Das Gesetz der Vier. Edgar Wallace

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Das Gesetz der Vier - Edgar Wallace


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Ihnen natürlich den Brief verkaufen – wieviel verlangte er?«

      »Zweitausend Pfund. Das war ja die teuflische Gemeinheit«, sagte die junge Frau heftig erregt. »Er wußte fast auf den Pfennig genau, wieviel Jeff sich erspart hatte.«

      »Hat er Ihnen damals den Brief gezeigt?«

      »Nein, nur eine Fotokopie davon, und als ich den Brief dann wieder las und zu meinem Schrecken gewahr wurde, welche Schlußfolgerungen man aus diesem unschuldigen Schreiben ziehen konnte, packte mich ein furchtbares Entsetzen. Es blieb mir nichts anderes übrig, als Jeff alles zu sagen, denn Mr. Stedland hatte gedroht, Fotokopien des Briefes an alle unsere Freunde und an Jeffreys Onkel zu schicken, der meinen Mann zum einzigen Erben eingesetzt hatte. Zum Glück wußte Jeffrey schon alles, was sich damals in der Schule zugetragen hatte, und ich brauchte deshalb seinen Argwohn und Verdacht nicht zu fürchten. Jeffrey ging zu Stedland, und ich glaube, daß sie in heftigen Streit gerieten. Aber Stedland ist trotz seiner Jahre ein großer, starker Mann, und Jeffrey unterlag in dem Kampf. Das Ende der Sache war, daß Jeff versprach, den Brief für zweitausend Pfund unter der Bedingung zu kaufen, daß Stedland ihm auf eine leere Seite des Schreibens eine Quittung über diese Summe gab. Das bedeutete den Verlust all seiner mühsamen Ersparnisse, es bedeutete auch die Verzögerung unserer Verheiratung. Aber Jeffrey wollte sein Versprechen unter allen Umständen halten. Mr. Stedland wohnt in einem großen Haus in der Nähe von Clapham Common –«

      »148 Park View West«, unterbrach Manfred.

      »Sie wissen es?« fragte sie erstaunt. »Ja, dorthin mußte Jeffrey gehen, um das Geschäft abzuschließen. Mr. Stedland öffnete die Haustür selbst und führte Jeff zu seinem Arbeitszimmer im ersten Stock. Mein Mann erkannte, daß es nutzlos war, mit diesem Menschen noch zu rechten oder ihn zu bitten, und bezahlte das Geld nach Stedlands Anweisung in amerikanischen Banknoten –«

      »Die natürlich viel schwieriger zu verfolgen sind«, warf Manfred dazwischen.

      »Dann holte Stedland den Brief, schrieb die Quittung auf die leere Seite, löschte sie ab und legte das Schreiben in einen Umschlag, den er meinem Mann gab. Als Jeffrey zu Hause das Kuvert öffnete, fand er nur einen leeren Briefbogen darin.«

      »Der Betrüger hat ihn übers Ohr gehauen«, sagte Manfred.

      »Denselben Ausdruck gebrauchte auch Jeffrey. Und nun entschloß er sich zu dieser verzweifelten, wahnsinnigen Tat. Sie haben doch sicher schon von den ›Vier Gerechten‹ gehört?«

      »Ja, ich habe von ihnen gehört«, antwortete Manfred ernst.

      »Mein Mann glaubt an ihre Methoden und bewundert sie sehr. Er hat wohl alles gelesen, was jemals über sie geschrieben wurde. Eines Abends, zwei Tage nach unserer Hochzeit – ich hatte darauf bestanden, daß wir uns sofort trauen ließen, nachdem ich die Lage überschaute –, kam er zu mir und sagte: ›Grace, ich werde jetzt die Methoden der Vier Gerechten gegen Stedland anwenden.‹ Er weihte mich in seine Pläne ein. Offenbar hat er Stedlands Haus genau beobachtet und ausgekundschaftet, denn er wußte, daß außer Stedland und seinem Diener niemand dort schlief. Er hatte sich einen Plan ausgedacht, wie er in das Haus kommen konnte. Mein armer Jeffrey – er hatte als Einbrecher wenig Erfolg. Sie haben ja heute gehört, wie es ihm schließlich gelang, in Stedlands Zimmer einzudringen. Er hat wohl gehofft, den Mann mit seinem Revolver einzuschüchtern.«

      Manfred schüttelte den Kopf.

      »Stedland ist einer der bekanntesten und gefürchtetsten Revolverhelden in Südafrika gewesen. Er ist der gewandteste und schnellste Schütze, den ich kenne, und er trifft unfehlbar. Natürlich hat er Ihren Mann sofort mit seinem Revolver bedroht, bevor der überhaupt seine Tasche erreichen konnte, um die eigene Waffe zu ziehen.«

      »Das ist meine Geschichte«, sagte Mrs. Storr ruhig. »Wenn Sie Jeff helfen können, werde ich Ihnen mein ganzes Leben lang dankbar sein.«

      Manfred erhob sich langsam.

      »Es war ein wahnsinniges Unternehmen. Ihr Mann hätte sich sagen sollen, daß Stedland ein ihn so belastendes Dokument nicht in seiner Wohnung aufbewahren würde, da er doch mindestens sechs Stunden am Tag nicht zu Hause ist. Vielleicht war der Brief auch vernichtet, obwohl das unwahrscheinlich ist. Stedland wird ihn zu späterem Gebrauch aufgehoben haben. Erpresser sind große Menschenkenner, und er weiß, daß er aus Ihrem Brief noch Geld machen kann. Aber sollte dieser Brief noch existieren –«

      »Sollte er noch existieren...«, wiederholte sie mit zitternden Lippen. Sie hatte sich lange tapfer aufrecht gehalten, aber nun kam die Reaktion.

      »Dann wird er in einer Woche in Ihren Händen sein«, sagte Manfred, und mit diesem Versprechen verabschiedeten sich die beiden von ihr.

      *

      Mr. Noah Stedland hatte das Gerichtsgebäude an diesem Nachmittag nicht in der besten Stimmung verlassen. Er war nur damit zufrieden, daß er das Haus durch den allgemeinen Ausgang verlassen konnte und nicht in eine der Gefängniszellen abgeführt worden war. Er ließ sich nicht leicht erschrecken, aber er war empfänglich für gewisse Unterströmungen. Es schien ihm, daß die sorgfältig gewählten Worte des Richters weniger nach dem Wortlaut als nach dem Ton eine versteckte Anklage gegen ihn selbst enthielten. Aber auch nachdem er sich darüber klargeworden war, verließ ihn das drückende Gefühl nicht. Er besaß ein beträchtliches Vermögen, das er bei verschiedenen Gelegenheiten zusammengerafft hatte. Manchmal war es plötzlich um bedeutende Summen angewachsen. Er war in seinen Unternehmungen immer erfolgreich gewesen, da er sich niemals von der Stimme des Gewissens oder des Mitleids hatte beeinflussen lassen. Das Leben war für diesen großen, breitschultrigen Mann mit der fahlen Gesichtsfarbe weiter nichts als ein Spiel. Und Jeffrey Storr, gegen den er persönlich keinen Groll hegte, hatte in diesem Spiel eben verloren.

      Stedland konnte ohne die geringste Erregung daran denken, daß Storr nun in Sträflingskleidern lange Jahre ein schreckliches Leben im Gefängnis führen mußte. Derartige Vorstellungen riefen kein anderes Gefühl in ihm hervor als das eines Spielers, der den Zusammenbruch seines Gegners gelassen und gleichgültig beobachtet.

      Er öffnete die Tür seines schmalen Hauses selbst und schloß sie wieder, indem er den Schlüssel zweimal umdrehte. Dann stieg er die mit einem abgetretenen Läufer bedeckte Treppe hinauf und ging in sein Arbeitszimmer. Die Geister der armen Menschen, deren Leben er vernichtet hatte, hätten ihm den Aufenthalt in diesem Raum unerträglich machen müssen, aber Mr. Stedland glaubte nicht an Geister. Er fuhr mit dem Finger über die staubige Platte eines Mahagonitisches und schimpfte über die gutbezahlte Aufwartefrau, die für diese Nachlässigkeit verantwortlich war.

      Er hielt eine große Zigarre zwischen seinen goldplombierten Zähnen, lehnte sich in seinen Sessel zurück und versuchte wieder, sich über dieses merkwürdige Gefühl klarzuwerden, das ihn in dem Gerichtssaal gequält hatte. Weder die Haltung des Richters noch die heftigen Angriffe des Verteidigers beschwerten ihn, ebensowenig die Möglichkeit, daß die Mitwelt ihn verurteilen könnte. Auch das Los des Verurteilten oder der bleichen, abgehärmten Frau bedrückte ihn nicht. Und doch war er ängstlich geworden und hatte sich unruhig umgesehen.

      Als er eine halbe Stunde lang in Gedanken versunken geraucht hatte, läutete die Glocke an der Haustür, und er ging hinunter, um zu öffnen. Der Mann, der vor der Tür stand, lächelte verlegen. Er war der Angestellte Mr. Stedlands und versah zu gleicher Zeit alle Pflichten vom Hausmeister bis zum Laufburschen für seinen Herrn.

      »Komm herein, Jope«, sagte Mr. Stedland und schloß die Tür hinter ihm. »Geh in den Keller und bringe mir eine Flasche herauf.«

      »Wie waren Sie mit meiner Aussage zufrieden?« Der Diener grinste erwartungsvoll.

      »Verrückter Kerl!« brummte Stedland. »Was sollte denn das, daß du sagst, du hättest mich um Hilfe


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