich oder weiblich, nichtbinär oder trans, gay oder hetero, alt oder jung, links- oder rechtsgerichtet, Führungskraft oder Unternehmenschef*in oder Mitarbeiter*in, dieses Buch kann hilfreich für Sie sein. Sie werden hier lernen, was Sie tun – und nicht tun – sollten, wenn Sie konstruktive Gespräche über Rassismus führen wollen, und zwar nicht von einem aktivistischen Standpunkt, sondern von einem geschäftlichen Standpunkt aus. Im 10. Kapitel werden Sie als Rahmen dafür die Methode STARTING kennenlernen, die Ihnen Schritt für Schritt, in acht Etappen, zeigt, wie Sie ein diverseres und inklusiveres Unternehmen, Ressort oder Team werden können.
Aber zu Beginn dieser Reise wollen wir erst einmal schauen, wer Sie als Leser*in sind und was dieses Buch ist – und nicht ist.