Deutsches Sagenbuch - 999 Deutsche Sagen. Ludwig Bechstein

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Deutsches Sagenbuch - 999 Deutsche Sagen - Ludwig Bechstein


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mußte, da sie ihn denn noch heutigen Tages in ihrer

       Kirche als eine Mumie zeigen. – Vordessen lebte

       auch noch ein Freiherr dieses edlen Geschlechts auf

       Hohensax, der war mit einem Ding begabt, das nicht

       eben selten ist in diesen felsreichen Alpentälern,

       einem Glied, das ihn ärgerte, und konnt' und mocht' es

       doch nicht ausreißen und von sich werfen, wie die

       Schrift gebeut. Da zog er mit zu Felde, und in einer

       heißen Schlacht, in welcher Mann gegen Mann

       kämpfte, empfing er einen Schwerthieb, daß ihm

       gleich das Blut stromweis vom Halse abquoll. Doch

       hatte der Feind den glücklichsten Streich getan, er

       hatte dem Freiherrn von Hohensax das ärgernde Glied

       weggehauen, seinen Kropf.

       9. Ida von der Toggenburg

       Rheinaufwärts vom Bodensee liegt die Toggenburg,

       der nach ihr genannten Grafen uralter Stammsitz.

       Darinnen wohnte eine fromme Gräfin, Ida geheißen,

       aus dem Stamme derer von Kirchberg. Da geschah es

       eines Tages, daß sie ihren Brautring in das offne Fenster

       legte und die Sonne darauf schien, daß er hell

       blitzte. Ein Rabe sah den Ring, schoß daher, erfaßte

       ihn mit seinem Schnabel und trug ihn fort in sein

       Nest. Wohl vermißte die Gräfin ihren Ring, doch

       fürchtete sie ihres heftigen Gemahls Zorn, wenn sie

       den Verlust ihm melde, und daher schwieg sie. Nach

       einiger Zeit fand ein Jäger oder sonst ein Diener im

       Walde des Raben Nest und in dem Nest den Ring der

       Herrin, ohne daß er wußte, wem der Ring gehörte,

       steckte ihn an seinen Finger und trug ihn sonder

       Scheu. Da sah und erkannte der Graf seiner Gemahlin

       Ring, den er ihr selbst gegeben, am Finger des

       Knechts, glaubte sie treulos, ließ alsbald den unschuldigen

       jungen Gesellen am Schweif eines wilden Pferdes

       den felsigen Burgweg hinab zu Tode schleifen

       und warf die ebenso unschuldige Gemahlin vom Söller

       des Palas hinab in den waldigen Felsenabgrund.

       Aber Engel schirmten die Unschuld; sanft sank Ida,

       von unsichtbaren Händen getragen, durch schützendes

       Gezweig auf weiches Moos. Inbrünstig dankte sie den

       Heiligen für ihre wunderbare Rettung und wandelte

       weit von der Burg hinweg in eine unwegsame Wildnis.

       Dort erbaute sie sich eine Hütte von Gezweig und

       lebte als Einsiedlerin nur dem Gebet und der Andacht.

       Wasser war ihr Getränk, Waldbeeren und Wurzeln

       waren ihre Nahrung. Bald darauf sagte ein Diener

       dem Grafen von seines Mitgesellen Ringfund im Rabennest,

       und nun lastete seine Tat schwer auf des

       Grafen Seele. Einstmals verirrte sich unversehens ein

       Jäger des Grafen in diese Waldeinöde und fand die

       Einsame. Schnell trug er diese Kunde zu seinem

       Herrn, der längst jene übereilte Tat eines doppelten

       Mords ohne Verhör und Richterspruch bereute, und

       der Graf eilte zu der Einsiedlerin, wollte sie wieder

       hinauf in sein Schloß führen und erflehte ihre Vergebung.

       Aber Ida ließ sich nimmer bewegen. Der Graf

       von Toggenburg nahm das Kreuz, entbot seine

       Dienstmannen rings im Schweizerlande und zog mit

       ihnen, zur Büßung und Entsühnung seiner Tat, nach

       dem Heiligen Lande, dort gegen die Ungläubigen zu

       fechten. Dort kämpfte er mit in großen Schlachten und

       machte seinen Namen gefürchtet – aber es zog ihn die

       mächtige Sehnsucht im Busen immer wieder nach der

       Heimat zurück; immer noch hoffte er, Ida werde sich

       wieder mit ihm einigen, denn nie hatte er sie mehr geliebt,

       als seit er sie wiedergefunden. Und nach einem

       Jahre schiffte er wieder der Heimat zu. Aber da er

       nach Ida fragte, ward ihm die Kunde, daß sie im Kloster

       Fischingen den Schleier genommen und dort lebe,

       still und heilig. Da tat der Graf sich allen ritterlichen

       Geschmuckes ab, hing Wehr und Waffen in seine Kapelle

       und pilgerte hinab gen Fischingen als armer Einsiedler,

       erkor sich einen Platz in der Nähe des Klosters,

       darin lebte, büßte und betete der Graf, bis er

       starb.

       10. Der Pilatus und die Herdmanndli

       In der ganzen Schweiz, im Berner und Luzerner Land,

       im Haslital und fast allenthalben gehen Sagen von

       Zwergen und Berggeistern, die sich vielfach ähnlich

       sind. Absonderlich viel Redens ist von dem hohen

       Berge Pilatus und den Zwergen, die sonst in seinem

       Geklüft wohnen, die heißen Herdmanndli. Der Pilatus,

       das ist der rechte und wahre Broch- oder

       Brockenberg der Schweiz, auf welsch Fraxmont

       (mons fractus) geheißen, auf lateinisch aber mons pileatus,

       Hutberg, weil im Land die bekannte Rede

       geht:

       Hat der Pilatus einen Hut,

       So steht im Land das Wetter gut.

       Aber es geht die Sage, daß nach Christi unseres Herrn

       Leiden, Tod und Auferstehung der römische Landpfleger

       Pilatus in dieses Land gezogen sei, oder gar,

       daß der Satan seinen Leichnam hergetragen, und da

       habe er am Berge den ungeheuerlichen See gefunden,

       der hat weder Zu- noch Abfluß und ist wegen der unergründlichen

       Tiefe schwarz und gräßlich anzusehen,

       ein unheimlicher Moorgrund. Lange hat die Sage gelebt,

       daß, wer etwas in den See werfe, alsbald ein heftiges

       Unwetter mit Hagel und Wolkenbrüchen errege,

       wie auch das Gewässer den Krienser Boden und Luzern,

       die Stadt, in den Jahren 1332 und 1475 in große

       Not gebracht, darum hat man Fremde nicht gern hinzugelassen,

       und das Hineinwerfen von Steinen oder

       Holz bei Leib- und Lebensstrafe verboten. In diesen

       See habe sich der römische Landpfleger gestürzt, weil

       sein Gewissen ihn fort und fort gepeinigt, andere

       sagen, der Teufel habe ihn hineingesteckt. Die

      


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