Frauen und ihr Erbe. Marianne Peternell

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Frauen und ihr Erbe - Marianne Peternell


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o König!’

      ‚Soll Nagasena etwa außerhalb dieser Faktoren existieren?’ ‚Nein, o König!’

      ‚Soll denn das Wort ‚Nagasena’ schon Nagasena selber sein?’ ‚Nein, o König!’

      ‚Dann existiert Nagasena also gar nicht in Wirklichkeit?’

      Da fragte Nagasena den König: ‚Bist du zu Fuß oder mit dem Wagen gekommen?’ ‚Mit dem Wagen.’

      ‚Dann erkläre mir, was ein Wagen ist. Seine Deichsel? Oder die Achse? Oder die Räder? Oder der Wagenkasten?’

      Als der König alles verneint hatte, fragte Nagasena: ‚Soll etwa der Wagen außerhalb dieser Dinge existieren oder der Name ‚Wagen’ der Wagen selbst sein?’

      ‚Nicht doch, o Herr!’

      ‚Nun, was ist denn dieser Wagen? Du sprichst die Unwahrheit. Der Wagen existiert gar nicht.’

      Da sprach der König zu Nagasena: ‚ Ich lüge nicht. In Abhängigkeit von Deichsel, Achse, Rädern usw. entsteht der Name, die Bezeichnung, das Wort ‚Wagen’.

      ‚Ganz richtig, o König. Gerade so entsteht in Abhängigkeit von Körper, Empfindung, Wahrnehmung, Willensregungen, und Bewusstsein der Begriff und das Wort ‚Nagasena’. Eine Wesenheit/Person ist da aber nicht vorzufinden.“ (Milindapantha: zit. nach Konrad Meisig: Klang der Stille. Freiburg/Basel/Wien, 1995, S.120f)

      Natürlich könnte man nun schlussfolgern: Das Ganze ist mehr als die Summe der Teile und hätte dann eine logische Operation ausgeführt. Doch dies folgt wieder dem abendländischen Zwang zur Kategoriebildung, zur Verallgemeinerung und zur Begriffsbildung. Die andere Möglichkeit wäre in einen interaktiven Dialog mit der Person Nagasena einzutreten, an der der König in seiner Ganzheit und Nagasena in seiner Ganzheit sich austauschen und dabei Neues erleben, Erfahrungen mit sich und dem anderen machen oder Erkenntnisse haben im Wechselspiel von Schweigen, Sprechen und Tun in erlebter Gegenwart.

      Zusammenfassend könnte man also sagen, der Weg der Mehrheit der Frauen wie der magischen Welt ist trotz manch gegensätzlicher theoretischer Auffassungen mehr ein Weg der primären Erfahrung und des Tuns als ein Weg des Analysierens, Benennens und der Begriffe zum Zwecke der Ordnung der Welt in Abgrenzung.

      Erfahrung mit Licht, Farbe Zeichen, Nahrung, Heilung, Klang, Ton, Musik, Mythos, Bildwelten, Gesten, Mimik, Schweigen und Sprechen im Sinne des performativen Tuns führt zu Weisheit. Beinahe alle Weisheitsschulen der Welt legten daher größten Wert auf die mündliche Tradierung ihres Wissens und maßen trotz der Erfindung der Schrift dieser nicht die zentrale Bedeutung bei. So formulierten beispielsweise die Sufis diese Haltung zur Tradierung von Wissen in dem Satz, man könne ja auch nicht einen Kuss mit einem Brief senden.

      Jede/r die/der beispielsweise ‚Empowerment’ praktiziert hat, weiß, wovon ich spreche. Doch jemand, dem solche Praxis völlig fremd ist, der möglicherweise halbherzige Versuche mit mäßigem Erfolg macht, wird zutiefst daran zweifeln. Wie erklärt man jemandem, der keinen Apfel kennt den Apfel? Erfahrung mit den damit verbundenen Erkenntnissen erwirbt man durch Übung, durch Praxis, dies erfordert jedoch einen öffentlichen Raum, die solcher Praxis Gewicht gibt, setzt also Weisheit der Mächtigen voraus. Ja, setzt voraus, dass den Lebensformen der Frauen, der Völker, dem eigenen Volk selbst Weisheit innewohnt, die sich an die Vernunft anschmiegt. Empowerment ist nur ein kleiner Ausschnitt der möglichen Strategien, denn das Reich der Poesie, der Musik, des Bildhaften, des Sinnlichen und der Bewegung ist voll von solchen Bezugsfeldern des Performativen, des Wandelns von Realität, die wechselweise wie in einem Netzwerk aufeinander einwirken.

      5Exkurs Anmerkungen zur Natur der Geschlechter

      Ich wurde von einem Freund gefragt: Was verstehst eigentlich du unter „Natur“? und ich habe darüber nachgedacht.

      Natur ist meines Erachtens das Wirken von Kräften ohne das Zutun des Menschen. Also beispielsweise das Sein und sich Gestalten der Landschaften, das Wachsen der Pflanzen, die Entstehung und das Leben der Tiere und Menschen, Geburt und Tod und bei weiblichen Menschen und Primaten auch die Menstruation. (Im Folgenden gehe ich auf die besonderen Thematiken von Transgenderpersonen nicht näher ein.)

      Die Menstruation setzt mit Kraft als Naturereignis eine wichtige Veränderung in dem Leben des Mädchens. Ab sofort kann es Kinder bekommen. Ab sofort ist es in einen monatlichen Zyklus eingebunden, der mit der Menstruation und den Empfindlichkeiten dieser Phase, die den Mädchen den Weg nach innen weisen, seinen wiederkehrenden Rhythmus hat. (Penelope Shuttle/Peter Redgrove: Die weise Wunde Menstruation; Frankfurt/Main, 1982) Die „Regel“ ist blutig, ist erdig, in vielen Kulturen mit Ängsten, Aggressionen gegen Frauen, mit wilden Gefühlsausbrüchen verbunden. In manchen alten Kulturen haben Männer in Entsprechung für die jungen Burschen grausame Initiationsriten eingeführt, damit auch diese bluten und visionäre Träume entfalten. Die Natur aber äußert sich in der Pubertät des Burschen ausschließlich im Stimmbruch und im unwillkürlichen Samenerguss, der sie zur sexuellen Lust führt.

      In der Pubertät des Mädchens ist es die Menses, die sich die gesamte Zeit ihrer Fruchtbarkeit, also etwa 30 Jahre lang monatlich wiederholen wird. Frauen haben sie verflucht und gehasst und dafür mit starken menstruellen Schmerzen bezahlt. Einzig das Akzeptieren, die Hingabe, das Hineinatmen, das Entspannen, Wärmen, in Sich Gehen, das eine große Innenschau eröffnet, kann diese Qualen begrenzen, wenn sie nicht durch Chemie unterbunden werden. Es ist traurig, dass es heutzutage viele Frauen gibt, auch solche, die meinen, dass sie Feministinnen sind, die diese Funktion der weiblichen Natur ablehnen und verachten und hassen.

      Mädchen durchlaufen in ihrer Periode, sofern sie deren Phänomene nicht durch die Einnahme der Pille unterbinden, eine „Schule der Natur“ zu einem mehr an innerer Wahrnehmung und Erkenntnis, was einen völlig anderen Weg des Erkennens bedeutet als das Walten des Logos.

      „Es ist die Zeit (die Zeit der Menstruation, Anm. d. Verf.), in der jede gesunde Frau ihre Fähigkeiten und Kräfte aufspüren kann, die nicht mit den Werten von Eisprung und Gebären in Verbindung stehen, sondern mit jener anderen Seite ihrer Natur, der Unabhängigkeit des Denkens und Handelns. Sie ist der komplementäre Teil zum Eisprung.“(Shuttle/Redgrove: a.a.O., S.29)

      So wie die Fähigkeit der Frau zur Reproduktion der Menschheit, also ihre exklusive Potenz Kinder in ihrer Gebärmutter reifen zu lassen bis zur Geburt, ist ihre Fähigkeit, bei Nichtbefruchtung die Gebärmutterschleimhaut blutig abzustoßen der andere Pol, der die Natur in der Frau nicht an ihre Fruchtbarkeit bindet. Es ist der Zyklus der Frau mit der Eireifung bis zu den fruchtbaren Tagen rund um den Eisprung, dann entweder zur Einnistung und Reifung des befruchteten Eis zum Embryo oder alternativ zur Menses, die die Frauen zur Innenschau ins Alleinsein zieht, offenbar an den Zyklus des Mondes gebunden. Sofern, besonders bei modernen Frauen der Zyklus mit dem des Mondes nicht übereinstimmt, kann man dies mittels einer Lichttherapie (schlafen bei Licht analog dem Licht des sich wandelnden Mondes) ziemlich rasch ändern. In vielen Kulturen wird der Zusammenhang mit dem Mondzyklus bezeugt, auch sprachlich. „Sogar der Name des Zyklus als menstrueller Zyklus leitet sich nach Auskunft der Lexika vom lateinischen mens, mensis in der Bedeutung von Monat ab. Dort heißt es auch, Monat sei gleichbedeutend mit Mond.“ (Shuttle/Redgrove, a.a.O.S.176) Es heißt auch, dass sich Begriffe aus den „Maßen, die der Mond vollzieht, ableiten: angemessen, Messung, Ausmessung, Mensur, messbar, Dimension, Unermesslichkeit, Meter..“(a .a O.,S 136) usw. Die Maße aber haben wiederum mit Verstand etwas zu tun und sie ermöglichen die Geburtenkontrolle. Alle Begriffe für ‚Ratio‘ leiten sich aus dem lateinischen Wort ‚ratus‘ ab und bedeuten zählen, berechnen, rechnen, alle Begriffe für ‘Verstand‘: Ermahnung, geistig, Mahner, Warner, Manie, Mänade, automatisch, sogar Moneten sind etymologisch mit dem lateinischen mens oder dem griechischen menos verwandt. Beide bedeuten ‚Verstand‘ (mind) oder ‚Geist‘ (spirit) und sind dem lateinischen ‚Mond‘ oder ‚monatlich’äquivalent. Das griechische Wort für Mond ist mene. Die Griechen kannten drei Begriffe für Gebärmutter: hustera, delphus und metra. Der Begriff metra bezeichnet den Gebärmutterhals und den Muttermund… Die Griechen nannten den Zyklus das


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