Die Träume von Macht. Eckhard Lange
Читать онлайн книгу.sich in seinem spärlich ausgestatteten Spielzeugfundus befunden hätte. Aber er brauchte keine Zinnfiguren, um sie ihre Lanzen senken zu lassen, damit sie einander berannten. Er sah auch so, wie ihre Fähnlein in den Wind gehoben wurden, wie die Getroffenen vom Roß stürzten, wie die Sieger über die Verwundeten hinwegritten und mit lautem Schrei in die belagerte Stadt eindrangen. Und er befehligte das erfolgreiche Heer, ließ die feindlichen Anführer auf hohem Podest öffentlich hinrichten und zwang die Unterworfenen unter seine Gewalt. Später zwang er auch deren Töchter in die eroberten Betten, um sie lustvoll zu demütigen.
Noch später wandelten sich seine Träume, fanden sich Akteure und Bühne in der Gegenwart, und als auch sexuelle Fantasien ihm nicht mehr genügend Macht verschafften, verwandelten sich die Heere in Konzerne, weltweit agierend, Millionen, ja Milliarden anhäufend, die Konkurrenten zur Aufgabe zwingend oder sie sich einverleibend. Und er stürzte aus der Chefetage heraus Regierungen und trieb ganze Staaten in den Konkurs. Ja, er träumte - böse, lustvolle, machtbesessene Träume. Er träumte schon in seinen ersten Schultagen, während er auf dem Schulhof seine Mütze aus den Pfützen sammeln und auf der Straße sein Taschengeld abliefern mußte. Doch wo die Gleichaltrigen durch die Wirklichkeit gingen und ihre kleinen, aber sehr realen Erfolge genossen, waren die seinen irreal, dafür aber gewaltig und maßlos.
Später hieß es, ihm hätte der Vater gefehlt in den prägenden Jahren seines Heranwachsens, ihm hätte ein Vorbild gefehlt, das Erfolg an tatkräftiges Handeln knüpfte. Ihm hätte auch jemand gefehlt, der Lebensziele mit Verantwortung und Anstand verband. Später weiß man es immer besser. Aber was sollte die Mutter tun, die den Vater nicht einmal mit Namen kannte, weil er zu schnell wieder aus ihren Augen verschwand, die jung und in solchen Dingen unerfahren betrogen wurde um die schönsten Jahre ihres Lebens und die so schmerzlich kurz hervorgebrochene Liebe nun einem Säugling zuwenden mußte, der alle Zuwendung verlangte und bald anzeigte, daß er keinen neben sich duldete, schon gar keinen Mann an der Seite der Mutter.
So blieb sie einsam, und nur das Getuschel der Nachbarn machte sie glauben, der Samenspender sei von achtens- wertem Rang, von großem, geldwerten Einfluß gewesen und auch ausgezeichnet durch hohe Intelligenz. Sie wußte es nicht, hätte es wohl auch kaum bemerkt in der hitzigen Begegnung jener einen Nacht, als wenig geredet, sondern eilfertig-brünstig zur Sache geschritten wurde. Sie wußte nicht einmal zu sagen, ob der Sohn etwa dem Vater ähnlich sei, denn dessen Gesicht war ihr nicht mehr erinnerlich.
Daß er indes seinerseits Mutter und Kind nicht aus dem Auge verlor, auch wenn er keinerlei Beitrag leistete zur Erziehung und nicht einmal zum Unterhalt der beiden, auch das wußte sie nicht und hat es nie erfahren.
So blieb er ohne Vorbild und auch ohne Moral - außer den täglich und kläglich gescheiterten kleinbürgerlichen Ermahnungen seiner Mutter. So suchte er sich selbst seine Vorbilder und errichtete sich Verordnungen einer eigenen Moral, und die hatte nur ihn selbst zum Ziel und zur Norm. Doch das alles blieb allen verborgen - der Mutter, den Lehrern. Nur die Kinder auf dem Schulhof und auf der Straße begannen langsam zu spüren, daß er nicht Opfer war wie anfangs, sondern Täter wurde, wenn auch auf seine Weise, und die war schmerzhafter und gefährlicher als das, wozu sie fähig waren. Dahin war für ihn vielleicht ein weiter, aber ein erfolgreicher Weg. Und irgendwann waren sie ihm untertan, anerkannten seine Macht und gehorchten seinen Befehlen, ohne daß er selbst Hand anlegen mußte.
Thessi
In Wahrheit heiße ich Theodor Sieghart Ath. Ein unmöglicher Name, ich habe ihn nie gemocht, weiß der Teufel, wer ihn meiner Mutter aufgeschwatzt hat. Theodor und Sieghart sollen die Namen der beiden Brüder von Mama gewesen sein. Vielleicht waren sie ja meine Taufpaten, doch ich habe sie nie kennengelernt: Eine unverheiratete Mutter paßte nicht in die Vorstellungswelt der Familie, so hielt man Distanz, was nicht schwerfiel, denn beide lebten weit entfernt irgendwo im Süden Deutschlands. Als ich denken oder fragen konnte, war der Kontakt längst abgerissen.
Mama rief mich übrigens nur Tessi - oder sollte ich lieber Thessi schreiben? Es war wohl eine Kurzfassung, zusammengezogen aus beiden Namen. Alle nannten mich nur Thessi, selbst die Pädagogen in den Lehranstalten, die ich zwangsweise absolvierte.
Es stimmt: Ich habe die Schule nie gemocht, und sie hat meine Abneigung herzlichst erwidert. Was gab es denn da schon zu lernen? Was nach meiner Auffassung wirklich wichtig war fürs Leben - und dafür lernen wir ja angeblich - das kannte ich längst, ehe irgendein Pauker sich bemühte, es umständlich zu erklären. Warum sollte ich da noch hinhören? Ein Blick in meine Bücher, und ich wußte Bescheid. Und meist war mein Wissen umfangreicher als das der Lehrenden. Aber damit war weder mir noch ihnen geholfen. So verweigerte ich mich, baute mir meine eigene Schule mit selbstbestimmtem Lehrplan. Und mit Fantasie. Sie war für mich das, was die Pädagogen Vertiefung nannten: Was ich bei mir selbst gelernt hatte, das nahm in meiner Fantasie Gestalt an, wurde Wirklichkeit - virtuelle Wirklichkeit, um genauer zu sein und im Sprachgebrauch dieses Zeitalters zu bleiben. Es gab nur weniges, was mich mit der Schule verband. Sport etwa, denn ich lernte rasch, daß nur ein trainierter Körper in der Lage war, den Demütigungen entgegenzutreten, denen ich in den ersten Jahren der Schulzeit noch ausgesetzt war. Wie ich bald feststellte, gab es zwei Typen, die für die Masse der anderen zur Zielscheibe wurden: die besonders Schlauen und die besonders Dummen. Und ich gebe es zu: Ich war beides - das eine für mich selbst, das andere in ihren Augen, weil sie mich mit den Augen des Lehrkörpers betrachteten. Doch das sollte sich in gleichem Maße ändern, wie ich ihnen körperlich überlegen wurde.
Ja, Schule war mir gleichgültig, auch wenn es mich einige Wiederholungen von Klassenstufen kostete. Aber da ich wenig Freunde hatte, traf mich das kaum. Mochte neben mir sitzen, wer wollte - oder wer mußte. Nur einmal habe ich bedauert, daß ich nicht versetzt wurde. Da war Frau Kauffmann unsere Klassenlehrerin, und die habe ich dadurch verloren. Gerade, als ich ernsthaft überlegte, ob ich mich ihr auch privat nähern sollte. Nicht, daß ich ihren Unterricht besonders schätzte. Ich schätzte ihren Körper. Schließlich war ich damals dreizehn, und meine Fantasie war noch einige Jahre älter. Sie trug ständig enganliegende Pullover oder Shirts, die ihre Brüste hervortreten ließen wie eingearbeitete Pampelmusen. Oft hatte sie dazu noch Miniröcke an, die wunderbar lange schlanke Beine freigaben. Ich habe sie fast jede Stunde ausgezogen - ganz langsam, obwohl ich gierig und aufgeheizt war. Aber ich hatte ja 45 Minuten Zeit, bis sie nackt dastand. In meiner Fantasie, wie sonst! Aber der Wunsch wurde immer stärker, aus der virtuellen in die reale Welt zu wechseln.
Vielleicht war es gut, daß ich dann sitzenblieb. Schließlich wuchs der Samenerguß langsam über bloßes Tröpfeln hinaus. Und eine nasse Hose hätte mich wohl alles Ansehen gekostet, das ich mir dank meiner körperlichen Überlegenheit bei den Mitschülern erworben hatte. Aber bis heute bilde ich mir ein, daß sie sich damals allein für mich so aufreizend gab - und nicht für den jungen Kollegen, den sie tatsächlich später geheiratet hat. Immerhin war ich zu jener Zeit als einziger zwei Jahre älter als die anderen Schüler in ihrer Klasse, und damit ein geeignetes Objekt für heimliches Begehren einer jungen Frau.
Ach, meine Schulzeit! Ich habe wenig gelernt, das sagte ich schon. Aber ich habe viel gelernt über mich selbst. Ich wußte nun, daß es mir leichtfallen würde, komplizierte Aufgaben, die das Leben stellen könnte, zu lösen - auch ohne entsprechende Noten. Ich wußte auch, wie man mit unlösbaren Problemen so umgeht, daß sie einem nicht den Weg verstellen: Manche kann man ignorieren, andere umgehen, man kann sie anderen zuschieben, die dann daran scheitern, man kann auch Scheinlösungen anbieten, die sich erst viel später als Trugschluß erweisen, wenn du längst darüber hinausgewachsen bist.
Und auch das habe ich über mich gelernt: Daß Träume wichtig sind, daß sie - scheinbar irreal - Realität verändern, ja schaffen können. Große Erfinder wissen das. Ich habe zwar nichts erfunden, jedenfalls keine Geräte oder Maschinen, keine Zugänge zu neuen Erkenntnissen. Aber ich habe anderes erfunden: Wie ich mir Einfluß verschaffe, möglichst mühelos und ohne Kosten zu verursachen; wie ich Macht aufbaue, ohne allzu große Opfer dafür zu bringen; wie ich andere einbinden kann in ein Netzwerk, das nur mir dienlich ist, ohne daß sie es überhaupt bemerken. Das sind komplexe Fähigkeiten, und nicht