"Icke" fährt zur See - Teil 1 - Seefahrt damals um 1961 - Schiffsjunge und Jungmann. Jürgen Emmrich
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Religion oder Nationalität spielen bei „Hein Seemann“ keine Rolle. Hauptsache „der Mensch ist Mensch“ und vor allen Dingen ist er ein „Seelord“, ein richtiger Maat, ehrlich und aufrecht. Die an Land waren vom anderen Stern. Tja, so dachten wir jedenfalls damals, und das stimmte ja auch ein bisschen, wie ich später auch feststellen musste.
Ich mochte die Kameradschaft, war eigentlich immer schon ein geselliger Mensch und liebte es, mit Gleichgesinnten zusammen zu sein.
Die Zeit raste dahin, es gab Zwischenprüfungen, wie z. B. in Erster Hilfe, die wir alle bestanden, denn wir haben natürlich gebüffelt und uns gegenseitig geholfen. Uns wuchsen auch die ersten Muskeln und auf den Händen die erste Hornhaut, auf die wir natürlich auch stolz waren. Es fehlten nur noch die Haare auf der Brust, um ein richtiger Seebär zu sein. Aber kommt Zeit, kommt Haar.
In Berlin war inzwischen hohe Aufregung, denn Berlin wurde von einer Mauer zwischen Ost und West getrennt. Mein Vater hatte das vorausgesehen und war mit uns schon 1953 von Ostberlin in den Westen geflüchtet.
Mein geliebter Opa und die Oma (Eltern meiner Mutter), waren nun im Ostteil der Stadt „eingeschlossen“. Würde ich sie jemals wiedersehen können? Die andere Oma, also die Mutter meines Vaters, war ja schon mit meinen Eltern nach Westberlin gegangen.
An der Sektorengrenze sollten Panzer der Russen und Amis aufgefahren sein. Es sollte sich um einen kriegsähnlichen Zustand an der Mauer handeln. Ich war sehr traurig, denn meine Eltern schrieben mir, dass man nicht mehr in den Osten könne. Ich konnte gar nicht fassen, dass so etwas möglich ist. Die können doch nicht einfach die Familien trennen, die den Krieg überlebt haben, alles verloren haben und neu anfangen mussten. Ich war sehr in Panik, aber ich konnte die Schule nicht verlassen. Wem könnt ich dann meine Sorgen antragen, wenn Opa nicht mehr erreichbar war?
So musste ich mit den Sorgen allein fertig werden.
Am 24. Oktober 1961 schaffte ich mit ausreichenden Leistungen die Abschlussprüfung. Wir mussten alle vor dem Haus antreten, und der Kapitän verabschiedete uns. Als wir vor drei Monaten dort zur Einweisung antraten, begrüßte uns der Kapitän mit: „Guten Tag Jungs.“
Nun wurden wir mit: „Gute Fahrt, Männer!“ verabschiedet.
Was waren wir stolz in diesem Moment. Wir waren von Kindern zu richtigen Seemännern ausgebildet worden.
Wir Jungs feierten Abschied voneinander, natürlich mit einem Besäufnis in einer Finkenwerder Kneipe und hofften, dass wir uns irgendwo, in irgendeinen Hafen wiedersehen, dann aber als richtige, gestandene Seemänner.
Die Finkenwerder Fischerjungs waren froh, dass wir abhauten, denn wir spannten ihnen immer die Mädels aus, wenn wir an den Wochenenden zum Tanzen in den Finkenwerder Tanzschuppen „Elbhalle“ kamen.
Der Song „Let`s Twist again“ war da gerade der große Renner, und ich war ein großer „Twister“, aber auch die langsamen Songs lagen mir, und so war ich oft der große Eintänzer in Finkenwerder. Ich war ja wohl mitten in der Pubertät und noch „Jungfrau“. Hatte bei den Mädchen immer viel „Schlag“, schon in der Schule war ich aller Mädel Liebling. Aber es ging noch nichts ab. Mir war das Herumstromern mit meinen Freunden wichtiger. Aufgeklärt war ich auch nicht und lauschte nur den Geschichten der schon erfahrenen Jungs und der Kumpels um meinen Bruder herum, die so glaube ich, alle auch nur sogenannte Verbalerotiker waren und selbst noch nichts erlebt hatten.
Aber irgendwann werde auch ich fällig sein. Ich hatte in Berlin ja auch noch eine Freundin, die Monika, meine erste große Liebe, zurückgelassen. Beim Abschied, den wir bei Andy, einem Freund, feierten, wollte ich ‘ran, aber sie sagte nein, weil ich dann immer auf See wäre und sie sicher vergessen würde. Wir lagen auf einer Couch und betrieben „Petting“. Da merkte ich schon, dass sich im Unterleib etwas tat, wenn man gestreichelt wird oder selber aktiv ist.
Gut, dass sie so zurückhaltend war, denn ich hatte keine Kondome, und wer weiß, was sonst passiert wäre. Wir waren doch selbst noch Kinder.
Meine persönliche Bewerbung und dem Vorstellungsgespräch bei der größten deutschen Reederei, der Hamburg-Amerika Linie (HAPAG) oder offiziell „Hamburg-Amerikanische-Paketfahrt-Aktiengesellschaft“, verlief positiv, und ich sollte bald ein Schiff bekommen, auf dem ich dann endlich als Decksjunge oder auch „Moses“ genannt, die Welt erobern könnte. Ich war schon sehr stolz, Mitarbeiter in einer so berühmten Reederei, Deutschlands größte und weltweit bekannteste Reederei, zu sein.
Endlich konnte meine große Sehnsucht gestillt werden.
Endlich war ich Seemann bei der deutschen Handelsmarine.
Endlich konnte ich die weite Welt bereisen, während die anderen an Land jeden Morgen an ihre Werkbank mussten, immer derselbe Trott und ihren Urlaub verbrachten sie, wenn die Eltern vermögend waren, vielleicht mal an der Ostsee. Aber mir lag nun die Welt zu Füßen!
Vorerst musste ich aber noch nach Hamburg, zur SeeBeGe (Seeberufsgenossenschaft), in die Reimerstwiete. Für die Ausstellung eines Seefahrtbuches, musste ich noch ein ärztliches Attest, meine Seediensttauglichkeit, einholen. Zwei Passbilder waren mitzubringen und die Einverständniserklärung der Eltern, sowie ein gültiger Reisepass.
Ich fuhr dann noch mal nach Hause, sah das Elend mit der Mauer und erfuhr, dass mein Bruder es gerade noch so vom Osten in den Westen geschafft hatte, als er bei Schließung der Grenzen einen Freund besuchte.
Für meinen Vater war das selbstverständlich, dass ich die Prüfung an der Seemannsschule geschafft hatte. Kein Lob oder anerkennende Worte. Wie immer wurde ein Erfolg, wenn ich mal einen hatte, nicht anerkannt und gewürdigt. Meine Fehler oder Schwächen wurden natürlich immer altklug bemängelt. Wenn ich erzählte, wie wir Jungs geschliffen wurden, wie hart wir beim Rudern auf der Elbe ‘rangenommen wurden, dann hatte der Alte nur zur Antwort, dass er es früher, beim Militär, viel härter hatte. Fragen wurden nicht gestellt, denn er wusste natürlich immer Bescheid. Er konnte alles, wusste alles und das „kotzte“ uns Söhne an.
Doch ich glaube heute, er war schon ein bisschen stolz auf mich. Ich war kein Klempner oder Maler. Das wäre für ihn nichts Besonders gewesen, obwohl mir mit der Volksschulbildung damals nichts anderes zugestanden hätte.
Aber Seemann, das war irgendwie doch etwas Exotisches. Und bis zum Kapitän war das nur eine Übergangszeit. Jedenfalls träumte meine Mutter schon von ihrem Sohn, der als Traumschiffkapitän über die Weltmeere fährt.
Unsere Oma hatte aber immer ein Ohr für uns. Und wenn wir traurig waren, auch tröstende Worte. Mein Opa war ja noch im Osten, und ich konnte ihn wegen der Mauer nicht besuchen. Da war ich schon sehr traurig.
Sehnsüchtig wartete ich nun auf eine Nachricht der Reederei, und es sollte bald losgehen. In dieser Zeit liefen im Radio Hits von Freddy Quinn, die von Fernweh, Seemannsromantik und Abenteuer handelten. Wie z. B. auch das Lied: „Junge, komm bald wieder“, und das machte mich ganz sehnsüchtig. Ich wollte endlich los und das ganze verfluchte Elternhaus hinter mir lassen. Nichts konnte mich nun aufhalten. Ich war ausgebildeter Decksjunge und gehörte auf ein Frachtschiff.
Die Welt wartete auf mich. Ihr werdet euch noch wundern, zu was ich alles fähig bin, so dachte ich zuversichtlich.
Aber bald sollte mir die Realität zeigen, was an Bord eines Frachtschiffes wirklich abgeht.
Meine ehemaligen Klassenkameraden, mit denen ich noch Kontakt hatte, vor allem mein Freund Andy, beneideten mich sehr, was ich natürlich sehr genossen habe.
Und dann war es endlich soweit!
* * *
„Icke“