Blau Wasser. Gerstäcker Friedrich

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Blau Wasser - Gerstäcker Friedrich


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bewegte, von dem sie ausgegangen war. Selbst einige hannöversche Bauern in Holzschuhen nahmen an dem Tanze Theil, und wie der Schuster erst einmal sah, daß er sie Alle in Bewegung hatte, sprang er mit seinen Dissonanzen plötzlich in einen muntern Rutscher über, dessen Erfolg über sein Erwarten gut ausfiel.

      Eine Masse junger Leute, Burschen und Mädchen, waren an Bord, bei denen es eben keiner besondern Einladung bedurft hätte, sie zum Tanz zu bringen, und die fingen natürlich rasch an, sich lustig im Kreise zu drehen. Die Uebrigen folgten, wenn auch etwas langsamer, dem gegebenen Beispiel, und selbst von den Matrosen mischten sich einige zwischen die wie von der Tarantel Gestochenen, griffen sich die hübschesten Mädchen heraus und flogen im Tact herum, den jetzt die Holzschuhe der Hannoveraner, selbst ohne die dazwischen quietschende Violine, auf dem Deck der Captaube schlugen und stampften.

      Der Capitain hatte nichts gegen das fröhliche Treiben an Bord; bis acht Uhr, wo doch sämmtliche Mannschaft an /66/ Deck versammelt war, konnten sie toben, die Bewegung war ihnen überdies gesund, dann freilich, mit dem Ton der Glocke, war Feierabend - die Schiffs-Polizeistunde - und die Nacht begann. Die Zeit bis dahin mußte also nach besten Kräften benutzt werden.

      Rasch und schäumend, über die nur leise wogende See, verfolgte indessen das wackere Schiff seine Bahn; der Wind hatte sich nach Nordosten gedreht, und mit allen Segeln gesetzt, bis in die obersten Stengen hinauf, durchschnitt der scharfe Bug lustig die zischend und spritzend zur Seite schlagende Fluth. Vorn im Westen erhob sich zwar eine dunkle Wolkenschicht, hinter der die Sonne jetzt gluthroth niedersank, aber die obere Luftströmung ist der untern, über das Wasser streichenden, oft ganz entgegengesetzt, und keinesfalls bekümmerten sich die Passagiere um den grauen Saum, der ihren Horizont umzog.

      Hell und klar funkelten die Sterne schon vom sonst wolkenreinen Himmel nieder, und zu ihrer Rechten wurde ein rothschimmernder Punkt dicht über dem Wasserspiegel sichtbar - ein Leuchtfeuer der englischen Küste, unter der sie hinsegelten. - Wie das so still und freundlich zu ihnen herüberglühte von dem fernen Strand, der sichere Führer nach dem Hafen dort. Aber ihr Ziel lag weiter; kein gastliches Ufer konnte sie ablocken von der bestimmten Bahn, und weiter und weiter zurück blieb das Nachtlicht, dort drüben, bis andere vor ihnen auftauchten, die Bahn bezeichnend, die sie nahmen.

      Der Tanz hatte jetzt aufgehört; die Tänzer waren allerdings so wenig müde geworden wie der Geiger, aber die Saiten des Instruments - wenn der violinartig geformte Kasten wirklich einen solchen Namen verdiente - weigerten längeren Dienst, mußten, da sie in der feuchten Abendluft mehr und mehr nachgaben, höher und höher hinauf geschraubt werden und platzten endlich. Nur die Holzschuhe waren einmal in Gang und Tact gekommen und klapperten fort, bis endlich des Capitains lauter Ruf auch ihre Fröhlichkeit unterbrach und den mißhandelten Schiffsplanken Ruhe gönnte.

      Es wurden Leute nach oben geschickt, die leichteren Segel einzunehmen und ein paar gegen Abend ausgesetzte Leesegel /67/ wieder einzuholen; die Wolkenwand im Westen hob sich höher und drohender, und der vorsichtige Seemann wollte sein Segelwerk bei doch etwa eintretendem andern Wind besser in der Gewalt haben.

      Die Oberbramsegel flatterten und schlugen im nächsten Augenblick an ihren Raaen, die „leichten Matrosen" sprangen nach oben, um sie an ihren Hölzern festzuschnüren; die Leesegel kamen ebenfalls blähend an Deck und wurden dort geborgen, und die nächste Wache, die von Acht bis Zwölf zu stehen hatte, lag, ihre Antrittszeit erwartend, vorn auf der Back, den Erzählungen des Segelmachers lauschend, der einst an Bord eines englischen Kriegsschiffes gedient hatte, und die nöthige Gabe besaß, ein „Garn zu spinnen", d. h. seine Erzählungen mit der fabelhaftesten Phantasie auszuschmücken und zu würzen.

      Die Auswanderer hatten sich indessen ebenfalls in kleinen Gruppen gesammelt. In Lee5 stand eine Anzahl von ihnen zusammen und sang ihre heimischen Weisen; Andere lehnten über Bord und schauten still und schweigend nach den einzelnen Leuchtfeuern hinüber, die jetzt auch von der französischen Küste her sichtbar wurden und untergehenden Sternen glichen, und wieder Andere lagen über die an Deck festgeschnürten Wasserfässer zerstreut, oder im großen, zwischen dem Haupt- und Fockmast befestigten Boot, bliesen den Rauch ihrer Pfeifen oder Cigarren in die stille Nachtluft hinein, und schauten zu den Sternen und den schwankenden Masten hinauf.

      Ein eigenthümlich schriller Laut pfiff da über die See, und das Schiff neigte sich plötzlich und scharf nach Lee hinüber, daß, wer nicht fest stand, zur Seite rutschte und rollte und alles an Deck stehende lockere Geschirr und Geräth polternd nach Larbord über kollerte.

      „Steht bei den Fallen! Los mit den Bramfallen, um Euer Leben, los mit den Marsen!" schrie in diesem Augenblick die Stimme des Capitains gellend über Deck. Die Matrosen sprangen erschreckt herbei, aber sie selber hatten /67/ Noth, sich im ersten Augenblick der Ueberraschung festzuklammern und nicht ebenfalls nach Lee zugeworfen zu werden, und ehe sie nur die Falle, an denen die oberen Raaen befestigt waren, erreichen und, wie der Befehl lautete, abwerfen konnten, brach es und knatterte es oben in den Stengen und kam, unter dem Heulen der plötzlich aufgesprungenen Bö, rasselnd an Deck nieder, zwischen die ängstlich aufschreienden Passagiere hinein.

      Noch standen die unteren Masten, und durch die niedergeschmetterten Stengen hatte der so plötzlich herangebrauste Sturm wenigstens seine größte Macht auf das Schiff verloren, das sich langsam wieder aufrichtete. Aber die Captaube trieb auch, ein halbes Wrack, auf den Wellen, und unter dem Flattern der Segel, da der Mann am Steuer in plötzlichem Schreck das Schiff gerade in den Wind hineingedreht hatte, daß es nicht den mindesten Fortgang mehr durch's Wasser machte, sprangen die Matrosen jetzt an ihre Plätze, lösten die Schoten des großen Segels und den Fock, ließen die Clüver nieder - der Clüverbaum war ebenfalls abgebrochen - und warfen das Besansegel los.

      In furchtbarer Schnelle hatte sich indessen die im Westen aufgekommene Wand gehoben; von der Windsbraut getragen, kam sie herauf, und wie die Leute nahe dabei waren, das indessen wieder seinem Steuer gehorchende Schiff von Allem frei zu kappen, was darum herhing, an Deck zu ziehen, was zu retten war, und das Uebrige über Bord zu schneiden, kam ein fluthender Regen wolkenbruchartig niedergeströmt, sammelte sich an Deck und schlug, da er so rasch gar nicht durch die jetzt noch überdies mit Segel und Tauwerk verstopften Speygaten ablaufen konnte, in die noch offenen Luken hinein.

      Die Passagiere hatten den ersten Anprall des Sturmes mit dumpfem, starrem Schweigen hingenommen. So plötzlich war das Unwetter aus vollkommen heiterer Luft über sie hereingebrochen, so wild und toll schlugen ihnen die Stengen und Segel dazu um die Köpfe, daß sie die Größe des Unfalls nicht einmal gleich begriffen. Nur die Frauen bemächtigten sich instinctartig zuerst der Kinder, um diese vor den fallenden Hölzern, wenn es sein mußte, mit den eigenen Kör-/69/pern zu decken, gewannen aber auch zuerst ihre Stimmen wieder, und schrieen und wehklagten jetzt in das Heulen und Brausen der Elemente hinein.

      Hatten die Seeleute übrigens die Passagiere, die ihnen mehr als je überall im Wege waren, noch bis jetzt unbelästigt an Deck gelassen, so war das die alleinige Ursache gewesen, daß sie auch noch nicht einen Augenblick Zeit bekommen, sich mit ihnen zu beschäftigen. Jetzt aber, wo der niederströmende Regen seine Fluth selbst auch in die noch offenen Luken des Zwischendecks ergoß und die darunter liegende Fracht zu beschädigen drohte, änderte sich die Sache, und die Passagiere wurden beordert, niederzuklettern, damit die Luken geschlossen werden konnten.

      Unter dem Schreien und Jammern der Frauen und Kinder, und dem Fluchen der Männer, die sich größtentheils nur ungern dem Befehle fügten, wurde das endlich bewerkstelligt, und die übergehobenen Luken deckten wenige Minuten später den untern, dunkeln, dumpfigen Raum des Zwischendecks mit Nacht und Schweigen. Die Mannschaft an Deck bekam freien Raum, das zerrissene Takelwerk wie die zersplitterten Masten soviel als möglich in Ordnung zu bringen, um das Schiff wenigstens regieren zu können, und als das geschehen war, änderte der Capitain ihren Cours. Mit den wenigen noch möglichen Segeln konnten sie sich aber nur langsam durch die rasch erregte Fluth fortbewegen, und das Sicherste für sie war, nach Norden hinauf zu laufen, um mit Hülfe der Leuchtthürme einen schützenden Hafen zu erreichen, wo der erlittene Schaden wieder ordentlich reparirt werden konnte. Mit dem Wrack durfte er nicht wagen, seine Reise durch den Atlantischen Ocean fortzusetzen.

      An Deck arbeiteten die Matrosen jetzt mit unermüdlichem Eifeir, ihr Schiff von Allem, was es noch behinderte,


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