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Der Mensch lebt überall. Für ihn gibt es auf der Erde fast keinen Ort mehr, wohin er nicht vordringen könnte und wo eine Tafel aufgestellt wäre: „Eintritt für Menschen verboten.“

      Die Teilnehmer der Papanin-Expedition haben neun Monate auf einer schwimmenden Eisscholle gelebt. Hätten sie aber durch die heißeste Wüste reisen müssen, wären sie nicht weniger erfolgreich gewesen. Um aus der Steppe in den Wald oder aus dem Wald in die Steppe zu ziehen, hat es der Mensch nicht nötig, seine Hände, Füße oder Zähne zu verändern. Wenn er aus dem Süden in den Norden kommt, wird er nicht zugrunde gehen, obwohl sein Körper nicht mit Wolle bedeckt ist. Ein Wintermantel, eine Kopfbedeckung und Stiefel schützen ihn ebenso gut vor dem Frost wie die Tiere ihr Fell.

      Der Mensch hat gelernt, schneller zu laufen als ein Pferd, und er musste dafür keine einzige Zehe opfern. Der Mensch hat gelernt, besser im Wasser zu schwimmen als die Fische; und er brauchte dazu weder Hände noch Füße gegen Flossen einzutauschen. Die Echsen, die sich die Luft eroberten, brauchten viele Millionen Jahre, um Vögel zu werden, und sie haben dafür einen hohen Preis bezahlt: sie verloren ihre Vorderbeine, die sich in Flügel verwandelten. Der Mensch hat die Luft in wenigen Jahrhunderten erobert, und er musste keineswegs seine Arme dafür hergeben.

      Der Mensch hat ein Mittel gefunden, er selbst zu bleiben und doch die unsichtbaren Mauern zu durchschreiten, welche die Tiere in Gefangenschaft halten. Er steigt zu Höhen auf, in denen die Luft nicht mehr zum Atmen ausreicht, und er kehrt lebend und gesund zurück. Als die russischen und amerikanischen Stratosphärenflieger erstmals den Höhenrekord aufstellten, gingen sie damit über die Grenzen der von Lebewesen bewohnten Welt hinaus.

      Alle Lebewesen der Welt stehen in sklavischer Abhängigkeit von der Natur, die sie umgibt. Das Tier ist in allem von den Existenzbedingungen seiner Umwelt abhängig; es funktioniert nach der vorgegebenen natürlichen „Gebrauchsanleitung“. Der Mensch aber schafft sich diese Bedingungen selbst. Er reißt der Natur immer häufiger die Gebrauchsanleitung aus der Hand und schreibt sie selbst. Er streicht aus der vorhandenen Anleitung jene Bedingungen, die ihm nicht passen.

      Wenn die Naturbedingung vorgibt: „In der Wüste gibt es wenig Wasser“, dann streicht der Mensch diese Bedingung, indem er durch die Wüste die gerade Linien der Kanäle zieht. Wenn die Natur vorgibt: „Der Boden ist im Norden unfruchtbar“, dann korrigiert der Mensch diese Bedingung, indem er den Boden düngt. Wenn es im Aufgabenbuch der Natur heißt: „Im Winter ist es kalt, in der Nacht ist es dunkel“, dann richtet sich der Mensch nicht danach; er verwandelt in seinem Hause den Winter in den Sommer, macht die Nacht zum Tag. Mehr und mehr ändert der Mensch die ihn umgebende Natur.

      Unsere heutigen Wälder sind gänzlich umgestaltet durch Baumschlag und Aufforstung. Unsere Steppen sind nicht mehr die früheren Steppen. Sie sind vom Menschen durchpflügt und bebaut. Unsere Haustiere – Pferde, Kühe, Schafe – sind Tiere, die es in der freien Natur nicht gibt. Sie wurden vom Menschen nach Maß gezüchtet. Ja, sogar die wilden Tiere haben des Menschen wegen ihre Gewohnheiten verändert. Einige halten sich in der Nähe der menschlichen Behausungen, der bepflanzten Felder auf und suchen dabei ihren Vorteil. Andere dagegen verstecken sich vor dem Menschen in unzugänglichen Gegenden, in denen sie früher nicht vorkamen.

      Heutzutage wird die wilde, vom Menschen unveränderte Natur nur noch in Reservaten erhalten bleiben. Wenn der Mensch die Grenze eines solchen Reservates zieht, sagt er gleichsam der Natur: „Hier gebe ich dir die Erlaubnis zu wirtschaften, das übrige ist MEINE Wirtschaft.“

      Der Mensch hat mehr und mehr die Herrschaft über die Natur errungen. – Das war aber nicht immer so. Unsere Urvorfahren lebten ebenso als Sklaven der Natur wie ihre Verwandten, die übrigen Tiere.

      Vorlesung 2

      Die bis hier geschilderten Ereignisse der Entwicklung des Lebens stehen für sich. Noch reden wir nicht von Gott, von Religion, von Welterkenntnis, von Bewusstsein und Gehirn, von Glauben und Wissen. Noch sind wir entwicklungsgeschichtlich äußerst weit von diesen „Dingen“ entfernt. Wir bewegen uns immer noch ca. 5 Millionen Jahre vor unserer Zeit. Erst später werden wir uns an den entscheidenden evolutionären Knotenpunkten über die „Erfindung der Welt“ detaillierte Erkenntnisse verschaffen können.

      Vor Millionen Jahren standen an der Stelle unserer heutigen Gehölze und Wälder ganz andere, mit anderen Bäumen, mit anderen Tieren und anderen Kräutern. In jenen Wäldern wuchsen außer Ahorn, Birken und Linden noch Myrten, Lorbeer und Magnolien. Neben dem Nussbaum wuchs die Weinrebe. Nicht weit von der bescheidenen Trauerweide blühten Kampfer- und Am­bra-Bäume. Neben den gigantischen Mammutbäumen wirkten die Rieseneichen wie Zwerge.

      Wenn wir unseren Wald von heute mit einem Haus vergleichen, dann war jener Urwald kein einfaches Haus, sondern ein richtiger Wolkenkratzer. In den oberen Etagen dieses Wolkenkratzers war es hell und laut. Bunte Vögel flogen mit Geschrei zwischen Riesenblüten. Affen schaukelten auf den Ästen und sprangen schwingend von einem Baum zum anderen. Da läuft eine Affenherde über die Äste wie über eine Brücke. Die Mütter halten die Jüngsten an die Brust gedrückt und stecken ihnen vorgekaute Früchte und Nüsse in den Mund. Größere Kinder hängen an den Beinen. Ein alter Affe mit zottigem Fell klettert flink den Stamm hinauf, und die ganze Herde eilt hinter ihm her.

      Was sind denn das für Affen? Wir finden sie heute in keinem Zoologischen Garten. Es sind jene Affen, von denen gleichermaßen die Vorfahren des Menschen, des Schimpansen und des Gorillas abstammen. Es sind unsere Wald- und Baumvorfahren.

      Unsere Ahnen wohnten in den oberen Stockwerken. Sie lebten in der Höhe, mehrere Dutzend Meter über dem Boden, wie auf Brücken, Galerien und Terrassen. Der Wald war ihr Haus. Die Nacht verbrachten sie in einem Nest aus Zweigen, in den Astgabeln der Bäume. Der Wald war zugleich ihre Festung. Oben auf den Bäumen waren sie sicher vor den dolchscharfen Eckzähnen ihres Erzfeindes, des Tigers Machairod.

      Der Wald war ihre Speisekammer. Dort auf den Zweigen hing ihre Nahrung: Früchte und Nüsse. Um aber unter dem Dach des Waldes zu leben, musste man an Ästen hängen, Stämme erklettern, von Baum zu Baum springen, Früchte greifen und pflücken und Nüsse aufbrechen können. Dazu brauchte man eine Greifhand, ein scharfes Auge und harte Zähne.

      So war unser Vorfahr nicht nur mit einer Fessel, sondern mit vielen Fesseln an den Wald gebunden, und zwar nicht an den Wald im Allgemeinen, sondern an dessen obere Regionen.

      Wie kam es nun dazu, dass der Mensch diese Ketten sprengte? Wie fand das Waldtier den Mut, aus seinem Käfig auszubrechen, herauszutreten aus den Grenzen des Waldes?

      Dazu müssen wir sowohl die entfernten Vorfahren unseres Protagonisten als auch seine nächsten Verwandten ermitteln. Wir gehen an den Ort, an dem er das Licht der Welt erblickte, werden erkunden, wie er gehen, sprechen und denken lernte. Wir verfolgen seine ersten Ideen und Vorstellungen von der sichtbaren Welt und dem darüber hängenden Himmel, seinen Lebenskampf; wir verfolgen, wie er die Fesseln und unsichtbaren Mauern überwand, erfahren von seinem Unglück, seinen Freuden, seinen Siegen, seinen Niederlagen.

      Aber hier, ganz zu Anfang, stoßen wir auf große Schwierigkeiten.

      Wie sollen wir die Ahnin des Helden beschreiben – jene Großmutter-Äffin, von der wir unsere Familie herleiten –, da sie doch schon lange nicht mehr auf der Welt ist? Ihr Porträt ist uns nicht erhalten, da die Affen bekanntlich nicht zeichnen können. Jene Begegnung mit unseren Vorfahren kann nur in einem Museum stattfinden. Aber auch im Museum ist es nicht möglich, unsere Großmutter im Ganzen zu sehen, da von ihr nur einige Knöchlein und zwei Handvoll Zähne übriggeblieben sind, die an verschiedenen Orten Afrikas, Asiens und Europas gefunden wurden. Gewöhnlich besitzen die Großmütter keine Zähne, hier sind die Zähne ohne Großmütter.

      Besser steht es mit den übrigen Verwandten unseres Protagonisten, mit seinen „Cousins“ und „Schwestern“. Seit jener Zeit nämlich, da der Mensch aus dem Tropenwald herausgetreten ist und auf seinen beiden Füßen steht – im wahrsten Sinne des Wortes –, sind seine nächsten Verwandten, die Gorillas, Schimpansen, Gibbons und Orang-Utans, wilde Waldbewohner geblieben. Der Mensch wird nicht gern an seine armen Verwandten erinnert. Manchmal versucht er sogar


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