Fürstinnen. Eduard von Keyserling
Читать онлайн книгу.er konnte sich fest schließen und sah dann seltsam ernst aus, aber wenn er sich öffnete und lachte, dann lachte das ganze Gesicht mit, ein rücksichtsloses und unendlich leichtsinniges Lachen.
Plötzlich schlug Felix auf Maries Hand: »Pardon«, sagte er, »eine Mücke.«
»Sie können aber stark schlagen«, bemerkte Marie.
»Ist es rot?« fragte Felix und griff nach Maries Hand und hielt sie einen Augenblick in seiner heißen Knabenhand. »Ich sehe nichts«, sagte er und ließ sie fallen. Und dann mußten die beiden Kinder sich anlachen, sie wußten nicht warum.
»Jetzt ist es wohl Zeit, daß ich gehe«, sagte Felix, und da Marie nichts einwandte, schlüpfte er gewandt wie ein Wiesel unter den Sträuchern hindurch bis an das Gartengitter. Marie aber saß noch lange unter dem Johannisbeerstrauch, pflückte sich nachdenklich Johannisbeeren und träumte dem seltsamen Fühlen dieser bedeutsamen Stunde nach.
Für Marie hatten die Tage jetzt nur eine Stunde, eine heiße, goldene Stunde. Mit der Verschwendung solch junger Herzen strich sie alle anderen Erlebnisse um dieses einen Erlebnisses willen. So war es denn auch gleich, ob sie dem Geschichtsvortrag des Professors Wirth zuhören oder am Nachmittage mit Fräulein von Dachsberg allein spazierenfahren mußte. Das, worauf es ankam, war, daß um die Mittagszeit die lange Knabengestalt unter dem Johannisbeerstrauch lag, heiß vom Gehen, das Haar feucht, in den Kleidern noch etwas von dem Hauche des Wassers und des Schilfes, um sie her der säuerliche Duft der Johannisbeeren und das Brodeln des Mittags. Die Unterhaltung ging auch besser vonstatten.
»Ist es wahr?« fragte Marie, »daß Sie wild sind?«
»Wer sagt das?« fragte Felix scharf zurück.
»Der Graf Streith sagte das«, erwiderte Marie, »er sagt, es fehlt Ihnen an Subordination.«
Felix lachte befriedigt: »Na ja«, meinte er, »immer kann man sich von den Kerls nicht unterdrücken lassen.« Und nun kamen die Geschichten von dem heimlichen Rauchen und Trinken und Aus-den-Fenstern-steigen, immer wieder von leisem, höhnischem Lachen unterbrochen.
Marie hörte aufmerksam zu und lachte auch das leise, höhnische Lachen. Felix' Lachen war zu ansteckend, sie mußte mitlachen, es war, als führe jemand mit einer Feder leise über ihr Gesicht und kitzele es. Gut war es auch, wenn sie sich nichts zu sagen hatten, wenn Felix unablässig die roten Trauben zwischen seinen hübschen Lippen verschwinden ließ und nur ab und zu eine Mücke auf Maries Hand erschlug.
Dann kam eine süße Beklommenheit über Marie, das Atmen wurde ein wenig schwer und die Handflächen brannten. Einmal jedoch war Gefahr ganz nahe. Sie hörten durch die Mittagsstille plötzlich die Stimme des Fräuleins von Dachsberg, die mit ihrem klagenden Diskant »Prinzessin Marie!« rief.
Felix machte sich ganz klein und verkroch sich unter dem Johannisbeerstrauch wie ein Igel. Marie war sehr erschrocken. »Gehen Sie nur, ich bleibe hier«, flüsterte Felix.
Da tauchte Marie auf, sehr erhitzt, kleine Blätter im wirren Haar. Drüben bei den Himbeeren standen Damen in hellen Kleidern, und Fräulein von Dachsberg rief und winkte. Marie erkannte die Baronin von Üchtlitz mit ihrer Tochter Hilda.
»Aber Prinzessin«, sagte Fräulein von Dachsberg traurig, »um diese Zeit ist man doch nicht draußen.«
Die Baronin aber lächelte und meinte: »Um diese Zeit schmecken die Beeren am besten, das weiß ich. Ich haben Ihnen hier, Prinzeß Marie, meine Hilda gebracht, sie soll Ihnen ein wenig Gesellschaft leisten.«
Die Baronin war eine große, schöne Dame, die sich sehr gerade hielt und den Kopf mit dem noch jugendlichen Gesichte vorsichtig bewegte, als sei der Aufbau des blonden Haares eine Krone, die herunterfallen könnte. Neben ihr stand Hilda, auch groß und aufrecht. Der Graf Streith hatte gesagt: »Die Üchtlitzschen Damen haben eine Art sich zu halten, als trügen sie einen Küraß unter dem Kleide.« Hilda hatte prachtvolles, aschblondes Haar, schöne Farben und einen breiten, sehr roten Mund.
Marie war so erregt, daß sie nicht wußte, was sie sagte, nur eines war ihr klar: fort von hier mußten sie. Sie nahm Hildas Arm und sagte: »Wir wollen in die Allee, in den Schatten gehen.« Die beiden Mädchen gingen voran, und die älteren Damen folgten ihnen langsam.
Marie sprach viel und schnell wie im Fieber, sie dankte Hilda stürmisch, daß sie gekommen war. »Ich bin ja so einsam. Zu dieser Hochzeit hat man mich nicht mitgenommen, das ist doch schändlich, nicht wahr?«
Hilda hörte mit ihrem überlegenen Lächeln zu und sah dabei Marie aufmerksam an. »Sie haben sich verändert, Prinzessin«, sagte sie, »Sie sind so lebensvoll und angeregt.«
»Wirklich?« fragte Marie, »Vielleicht habe ich mich entwickelt?«
Hilda zuckte leicht mit den Schultern: »Ach nein, Prinzessinnen entwickeln sich nicht.«
Das kränkte Marie, sie wurde ganz rot: »Warum sollen wir uns nicht entwickeln? Natürlich, Krankenpflegerin oder Postfräulein will ich nicht werden, deshalb kann ich mich doch entwickeln.«
Hilda jedoch lachte ihr lautes, gutmütiges Lachen: »Das mit dem Postfräulein hat mein Vater gesagt, das erkenne ich. Nein, Postfräulein will ich nicht werden, es gibt soviel andere Berufe, ja, es gibt eigentlich alle Berufe, wir müssen sie nur erobern. Unsere Brüder bleiben auch nicht zu Hause und werden, was sie wollen. Warum sollen wir immer Töchter bleiben? Tochter ist so ein schreckliches Wort. Tochter ist ein Wesen, das eigentlich nur dazu da ist, um abends ins Haus zurückgeschickt zu werden, damit es der Mama einen Schal holt, weil es anfängt kühl zu werden.«
Marie hörte nicht mehr recht zu, sie dachte daran, ob drüben unter dem Johannisbeerstrauch die blaue Gestalt noch versteckt läge, und da Hilda merkte, daß ihre Zuhörerin zerstreut wurde, schwieg sie. So gingen die beiden Mädchen eine Weile nachdenklich durch das Flirren der Blätterschatten und den Sonnenschein in der großen Lindenallee. Endlich fragte Marie ganz unvermittelt:
»Waren Sie das rote Mädchen auf der Schaukel, das sich von dem Offizier schaukeln ließ, als wir vorüberfuhren?«
»Ja«, bestätigte Hilda, »der Offizier war mein Vetter Barnitz, er hat sich so in mich verguckt.«
»Wirklich? Erzählen Sie doch«, drängte Marie, »haben Sie ihn auch gern?«
»Ach ja, warum nicht«, erwiderte Hilda, als handelte es sich um etwas Alltägliches, »er hat eine poetische Liebe. Er schenkt Rosen, drückt heimlich die Hand und macht Liebeserklärungen. Jeden Abend, wenn wir im dunklen Garten spazierengehen, machte er eine Liebeserklärung. Wenn wir an ein bestimmtes Levkoienbeet gekommen sind, fängt er an.«
»Was sagt er?« forschte Marie.
»Ich weiß nicht«, erwiderte Hilda, »bei einer Liebeserklärung kommt es hauptsächlich auf den warmen, singenden Ton an, der muß zu Herzen gehen. Gott, solange sie in uns verliebt sind, sind sie alle nett; aber sobald sie merken, daß auch wir schwach werden, dann sind sie lächerlich; dann spielen sie gleich den königlichen Löwen, der seine Mähne schüttelt, und wir sollen die kleinen, nackten Löwinnen sein. Nein, dann erst werden Mann und Weib gleich sein, wenn die Männer uns küssen können, ohne gleich eine dumme Protektormiene aufzusetzen.«
Marie wurde ein wenig verlegen: »Ja, wie wissen Sie...«
Hilda aber lachte: »Ach diese kleinen Prinzessinnen, was die nicht alles wissen wollen.«
Jetzt waren sie bis an das Schloß gelangt und stiegen die Stufen zum Gartensaale hinauf, wo der Tee genommen werden sollte. Marie drückte fest Hildas Arm und sagte leise: »Wie hübsch und klug Sie sind.« In diesem Augenblick begann sie Hilda stark zu lieben. Hilda lächelte mitleidig.
Am nächsten Tage wurde die Fürstin zurückerwartet. Marie teilte ihrem Gefährten unter dem Johannisbeerstrauche mit, es sei heute das letzte Mal, daß sie sich hier träfen.
Felix zog die Augenbrauen empor und machte ein seltsames Gesicht, ein Gesicht, das gleichgültig aussehen sollte. »So, so«, meinte er, »ja, ich muß nun auch bald fort, die verdammte Schule fängt wieder an.«
Marie