Das Leben des Giacomo Casanova und seine frivolen erotischen Abenteuer - Teil 1. Giacomo Casanova
Читать онлайн книгу.und war so aus der Fassung gebracht, dass er, glaube ich, lieber gestorben wäre als ihr die Küsse gegeben hätte. Gesenkten Hauptes trat er zurück, und man ließ ihn in Ruhe, bis wir zu Bett gingen.
Sobald wir in unserem Zimmer allein waren, schüttete er mir sein Herz aus. Er sagte mir, es sei schade, dass er in Padua weder das Distichon noch meine Antwort bekanntmachen könnte.
„Und warum nicht?“
„Weil es eine Schmutzerei ist.“
„Aber eine erhabene.“
„Wir wollen zu Bette gehen und nicht mehr davon reden. Deine Antwort ist wunderbar, weil du weder die Sachkenntnis haben kannst, noch auch Verse machen gelernt hast.“
Die Sachkenntnis besaß ich nun freilich doch, in der Theorie nämlich; denn ich hatte heimlich Meursius gelesen, und zwar gerade, weil er mir das verboten hatte. Aber er war mit Recht darüber erstaunt, dass ich Verse machen konnte; denn er selber, der mich die Prosodie gelehrt hatte, konnte niemals einen Vers zustande bringen.
Nemo dat quod non habet – Niemand kann geben, was er selber nicht hat – ist ein Lehrsatz, der in geistigen Dingen keine Geltung hat.
Vier Tage darauf gab mir bei unserer Abreise meine Mutter ein Paket für Bettina, und Abbate Grimani schenkte mir vier Zechinen, um mir Bücher zu kaufen. Eine Woche später reiste meine Mutter nach St. Petersburg.
Als wir wieder in Padua waren, sprach mein guter Lehrer drei oder vier Monate lang tagtäglich und bei jeder Gelegenheit immerzu von meiner Mutter. Bettina, die in dem Paket fünf Ellen schwarze Glanzseide und zwölf Paar Handschuhe gefunden hatte, fasste eine große Neigung zu mir und nahm sich mit solcher Sorgfalt meiner Haare an, dass ich nach sechs Monaten meine Perücke ablegen konnte. Jeden Tag kam sie zu mir, um mich zu kämmen, und oft geschah dies, ehe ich noch aufgestanden war; sie sagte, sie habe keine Zeit solange zu warten, bis ich aufgestanden sei. Sie wusch mir Gesicht, Hals, Brust; sie erwies mir kindliche Liebkosungen, die ich für unschuldig erachtete und die mich gegen mich selber aufbrachten, weil sie mich aufregten. Da ich drei Jahre jünger war als sie, so schien mir, sie könne sich wohl gar nichts dabei denken, wenn sie mich liebkoste, und es ärgerte mich, dass ich mir etwas dabei dachte. Wenn sie auf meinem Bette sitzend mir sagte, ich nähme zu, und sich mit Händen davon überzeugte, so regte sie mich sehr heftig auf; ich ließ sie aber ruhig gewähren, weil ich befürchtete, sie könnte meine Erregung bemerken. Und wenn sie mir sagte, ich hätte eine zarte Haut, und mich dabei kitzelte, musste ich mich zurückbeugen; dann ärgerte ich mich über mich selber, dass ich's nicht wagte, es mit ihr ebenso zu machen, zugleich aber freute ich mich, dass sie nicht merkte, wie große Lust ich dazu hatte. Wenn ich angezogen war, gab sie mir die süßesten Küsse und nannte mich ihr liebes Kind; so große Lust ich aber auch hatte, ihr Beispiel zu befolgen, so wagte ich es doch noch nicht. Als dann jedoch später Bettina sich über meine Schüchternheit lustig machte, fasste ich Mut und gab ihr ihre Küsse noch kräftiger zurück; doch hörte ich stets auf, sobald ich die Lust verspürte weiter zu gehen. Ich drehte den Kopf zur Seite, als ob ich irgendetwas suchte, und sie entfernte sich. Sobald sie zur Tür hinaus war, war ich in Verzweiflung darüber, dass ich nicht meinem Naturtrieb gefolgt war. Ich war erstaunt, dass Bettina, ohne sich aufzuregen, alles mit mir machen konnte, wozu sie Lust hatte, während es mich die größte Mühe kostete, nicht weiter zu gehen, und ich nahm mir jedes Mal vor, von nun an solle es anders werden.
Zu Anfang des Herbstes bekam der Doktor drei neue Pfleglinge; einer von diesen, der fünfzehn Jahre alt war, schien mir in weniger als einem Monat mit Bettina auf sehr gutem Fuß zu stehen. Diese Wahrnehmung erweckte in mir ein Gefühl, wovon ich bis dahin keinen Begriff gehabt hatte und dessen Wesen ich auch erst mehrere Jahre später mir klarmachte. Es war weder Eifersucht, noch Entrüstung, sondern eine edle Verachtung, die ich nicht glaubte unterdrücken zu dürfen, denn Cordiam war unwissend, ungeschliffen, geistlos, unerzogen, der Sohn eines gewöhnlichen Bauern und in keiner Weise imstande, einen Vergleich mit mir auszuhalten; denn er hatte vor mir weiter nichts voraus, als dass er schon in mannbarem Alter war; er schien mir nicht danach angetan, mir vorgezogen zu werden; mein erwachendes Selbstgefühl sagte mir, dass ich besser sei als er. Ein Gefühl von Stolz mit Verachtung gemischt erhob sich in mir gegen Bettina, die ich liebte, ohne es zu wissen. Sie merkte es an der Art und Weise, wie ich ihre Liebkosungen aufnahm, wenn sie mich in meinem Bett frisierte: Ich stieß ihre Hand zurück und antwortete nicht mehr auf ihre Küsse. Eines Tages fragte sie mich, warum ich denn gegen sie so sei; es ärgerte sie, dass ich keinen Grund angeben wollte, und sie sagte mir mit einer Miene, wie wenn ich ihr leid täte: ich sei eifersüchtig auf Cordiani. Dieser Vorwurf erschien mir als eine erniedrigende Verleumdung; ich antwortete ihr: Meiner Meinung nach sei Cordiani ihrer würdig, wie sie seiner. Sie ging lächelnd hinaus; aber indem sie nachdachte, wie sie sich rächen könnte, fand sie, dass dies nur geschehen könnte, indem sie mich eifersüchtig machte. Diesen Zweck konnte sie freilich nicht erreichen, ohne mich verliebt zu machen. Das fing sie folgendermaßen an:
Eines Morgens kam sie an mein Bett und brachte mir ein paar weiße Strümpfe, die sie für mich gestrickt hatte. Nachdem sie mein Haar in Ordnung gebracht hatte, sagte sie, sie müsse mir die Strümpfe selber anpassen, um zu sehen, was daran verkehrt sei, und um sich bei den anderen, die sie mir noch machen wollte, danach zu richten. Der Doktor war ausgegangen, um seine Messe zu lesen. Während sie mir die Strümpfe anzog, sagte sie, meine Beine seien unsauber, und ohne mich erst um Erlaubnis zu fragen, fing sie sofort an sie zu waschen. Ich hätte mich geschämt, ihr irgendwelche Scham zu zeigen; darum ließ ich sie gewähren, zumal da ich nicht voraussah, was noch kommen sollte. Auf meinem Bett sitzend, trieb Bettina ihren Reinlichkeitseifer zu weit, und ihre Neugier verursachte mir solche Wollust, dass diese nicht eher aufhörte, als bis sie nicht weiter gehen konnte. Nachdem ich wieder ruhig geworden war, fühlte ich mich als den schuldigen Teil und hielt mich für verpflichtet, sie um Verzeihung zu bitten. Dies hatte sie nicht erwartet; sie dachte einen Augenblick nach und sagte mir dann in gütigem Ton, sie selber habe schuld, aber es solle nicht wieder vorkommen. Hierauf ging sie und überließ mich meinen Gedanken.
Diese waren bitter! Ich bildete mir ein, ich hätte sie entehrt, hätte das Vertrauen ihrer Familie getäuscht, die heiligen Gesetze der Gastfreundschaft verletzt, mit einem Wort: ich hätte ein furchtbares Verbrechen begangen, das ich nur dadurch wieder gutmachen könnte, dass ich sie heiratete – das heißt, wenn Bettina sich überhaupt entschließen könnte, einen ihrer unwürdigen schamlosen Menschen zum Gatten zu nehmen.
Diesen Betrachtungen folgte eine düstre Traurigkeit; die von zu Tag schlimmer wurde, da Bettina überhaupt nicht mehr zu mir ans Bett kam. Während der ersten acht Tage erschien die Zurückhaltung des Mädchens mir vernünftig, und meine Traurigkeit hätte bald den Charakter einer idealen Liebe angenommen, wenn nicht ihr Verhalten Cordiani gegenüber in meine Seele das Gift der Eifersucht geträufelt hätte, obgleich ich nicht im entferntesten daran dachte, sie könne etwa mit ihm dieselbe Sünde begangen haben wie mit mir.
Aus gewissen Gründen nahm ich an, Bettina hätte damals wohl gewusst, was sie tat, und käme nur deshalb nicht wieder, weil sie es jetzt bereute. Dies schmeichelte meiner Eitelkeit; denn nun nahm ich an, sie sei in mich verliebt. In diesen falschen Ideen befangen, entschloss ich mich, sie brieflich zu ermutigen.
Ich entwarf ein Briefchen; es war nur kurz, genügte aber, um sie zu beruhigen, falls sie sich schuldig fühlte oder falls sie mir etwa andere Gefühle zutraute, als ihr Selbstbewusstsein sie verlangen musste. Mein Brief schien mir ein Meisterwerk zu sein und mehr als hinreichend, um zu bewirken, dass sie mich anbetete und mir den Vorzug vor Cordiani gäbe, der nach meiner Meinung kaum der Mensch war, sie nur einen Augenblick in der Wahl zwischen ihm und mir schwanken zu lassen. Eine halbe Stunde nach Empfang des Briefes antwortete sie mir mündlich, sie würde am nächsten Morgen wieder wie früher in mein Zimmer kommen. Aber ich erwartete sie vergeblich. Ich war empört darüber; wie groß aber war nicht mein Erstaunen, als sie bei Tisch mich fragte, ob ich mich nicht von ihr als Mädchen verkleiden lassen wollte, um den Ball zu besuchen, den einer unserer Nachbarn, der Arzt Olivo, fünf oder sechs Tage später zu geben gedachte. Da alle Anwesenden diesen Vorschlag vortrefflich fanden, so willigte ich ein. Ich erblickte hierin eine günstige Gelegenheit, eine Aussprache zu haben, uns gegenseitig zu rechtfertigen und wieder vertraute Freunde zu werden, ohne dass wir eine Überraschung