Hüben und drüben Davor und danach. Beate Morgenstern
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Beate Morgenstern
Hüben und drüben Davor und danach
Erzählungen
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Inhaltsverzeichnis
Ein Mensch und Genosse in drei Zeiten
I. Alter Herr in groß kariertem Jackett.
III. Agas Reich in Berlin Lichterfelde-West
I. Urbanstraße 104 A
Der Zug näherte sich der Grenze im Thüringisch-Fränkischen. Die Berge rückten aneinander. Kaum Platz zwischen ihnen für einen Weg, ein Schienenbett. Man konnte nur noch hinaufschauen. Seit ihrer Kindheit hatte sie nicht mehr auf so hohe Tannen gesehen.
Lange hielt der Zug. Dann waren die Dörfer noch beinahe genauso, wenn die Häuser auch in besserem Zustand. Und man sprach wahrscheinlich noch immer denselben Dialekt.
Besuchsgrund? Die Aussprache nur dieses einen Worts verriet den jungen Grenzbeamten als aus dieser Gegend stammend.
Beruf?
Und warum tragen Sie die schwarze Armbinde?, fragte sie zurück.
Für unsere in Frankfurt erschossenen Kollegen.
Sie hatte in den Nachrichten davon gehört, dass es bei einer Demonstration gegen den Flughafenausbau, den Bau der Startbahn West, zu Tumulten und diesem Unglück gekommen war.
Sie war wieder allein, schaute wieder in die Landschaft, grübelte. Nichts anregender für sie, als weite Strecken allein mit dem Zug zu fahren. Da kam sie zu Gesprächen mit sich selbst. Worauf es mir ankommt, dachte sie, während sie immer weiter hinausschaute auf Wege, Brücken, Felder, Wiesen, als erhielte sie von dort Antwort. Zusammenhänge sind mir wichtig, sagte sie langsam in sich hinein und fand nach einigem Nachdenken, dass man wohl so bezeichnen konnte, was ihr Inneres im tiefsten bewegte. Alles hat einen Sinn. Es existieren geheime Zusammenhänge zwischen allem Leben und scheinbar toter Materie. Sie war offenbar nicht weit davon entfernt, an Fügung zu glauben. Dass sich etwas zueinander fand aus geheimer Anziehung. Auch das wie zufällige Aufeinandertreffen macht einen Sinn. Wenigstens dem im Nachhinein hinterherzuspüren!, dachte sie.
Sie döste, schlief ein in bequemster Lage. Der Schaffner hatte ihr gezeigt, wie sie die gegenüberliegenden Sitze zusammenschieben konnte. Einmal schaute sie auf. Hier wollte die Kollegin mit ihrem Mann, einem emeritierten Professor, aussteigen. Nach der Zollkontrolle auf dem Bahnhof war sie geradewegs in die Arme der auf ihren Mann wartenden Kollegin geraten. Sie hatten sich für den Speisewagen verabredet, dort auch lange gesessen. Die Kollegin zu einer Lesereise unterwegs.
Das erste Mal?, hatte sie mit unverhohlener Neugier gefragt. Sie hatte gleichmütig geantwortet, war dann aufgeklärt worden, dass die Männer auf der anderen Seite so viel höflicher und so weiter seien. Und ihr eigener Mann, der ja aus dem Osten stammt wie sie?, hatte sie gedacht. Sie öffnete das Fenster, suchte in der Menschenmenge vergeblich nach dem Paar.
Der Zug hielt nun oft. Die Ortschaften so viel aneinander und wie ganz neu. Sie war die Menschenleere zwischen Siedlungen aus kleinem Land gewohnt und Alterung der Ortschaften. Dann fuhr der Zug in den Kopfbahnhof ein. Sie nahm ihre Tasche, stieg aus.
Hertha am Ende des Bahnsteigs. Sie sah schon stehen in ihrem Cape, groß, leicht gebeugt mit den kurz geschnittenen grauen Haaren. Die Tante hatte sich ausgebeten, sie bloß Hertha anzureden. Auch ihre Söhne redeten sie so an. Hertha allen neuen Ideen aufgeschlossen, hatte sich sogar zeitweise tatkräftig für die damals linken Ideen ihres jüngeren Sohnes interessiert. So jedenfalls die Familiensaga. Wir nehmen ein Taxi, entschied Hertha. Sonscht kannsch zu Fuß laufen. Gradwägs durch den Park. Aber bei dem Regen!
Ich kenn das hier, sagte sie, als sie aus dem Bahnhof trat. Ich muss hier gewesen sein. Mir ist, als hätte jemand hinunter auf die Stadt gewiesen und davon gesagt, sie liege im Kessel. Ich habe die Erinnerung, unten flimmerte es vor Hitze. Kann sein, das Wort Kessel hat diese Vorstellung hervorgerufen. Sie sprach viel und schnell. Wie aufgeregt sie nun doch war! Aber nicht wegen des Unbekannten, sondern der - vielleicht eingebildeten - bekannten Bilder.
Wirst bei der Lis gewesen sein. Wir haben zu der Zeit noch in Waldorf gewohnt.
Hertha gab dem Fahrer eine geringe Summe und nichts darüber. Der Fahrer hatte wegen Umleitungen Nerven bewahren und Entschlossenheit zeigen müssen. Er kam nicht auf sein Geld, sagte das auch. Wie sich seine Sprache anhörte. Schon Herthas Sprache war ihr immer wie ein Stück Heimat gewesen. (Wie viele Heimaten sie durch Kindheit an verschiedenen Orten hatte. Eine schwäbische gehörte auch dazu.)
Der Regen hatte nachgelassen. Sie gingen an einem großen Haus vorbei in einen Hof. Überrascht sah sie einen efeubewachsenen Hang hinauf. Unten abgetragen. Eine Mauer hielt den Hang. Oben auf einer Terrasse ein Haus, nicht so groß, und ein schmaler langer Garten. Auf halber Höhe der steilen Treppe ein zweites, sehr kleines Haus. Sie musste erst einmal schauen, ehe sie weiterging. Keiner hat mir gesagt, wie schön ihr wohnt! Mitten in der Stadt!
Das hab ich mir auch überlegt, dass ich nie davon erzählt hab und du gar nicht weißt, wie wir wohnen, sagte Hertha. S´ war ein Wahnsinnsglück damals. Niemand glaubte, dass wir hier im Osten der Stadt ein Haus kriegen. Das Geld haben wir natürlich auch nicht gehabt. Aber wir haben´s rischkiert. In Herthas Gesicht erschien das ihr eigentümliche Lächeln. Als wisse sie sehr viel, aber gäbe nur einen Bruchteil ihres Wissens preis.
Vom Herrn Erleuchtete hatte sie so lächeln sehen. Doch Hertha nahm, soviel ihr bekannt war, nicht in Anspruch, erleuchtet zu sein.
Ich halt nix vom Spare. Schulden haben wir unser Leben lang gemacht, fuhr Hertha fort. Übrigens, das ist amal ein Weinberg g´wesa. Nach dem Krieg, als das große Mietshaus davor in Trümmern lag, hat sich der Besitzer auf seinem Weinberg aus den Ziegeln des