Fürstin des Nordens. Juryk Barelhaven

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Fürstin des Nordens - Juryk Barelhaven


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Reden – ob von Mensch oder Wolf – bedeutete mehr als nur Ungemach.

      „Gleich behauptest du noch, das Ding hätte Gefühle“, ächzte der Kutscher schwer und bedeutete den Pferden anzuhalten, als eine völlig verdreckte, nackte Frau aus den Büschen trat und Anstalten machte einzusteigen.

      Nein, dachte Francesco bedrückt, Claudile hat ein ganz anderes Problem.

      Einige Meilen weit verlief die Straße breit und eben in östlicher Richtung durch das Weite Tal. Sie führte schnurgerade durch den Wald am Rande der Hochwasserebene des nördlichen Flussufers entlang, wo die Bäume hoch und ungehindert wuchsen. Den Reisenden bot sich ein freier Blick auf den Gebirgsfluss, und nicht selten konnten sie die Tiere des Waldes sehen, die zum Flussufer kamen, um zu trinken.

      Die Wildheit eines Wolfes zu zähmen bedeutet Geduld und Selbstdisziplin aufbringen zu müssen. Die menschliche Form halten können, bedeutete, Herr über das eigene Schicksal zu sein und galt bei den Aufgeklärten als höchste Form. Ein verwandelter Mensch verspürte immerzu dieses Jucken, dieses Zerren, den Trieb sich zu verwandeln. Es war, als hätte man eine schlecht verheilte Narbe auf dem Rücken, an der man nur schwer hinkam, um sich mal richtig zu kratzen. Doch all die Selbstbeherrschung nützte nichts, wenn der Vollmond zu sehen war. Dann war das Verlangen da und die Nacht verwandelte sich in Farben und Gerüche, die nur ein Wolf verstehen konnte.

      Erschöpft aber sichtlich zufrieden hatte Claudile es sich in der Kutsche bequem gemacht, während um sie herum die Welt wieder ihre normale Fülle an Geräuschen und Gerüchen annahm. Tiere flohen vor ihr, selbst die Gefährlichen. Einmal hatte sie eine Bärenfamilie aufgestöbert, die ihr Territorium verteidigen wollten. Nun, ihre Felle hingen zuhause am Kamin. Werwölfe diskutierten nicht.

      Sie schlief langsam ein und träumte von der Jagd.

      Je mehr sich die Straße dem östlichen Rand des Tales näherte, desto weiter entfernte sich sie sich vom Fluss, wurde immer schmaler, ging erst in einen Karrenweg über, dann in einen Feldweg und endete schließlich in einem Trampelpfad, der so überwuchert war, dass der Kutscher gelegentlich davon abkam.

       Zur Mittagszeit erreichten sie Blagrhiken, das in einem Hochtal unweit einer Weggabelung lag. Die meisten Hütten waren nichts anderes als Bretterbuden, manchmal erblickten sie auch kleine Zelte dazwischen, nur über Stöcke gespannte Planen. Im Gegensatz dazu überragte eine große Burg aus festem Gestein alle anderen Gebäude. Zwei aus Kragsteinen gesäumte Türme ragten, wie zum Gruß erhobene Arme, neben der heruntergelassenen Zugbrücke auf. Sonnenschein fing sich in den an den Fahnenstangen aufgezogenen Bannern und glitzerte auf der silbernen Oberfläche des Burggrabens. Als sie näherkamen, meinte Francesco, es müsste ihnen eine Schar von Rittern zur Begrüßung entgegenkommen.

      Doch es kamen keine Ritter. Es gab keine Begrüßung. Je näher sie dem Dorf und der Burg kamen, umso mehr wich seine Freude und Erleichterung einem Gefühl des Unbehagens der unheilvollen Ahnung. Unter den Kiefern sangen keine Vögel. Kein Tier regte sich in den Feldern und Wäldern.

      Ein ärmliches Dorf mit rauen Gestalten, die misstrauisch alles und jeden beäugten. An diesem Ort, der grau und wenig einladend schien, lächelte niemand und erklang keine Musik. Eine Gruppe von Männern saß an einem schwelenden Feuer und tranken mürrisch vor sich hin. Drei Waschfrauen grummelten leise, als sie die Kutsche ankommen sahen und tuschelten aufgeregt. Zwei Kinder sahen neugierig rüber und klaubten einige Steine vom Boden auf.

      Francesco erinnerte sich gerade rechtzeitig an seine Pflichten und kletterte umständlich nach hinten, um nach ihr zu sehen. „Wir sind bald da. Jetzt wird sich angezogen!“

      „Das Kleid ist… gerissen. Ich kann nichts dafür.“ Die Stimme klang fast weinerlich hinter zugezogenen Gardinen.

      „Das muss doch anders gehen. Warte mal“, ächzte jemand im Innern. „Das muss dorthin, und hier stecken wir etwas fest…“

      „Das tut weh! Sieh nur, es fällt von alleine ab! Es sollte halten, aber das tut es nicht.“

      „Das ist doch Mist!“

      „Ich kann nichts dafür!“

      Der Kutscher hielt den Wagen an und klopfte aufs Dach. „Ähm, wir sind da“, erklärte er überflüssigerweise. Als Mann von Welt ignorierte er die fragenden Blicke der Bürger und starrte unverwandt auf die schiefe Mauer der Burg.

      Eine Weile passierte garnichts. Einige Neugierige versuchten einen Blick ins Innere zu erhaschen.

      Dann ging endlich die Tür auf.

      Die Menge holte erwartungsvoll Luft.

      Claudile spazierte im Soldatenrock, Männerhose und einem blauen Hemd und die Haare lässig über die Schulter gelegt auf die Straße und sah sich um. Zum Glück vermied es Francesco auszusteigen. Es wäre nicht gut ausgegangen.

      „Hallo, liebe Bürger“, sagte sie und reichte dem ersten Mann die Hand. „Ich bin Claudile.“

      Der Kutscher drehte den Kopf herum. „Ja, so geht es natürlich auch.“

      Die Menge war im ersten Moment so verblüfft, dass niemand reagieren konnte. Alte wie Junge, Männer wie Frauen hatten sich eingefunden und blickten abwechselnd zur Kutsche und zur…Frau in Männerkleidern. Es waren verhärmte Gesichter, gealtert vom Last der Entbehrungen und der Arbeit, die ihr Leben bestimmte. Sie verstanden die Botschaft nicht, … wenn es eine war. Und der Zirkus kam äußerst selten in die Stadt.

      Ein einsamer Wind stöhnte durch die Reihen. Jemand hüstelte leise.

       „Das ist also Blagrhiken“, stellte Claudile fest und nickte zur Bestätigung.

      „Wer seid ihr?“ wollte jemand wissen. Jemand holte einen Knüppel aus einem Eimer. Forken wurden gereicht. Die Blicke bekamen etwas Bedrohlicheres.

      „Ich bin Claudile Alemont, eure Fürstin vom heutigen Tage.“ Sie wartete auf Reaktion, und als nichts kam, drehte sie sich um und sah zur Kutsche. „Francesco! Schau doch mal…“ Dabei wischte sie nervös ihre Haare fort und ihr Fellansatz im Nacken wurde zufällig sichtbar.

      Die Menge stöhnte leise auf. Sofort rutschten wenige beiseite, machten Platz während Knüppel und Forken hastig versteckt wurden. Als sich Claudile umdrehte, hatte sich das Bild verändert: die erste Reihe kniete umständlich. Frauen verbeugten sich während Kinder große Augen bekamen. Ganz kleine Kinder fingen an zu weinen.

      Sie lächelte und reichte dem ersten Mann wieder die Hand.

      Es handelte sich hierbei um einen Schmied des Dorfes; einen breitschultrigen Mann mit gerötetem Gesicht und Armen wie Schiffstaue. Als sich die Menge zurückzog, sah er sich in der ersten Reihe und riss sich selbst die Kappe vom Kopf. „Ich habe nichts getan“, murmelte er hastig.

      „Was meinst du?“ fragte Claudile.

      Er war groß und… nun, gewaltig. Wenn der Schmied durch die Straßen wankte, wirkte er wie ein kleiner Eisberg und konnte schnell und hart zupacken. Doch vor der kleinen Frau verlor er fast die Fassung. „Nichts“, erwiderte schließlich. Er hatte die Erfahrung gemacht, dass allgemeines Leugnen besser war als Abstreiten.

      „Freut mich“, sagte Claudile und ergriff seine Pranke noch bevor er sie wegziehen konnte. „Ich bin von nun an eure Fürstin. Ich wünsche euch allen einen angenehmen Tag. Ist das deine Schmiede?“

      Sie deutete über seine Schulter auf das Gebäude, wo in einer Esse glühende Kohlen langsam erkalteten.

      Falten bildeten sich auf seine Stirn, als er herauszufinden versuchte, in welche Richtung die Frage zielte. „Nein. Das gehört mir nicht.“

      „Ach?“

      „Sie gehört Euch, wollte ich sagen.“

      „So?“

      „Ich habe immer die Steuern bezahlt“, betonte er und war fast den Tränen nahe. Alle anderen wandten sich weiter und weiter von ihnen fort. In der Schmiede starrten eine Frau und ein Kind herüber. „Muss Papa jetzt sterben?“ fragte der Bube leise.

      Claudile


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