Tahiti. Gerstäcker Friedrich
Читать онлайн книгу.habt Ihr nicht heidnische Gebräuche bei Eurer Religion?" frug ihn das Mädchen jetzt dringender.
„Aber, Du gutes Kind," bat sie René, „sage mir nur -"
„Oh bitte, bitte, beantworte mir meine Frage treu und wahr," unterbrach ihn aber in fast ängstlicher Hast das schöne Mädchen - „ich will Dir dann auch mit Freuden jeder Frage Rede stehen."
„Nun gut denn, Sadie, Dich zu beruhigen, will ich Dir jeden Aufschluß geben, der nur in meinen Kräften steht. Du weißt gewiß von Deinem Pflegevater, daß es viele, viele Weiße in anderen Welttheilen giebt. Diese glauben wohl Alle an einen Gott, aber sie haben verschiedene Namen für ihn - sie beobachten verschiedene Formen, ihn anzubeten."
„Und Alle beten wirklich zu dem einen Gott!" sagte Sadie staunend - „nicht andere Götter sind es, die Ihr verehrt?" /58/
„Sie haben sich große Mühe gegeben, Sadie," sagte René, „Dir den Glauben so vieler Tausende von der schlimmsten Seite zu schildern - und schon das allein wäre nicht christlich."
„Aber Eure Sünden werden Euch für Geld vergeben," sagte Sadie, während ihr Auge angstvoll an dem des Fremden hing.
„Um Geld nicht, mein Herz," erwiderte aber René - „und wo es geschieht, ist es eben ein Mißbrauch der Geistlichen, die Manches in den Formen unserer Gottesverehrung zu verantworten haben. - Aber sollen wir etwa glauben, daß Gott dem schwachen Menschen, der da einmal gesündigt, auf immer zürnt? ist es nicht wahrscheinlicher, daß er in seiner unendlichen väterlichen Huld uns, wenn wir wirklich Reue fühlen, verzeiht? Dürfen wir uns denn Gott, den Allbarmherzigen, als einen ewig zürnenden Richter denken, der sogar ungerecht bis hinab in's dritte, vierte, ja zehnte Glied straft und richtet? - Nein, Sadie - dieser Glaube mag oft durch böswillige oder eigennützige Geistliche gemißbraucht sein, ich will das nicht leugnen, aber es ist immer kein G ö tz e n dienst, und wer Dir das gesagt hat, mag es vielleicht recht gut gemeint haben, aber er übertrieb die Sache. - War es Dein Pflegevater, Sadie?"
„Nein," sagte das junge Mädchen, leise und nachdenklich mit dem Kopf schüttelnd - „mein Pflegevater ist nicht so streng und ernst. Er hat mir oft gesagt, daß unter den Franzosen auch gewiß recht viel brave und gute Menschen wären, vielleicht eben so viel wie unter den Engländern - nur daß ihre Religion nicht die rechte sei und daß sie noch viele Mißbräuche duldeten."
„Und wer hat Dir sonst so Böses von uns erzählt, mein Lieb?" lächelte -René - „in Deinem eigenen Köpfchen ist es doch Wahrlich nicht entsprungen."
„Nein," sagte das Mädchen treuherzig - „aber auf Tahiti wohnt ein frommer, ernster, strenger Mann - der kommt des Jahres wohl ein- oder zweimal auf unsere Insel herüber und predigt hier. - Wir fürchten uns aber Alle vor ihm, denn wir dürfen dann keine Blumen in den Haaren tragen
/59/ und nicht lachen und fröhlich sein, und er macht uns das Herz dabei auch so schwer, daß wir, wenn er schon selbst Wochen lang fort ist, immer noch an die entsetzlichen Strafen denken müssen, die uns, selbst nach leichtem Vergehen, in der Ewigkeit erwarten. - Oh, er ist gar so finster, aber auch sehr fromm, und er besonders hat uns vor Deiner Religion gewarnt und uns mit ewiger Verdammniß gedroht, so Eins der falschen Lehre lauschen würde - und Du bist auch Katholik, René?"
„Ich gehöre allerdings zu jenen Entsetzlichen," sagte René fast scherzend; als er aber den schmerzlichen Zug um des lieben Kindes Mund gewahrte, setzte er rasch hinzu - „aber fürchte nicht für mich, Du treues Herz - ich selber hänge nicht an jenen Gebräuchen, obgleich sie unsere Kirche verlangt, wenn ich sie auch nicht für so gefährlich halte, als Deine Priester Dich gelehrt haben."
„Ach, das beruhigt mich recht, René," sagte die Maid und preßte die Hand auf das Herz, als ob sie da Alles niederdrücken wolle, was ihr jetzt Gram und Kummer machen wolle - „und Vater Osborne sagt ja auch, daß Gott so gut - so unendlich gut sei und die Menschen alle wie seine Kinder liebe - würde er dann so hart und grausam strafen können? - Lieber Gott," setzte sie mit recht treuherziger bewegter Stimme hinzu - „ich möchte ja nicht einmal ein fremdes armes Kind für ein wenig Muthwillen hart strafen - viel weniger denn mein eigenes."
„Und glaubst Du, Sadie, daß Euch Gott ein Paradies zum Aufenthalt gegeben und Eure Wohnungen weit, weit von dem Verkehr habgieriger, schlechter Menschen gelegt hatte, Ihr Jahrhunderte lang die Einfachheit Eurer Sitten bewahrtet, wenn er auf Euch zürnte und Euch für einen falschen Glauben strafen wolle? - Nein, mein Herz; solchen traurigen und selbst ungerechten Gedanken gieb in Deiner Seele keinen Raum. Doch fort mit diesen trüben Gedanken, laß uns von uns selber reden, Sadie; von Dir, von mir, von unserem künftigen Leben - mir wenigstens ist es zu Muthe, als ob mit dem letzten tollkühnen Schritt, den ich gewagt, ein neues, herrliches Dasein für mich erschlossen wäre. /60/ - Und nicht dieser sonnige Himmel, diese blaue See, diese wehenden Palmen sind es, die mir dies selige Gefühl in's Herz gelegt - Deine Nähe ist es, Mädchen, die mich mit einer Ahnung künftigen seligen Glücks umfängt. Rastlos und von einem innern Drang getrieben, dem ich keinen Namen zu geben wußte, jagte es mich in der Welt umher - die afrikanischen Wüsten und kanadischen Wälder konnten die Sehnsucht nicht befriedigen, die mich weiter und weiter drängte. Als Soldat zog ich in die Raubstaaten der Algierer - umsonst; als Jäger in die Felsengebirge Amerikas - umsonst; selbst die See versuchte ich, und in den Eismeeren des Nordens glaubte ich vielleicht den Punkt zu finden, der mir nicht Rast noch Ruhe ließ. Aber wie Spott klang es mir überall entgegen, und das rohe, widerliche Wesen meiner letzten Umgebung zwang mich endlich auch zu dem letzten entscheidenden Schritt, die mir unerträglich gewordenen Fesseln abzuschütteln - oder darüber zu Grunde zu gehen. Da fand ich Dich, Sadie - und ich fühle nun - oh mit jubelnder Stimme hallt es in meinem Herzen wieder, daß Du bis jetzt, Sadie, das nur geahnte, aber so heiß ersehnte Ziel gewesen, dem meine Seele entgegenstrebte. Werde mein Weib - laß uns auf dieser freundlichen Insel, fern von den Sorgen, dem gefühllosen Treiben der Welt, unsere Heimath gründen. - Tief im Laub dieser Palmen versteckt, von diesem lachenden Himmel überspannt, von diesen blauen Wogen umspült, an Deiner Seite, Sadie, und die Welt, die mir bis jetzt nur eine kalte, freudlose Straße gewesen, meinen Wanderstab darauf zu setzen, würde mir zum Himmel."
Er hatte ihre rechte Hand, die sie ihm willenlos überließ, leidenschaftlich in seine beiden Hände gefaßt, und schaute mit leuchtenden Blicken und hochgerötheten Wangen dem jungen schönen Mädchen bittend in's Angesicht.
Sadie saß mit klopfendem Herzen und niedergeschlagenen Augen neben ihm - sie war recht ernst, ja fast traurig geworden, und schaute lange sinnend vor sich nieder. - Endlich blickte sie wieder zu ihm auf, sah ihn mit den treuen, in einer Thräne schwimmenden Augen an und sagte mit leiser, kaum hörbarer, wie furchtsamer Stimme: /61/
„Und wenn Du wieder fortgingst von mir?"
„Nie - nie - Sadie!" rief René leidenschaftlich und preßte, sie an sich ziehend, einen heißen, glühenden, Kuß auf ihre Lippen. Sie duldete den Kuß, ohne ihn zu erwiedern, dann aber sich langsam seinem Arm entziehend, sagte sie leise:
„Willst Du mir etwas versprechen, -René?"
„Alles, Sadie, was in meinen Kräften steht," rief René, die Hand nicht lassend, die er noch in der seinen hielt.
„Dann versprich mir," flüsterte das schöne, jetzt tief erröthende Mädchen, „daß Du davon nicht wieder mit mir reden willst, bis mein Vater, der Missionär, zurückgekehrt ist, und -" ihre Stimme war so leise geworden, daß er die Worte kaum verstehen konnte - „und mich auch bis dahin nicht wieder küssen willst."
„Sadie!"
„Versprich mir das - nicht wahr, Du sagst es mir zu?" bat sie dann, und schaute ihm dabei so lieb und unschuldsvoll in die Augen, daß er ein Heiligenbild zu erblicken glaubte.
„Wie könnte ich Dir die erste Bitte abschlagen, Sadie," sagte er mit tiefem Gefühl.
Da schwand der fast traurige Ernst von den Zügen des Mädchens. Wie die Sonne aus trüben Wolken plötzlich über grüne wogende Saatfelder bricht, so überflog ein frohes Lächeln die engelschönen Züge.
„Das ist gut von Dir," sagte sie mit inniger Herzlichkeit - „das ist recht