Hüben und drüben Davor und danach. Beate Morgenstern

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Hüben und drüben Davor und danach - Beate Morgenstern


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begleitete sie meist mit solchem Lachen.) Aber er engagiert sich stark bei den Asylanten. Übrigens spricht er immer noch von „Zone".

      Besuchen Sie mich, sagte sie. Meine Tante gibt Ihnen die Adresse. Ich wohne im Zentrum. Ist ganz einfach zu finden. Der Herr lächelte sehr sympathisch.

      Zeit war es für den Champagner. Götz schenkte ein. Ein Pommery!, sagte er. Den verträgscht garantiert! Nach dem Öffnen gab er ihr zur Erinnerung einen Korken. Alle hoben die Gläser, sahen zu Hertha.

      Nicht viel später verabschiedete sich Heinrichs Nichte. Sie sah bleich aus.

      Den ganzen Abend hat man dich net esse sehe. Du solltest wenigstens amals probiera!, sagte Götz zu ihr.

      Nein, nei, mir isch so schlecht!, ´s war vielleicht ein bissele viel, seit früh immer im Trab. Und jetzt muss i noch fahre. Mei Mutter mag i net ans Steuer lasse bei dere Dunkelheit. Sie meinte die Schlesierin, Heinrichs Schwester.

      Zwei Stunden hatte Gisel schweigend verharrt. Jetzt stand sie auf. Ihr entschuldigt mich!, sagte sie, ging bis zur Raummitte. Ich hab einen anstrengenden Tag hinter mir, redete sie in die Gesellschaft hinein. Ich muss meine Zeiten einhalten. Leider. Ihr Gesicht verzog sich zu einem schmerzlichen Lächeln. Morgen in der Früh fahr ich. Sie sah jeden einzelnen noch einmal an, hob ihre Arme wie zu einer segnenden Geste. Ihr wisst, Abschiede gibt es für mich nicht! Diesen wunderbaren wie rätselhaften Satz sagte sie und hatte, beabsichtigt oder nicht, einen hervorragenden Auftritt in der Gesellschaft ihrer Schwester.

      Gegen Mitternacht holte Hertha Herrn Böck, der oben im Haus die kleine Wohnung hatte. Über Herrn Böck hatte Hertha schon gesprochen. Ein Anthroposoph, Schauspielschüler bei den Anthroposophen. Hertha stand der Steinerlehre nahe, sagte, sie sei allerdings zu dumm, um alles zu verstehen, Gisel sei da viel weiter. Auch Anne, Gisels Tochter. Ihre Mutter sei zuletzt ebenfalls Anthroposophin gewesen. Herr Böck saß nun zwischen den anderen Gästen, bleich, unschön, die Lider gesenkt, bis er befragt wurde. Worüber konnte man Herrn Böck befragen? Über seine Schauspielkunst! Nun redete er, den Blick über die Gäste hinweg mit einer tönenden Stimme für fünfzig Zuhörer. (Auch er eine Attraktion, dachte sie.) Plötzlich sank der anthroposophisch schauspielernde Herr Böck in sich zusammen.

      Sie hatte ihn wieder und wieder angesehen, und ihre großen Abneigung absichtlich in ihr Gesicht gelassen. Vielleicht war er dauerhaft ihrem Widerspruch nicht gewachsen gewesen. Sie maßen sich immer noch einmal mit Blicken. Einer gab dem anderen nichts nach. Das hatte sie manchmal, dass sie einen Menschen vom ersten Augenblick an geradezu verabscheute. Bei näherem Kennenlernen änderte sich das meist.

      Heinrich saß für sich allein an der Tafel. Der lange Tag hatte ihn genauso wenig mitgenommen wie Hertha. Seine Hände lagen weiter ruhig. Sie setzte sich neben ihn. Kannst du dich eigentlich noch an mich als Kind erinnern?, fragte sie.

      Sicher.

      Ich weiß noch, wie du mich in Dornstetten auf dem Motorrad mitgenommen hast. Wir sind an einem Kornfeld vorbeigefahren. Ich hab so eine Angst und gleichzeitig so eine Freude gehabt.

      Heinrich älter als die anderen, das hatte sie deutlich wahrgenommen. Und seine Freundlichkeit. Seit dem gestrigen Abend wusste sie, Heinrich und Hertha hatten sich immer eine Tochter gewünscht. Deshalb wohl die besondere die Zuneigung zu Heinrichs Nichte Bärbel, und Gisels Tochter Anne. Sie selbst erfuhr ebenfalls Zuwendung, die ihr nicht ganz erklärbar war. Unser erstes, das tot geboren wurde, war eine Tochter, hatte Hertha gestern traurig gesagt. Und woran erinnerst du dich?, fragte sie Heinrich.

      Du hattest ganz helle blaue Augen, fast durchsichtig. Hast du die eigentlich immer noch?

      Nein.

      Und an deinen Augenaufschlag erinnere ich mich!

      Sie lachte. Das war Heinrich, der sich die Koketterie eines Kindes merkte.

      Hertha befragte jeden, brachte dann Teller, auf denen verschiedenste Käsesorten und Weintrauben lagen. Wie sie herumging: eine Herrscherin, die diente.

      Sie unterhielt sich mit Götz. Mit einem Mal saßen sie nur noch zu viert an der Tafel. Die Gäste verschwunden.

      Hertha wurde von plötzlichem Ekel gepackt. Ach, Heiner, wo stehet wir jetzt? Was habe wir erreicht? Sie streckte sich, griff mit der einen Hand in ihren Nacken, mit der anderen suchte sie Heinrichs Arm, ihre leichte, gelb umrandete Brille hatte sie in das kurze, glatte Haar geschoben. Den Kopf halb im Nacken liegend, schaute sie auf Götz. Darf man als Mutter net was von seine Söhne verlange? Isch das abartig, wenn man sich von ihne was erhofft? Von Stefan, da wolle wir jetz net rede. Aber Götz, was tusch du, das man sage kann, ja er leischtet was. Er geht seinen Weg.

      Leischte i nix?, sagte Götz aufgebracht. Du mit deiner Meinungsforschung, du tusch doch auch nur, was die wollet, damit dene ihre Wirtschaft floriert!

      Des ischt so ungerecht, so grenzelos ungerecht, Hertha. Du machst dir ein Idealbild von deine Söhne, vor dem es ja nur Versage gebe kann.

      Und du, Beate, wie angepasst du die ganze Zeit warscht!

      Sie lachte. Hertha hatte den Punkt getroffen. Sie hatte vor der Übermacht von Meinungen kapituliert, hatte sich im Übrigen schon lange Reden gegen taube Ohren abgewöhnt. Hertha hätte sicher gern eine Rebellin gehabt an dem Abend, eine, die das Maul aufmachte.

      Was war in der Familie angelegt!, sagte Hertha. So viele großartige Leut!

      Denkst du an deinen Großvater, diesen Senatspräsidenten in Stettin?

      Den vielleicht auch. Aber der isch feig gewese in der Liebe. Hat net die g´heiratet, die er hat wolle. Eine Schauspielerin, des war verpönt zu dere Zeit. Hat die g´heirat, die er hat solle. Und die Arme is in de Neuros geflücht, weil sie´s net ausgehalte hat mit ihm.

      Nichts hasst Hertha mehr als Feigheit in der Liebe, dachte sie, erinnerte sich, wie aufgebracht Hertha von Heinrichs Versagen in früher Ehe berichtet hatte. Nicht, dass er eine Geliebte hatte, erschien ihr jetzt das Schlimmste, sondern Heinrichs Reaktion. Die Vesper muss weg!, hätte er sofort gemeint, als Hertha ihn gestellt hatte. Die Veschper! Wie er von ihr sprach!, hatte Hertha gesagt. Dabei hätt er bloß genau hinhören müssen. Nicht oben, habe ich gesagt. Wenn´s sein muss, dann im Gartenhäuschen. Und wieso musste sie denn gehen, wieso nicht ich? Bin ich als Ehefrau etwas so viel Höheres, Erhabeneres? Nur wegen einem Fetzen Papier. Die Männer sind so feig, hatte Hertha eines Abends in Ostberlin erbittert ihren Bericht geschlossen. Sie sind innerlich nicht über ihre Pubertät hinaus. Sie gehorchen ihren Ehefrauen, wie sie früher ihren Müttern gehorcht haben. Darüber solltest du schreiben. Das wäre ein Thema. Warum sich junge, attraktive Intellektuelle, Frauen mit Geist, auf solche Verhältnisse einlassen.

      Hertha präzisierte. I denk an den Vater seiner Frau, der in Berlin vortragender Rat im Kultusministerium war. Noch mehr annen Brandenburger Kröger, den Tuchfabrikante. Warsch mal in der Brandenburger Kirch und hasch nach seinem Grabstein g´schaut?

      Sie schüttelte den Kopf, war Herthas Aufforderung immer noch nicht nachgekommen.

      Der war so einer, der net nur an sich un an sein Kapital gedacht hat. Ja, das ischt ein durchgängiger Zug in unserer Familie. Das Religiöse un des Soziale. I hab mir gedacht, unsere Söhne wäret religiös veranlagt. Aber ´s scheint net der Fall zu sein. Das Religiöse is net da. Un für die Kunscht interessiere se sich auch net. Unsere Bilder, die Bücher, alles dahin, wenn wir amal nimmer sind.

      Stellsch uns ja wie Banause hin, intervenierte Götz, ´s wird schon in die richtige Händ gelange, Hertha!

      Um auf mein Anliege zurückzukomme: In unsere Familie hen se net bloß für sich selbsch gelebt, sie hen auch was leischte wolle inner Gesellschaft.

      Hertha war in stärkeres Schwäbisch verfallen. Je nach Gefühlslage redete sie mehr Hochdeutsch oder mehr Schwäbisch, wobei sie ein eigenartiges „R" sprach, aus dem Rachen her wie im Französischen, was sie wohl aus dem Hochschwarzwald mitgebracht hatte, wo sie herstammte, oder aus der Zeit, die sie als junges Mädchen bei der Schwester ihrer Mutter in Frankreich verbracht hatte. Um ihre Behauptung zu untermauern, erzählte sie eine wilde Geschichte von weiteren Verwandten, die nach Amerika ausgewandert seien, weil ihnen


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