Schwarzer Freitag. Peter Schmidt

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Schwarzer Freitag - Peter Schmidt


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Eine Möwe lud vom Gestänge des Kinotransparents ihre Morgentoilette auf mich ab. Der Sprengwagen der Straßenreinigung erwischte meine Hosenbeine.

      Ein durch die Luft wirbelnder Margarinekarton traf mich am Hinterkopf, als ich das Gebläse der Tiefgarage passierte.

      Gegen all diese morgendlichen Attacken klangen die Beschimpfungen des Konditormeisters geradezu wie Schmeicheleien. Er ist der Halbbruder meines Nachbarn Hitzacker, und als er mich endlich im Dunst erkannte, warf er eine ganze Packung Pontechellys mit der Bemerkung aus dem Schlafzimmerfenster, unsere einheimischen Pralinen seien mir wohl nicht gut genug.

      Ich verfütterte das Zeug Stück um Stück an Charlotte (während sie ihren Kopf an meine Schultern gelegt hatte und in den Alben blätterte). Sie wirkte noch etwas fülliger, als vorher. Mag sein, dass bei dieser Konstitution schon drei- bis viertausend Kalorien ins Gewicht fallen.

      Charlotte verzehrte etwa zehntausend, davon kann man natürlich eine gewisse Wirkung erwarten.

      Ich legte vorsichtig meinen Arm um ihre Schultern.

      "Sie waren doch kürzlich mit meiner Schwester Dagmar zusammen?"

      "Nicht, dass ich wüsste." Wittgenstein stehe mir bei! Ein Mann in meiner Position kann es sich nicht einmal erlauben, in falschen Verdacht zu geraten, geschweige denn, wegen der Verführung Minderjähriger angeklagt zu werden.

      "Diese verlogene Schlampe."

      "Vielleicht hat sie mich mit jemand anders verwechselt."

      "Nein, sie sagte: 'Es war Paul Grob von nebenan – der Bursche mit dem Umwelttick'. Dagmar flunkert eigentlich nur, wenn sie in Schwierigkeiten ist."

      "Dass Sie Ihre eigene Schwester als Schlampe bezeichnen, macht mich doch etwas betroffen. Oder gelten solche Verbalinjurien in Ihrer Familie als Koseworte?"

      "Verbalin...? Sprechen Sie lieber deutsch mit mir, Paul."

      "Oh, Verzeihung."

      "Die Schittecks haben es nicht nötig, sich anzulügen. Sie sind ehrlich und aufrichtig. Sie sagen, was sie denken. Dagmar ist ein wenig schlampig, sie treibt's mit mindestens drei Kerlen in der Woche. Und Sie sollten auch wissen, dass sie an chronischen Geschlechtskrankheiten leidet – resistenten Erregern, wenn Ihnen das etwas sagt?

      Bei uns würde keiner so tun, als sei sie ein Engel. Sie will von ihren Freiern ein Kind, und wir unterstützen sie darin – ein hübsches kleines Kind mit Teufelskrallen und Hörnern – so blond gelockt wie Jesus Christus, dieser Scharlatan und Verführer."

      "Was sagen Sie da ... ein Kind?“, fragte ich und stand auf. "Geschlechtskrankheiten?"

      "Weil sie's immer ohne macht, die verrückte Nudel."

      "Sie nehmen mich auf den Arm, Tanja?"

      "Das müssten Sie doch selbst am besten wissen. Waren Sie denn nicht im Bahnhofshotel mit ihr?"

      "Nein, wie kommen Sie darauf?"

      "Sie geht mit allen Freiern ins Bahnhofshotel. Es kommt ihr nun mal am besten, wenn draußen Züge über den Bahnsteig donnern."

      "Nicht mit mir, ich bin seit dreißig Jahren verheiratet."

      "Na kommen Sie, Paul. Sie sind doch so was wie ein verklemmtes sexuelles Genie. Das merkt man an Ihrem feuchten Hundeblick. Ihre Nervenenden müssen bloß ein wenig freigelegt werden, damit sie wieder funktionieren. Sie haben seit zwanzig Jahren denselben Gaul geritten. Sie kennen jeden Flecken Apfelsinenhaut an Ihrer Frau. Und dann kommt dieses Flittchen, legt sich in den Garten und zeigt Ihnen ihre weißen Brüste ..."

      "Vielleicht hat sie ja nur den Namen ihres Liebhabers etwas undeutlich ausgesprochen?“, sagte ich. "Saul Trog statt Paul Grob, zum Beispiel. In der Nachbarschaft gibt's einen Juden namens Saul Log, fällt mir gerade ein. Er ist vor einem halben Jahr aus Israel eingewandert, weil ihm das Klima nicht bekam."

      "Und jetzt sind Sie auf den Geschmack gekommen und denken sich:

      Wenn ich schon die eine Schitteckschwester flachgelegt habe – was sollte mich daran hindern, es auch mit den anderen zu versuchen?"

      "Das nicht gerade. Aber ich muss gestehen, dass ich Sie sehr attraktiv finde, Tanja."

      "Ich suche was mit festem Bauch und praller Brieftasche."

      "Dann sind Sie genau richtig bei mir."

      "Na, das ist wieder mal bezeichnend. Kaum sind die Schittecks irgendwo eingezogen, schon steht das Viertel Kopf, und Väterchens Töchter werden geehelicht. Wollen Sie etwa Ihre Frau verlassen?"

      "Man kann über alles reden."

      "Schlafen Sie noch mal darüber", sagte sie und stand auf (irgend etwas schepperte wie eine alte Ritterrüstung, während ich Charlotte zur Tür begleitete).

      "Danke für die Blumen."

      "Bis bald, Paul." Sie warf mir eine Kusshand zu.

      Ich begleitete sie zur Verandatreppe – dann beobachtete ich, wie sie dem schmalen Pfad am Ufer des Weihers folgte und im Dunst verschwand.

      Eine Fee, die Fleisch und Blut geworden war …

      Das Gesicht der Rampling und der Gang einer Königin. Ich ging in den Garten, um nach den Blumen zu sehen. Als ich das Glasdach des kleinen Treibhauses anhob, sah ich, dass drei meiner kostbaren lilafarbenen Rosen mit grünen Einsprengseln herausgerissen waren; ihre Wurzeln lagen im Sand ...

      Die beiden Überlebenden ließen ihre Köpfe hängen, vielleicht, weil sie dem Verlust ihrer Verwandten nachtrauerten.

      Und das Geklapper in ihrem Kostüm?

      Ich brauchte eine Weile, um herauszufinden, dass unser achtundzwanzigteiliges Edelstahlbesteck mit dem eingeprägten Bundesadler fehlte. Ein Geschenk des Ministeriums für mein Engagement im Umweltschutz.

      Es sah wertvoller aus, als es war.

      Die russische Ikone dagegen – ein Erbstück meiner Mutter – hatte sie nicht der Plünderung für wert befunden – vielleicht, weil ihre Kostümtaschen dafür zu klein gewesen waren? Oder weil Heiligenbilder im Hause der Schittecks unheilvolle Schwingungen erzeugten?

      4

      Das auffallendste Merkmal von Kraken ist bekanntlich, dass sie ihre Fangarme überall haben, sie befinden sich ständig auf Beutesuche – ihre Saugnäpfe greifen durch alle Öffnungen, den Kamin und Kellerfenster eingeschlossen.

      Die Schittecks waren Kraken, von denen jede Art eine neue Überraschung bereithielt. (Falls man die Familie nicht gleich als einen einzigen großen Organismus, ein Konglomerat der verschiedensten Unterarten betrachten wollte.) Pulpen, Octopoda, Octopodacea, Polypen.

      Wenn ich nachmittags am Wohnzimmerfenster stand, sah ich den alten Schitteck auf einem flachen Holzkahn stehend wie in einer Lagune durchs hohe Schilf des Ufers staken.

      Octopus vulgaris – die Gemeine Krake. Vielleicht zählte er die Goldfische.

      Oder er dachte darüber nach, die trübe Flüssigkeit auf Flaschen abzufüllen.

      Brookmann hatte den Schittecks nach seinem mysteriösen Verschwinden mit dem Haus auch seine "wassertechnische Versuchsanlage" vererbt. An der Nordseite seines Hauses fließt der Dr.-Clemens-Kleiberbach durch eine im Boden verlegte Röhre.

      Für einen alten Junggesellen, der sich dem Umweltschutz verschrieben hatte, genau das passende Objekt der Begierde. Der Kleiberbach, benannt nach dem berühmten Naturschützer, war längst zur braunen Kloake verkommen. Brookmann hatte bei den Behörden erwirkt, für seine Anlage zur Gewinnung "reinen, klaren Flusswassers" beliebige Kontingente durch seine neu entwickelten Spezialfilter zu lenken.

      Der kleine Badesee zwischen unseren Gärten beruhte offenbar auf seinem alten Plan, mit einem kleinen Feuchtbiotop zu beweisen, dass sein Experiment kein Hirngespinst war.

      Die Schittecks beriefen sich bei der Einleitung


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