Eisblaue Sehnsucht. Ute Dombrowski

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Eisblaue Sehnsucht - Ute Dombrowski


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      „Denkst du gerade an Tom? Du wirkst abwesend. Nun sag nicht, dass dir nicht auch schon der Gedanke gekommen ist, ihn zu küssen.“

      Ja, Tom sah gut aus und war immer sehr freundlich zu ihr, aber küssen? Nein, daran hatte sie noch nie gedacht. Heute hatte er sie für ihr Bild gelobt, aber das tat er auch oft bei den anderen.

      „Nein, Tom ist zwar nett und hübsch, als guten Freund kann ich ihn mir vorstellen, jedoch fehlt ihm das gewisse Etwas für eine Beziehung.“

      „Vielleicht sind deine Ansprüche auch zu hoch.“

      Jetzt lachte Kira laut.

      „Das sagt die Richtige!“

      Mariella stimmte ein und es wurde noch ein gemütlicher Abend. Die Freundin hatte ihr verziehen, dass sie sie versetzt hatte. Jetzt fiel Mariellas Blick wieder auf die Staffelei. Kira stand auf und drehte sie langsam um. Sie war überrascht, denn Mariella riss die Augen auf und hielt die Luft an.

      „Oh mein Gott!“, rief die Freundin und kam näher.

      Ein kalter Schauer lief ihr über den Rücken, als sie in die eisblauen Augen schaute.

      „Junge, Junge, Kira! Du wirst mal eine richtig große Künstlerin. Wer ist das? Studiert er mit dir?“

      „Nein, das ist der Typ von heute Nacht.“

      „Oha, so einen würde ich mir auch gern mal träumen. Heiß und eiskalt zugleich. Was ist das für eine Augenfarbe? Vielleicht sollte ich mal mitkommen in den Park, wenn du da solche Männer triffst.“

      Mariella zwinkerte.

      Da fiel Kira wieder ein, was sie heute Nacht tun wollte.

      3

      Es war elf Uhr, als sich Mariella verabschiedete. Kira war ungeduldig hin und her gerutscht, nachdem sie sich zurück auf die Couch gesetzt hatten. Als Mariella aus der Tür raus war, trat Kira vor die Staffelei. Ihr Herz schlug schnell, ein leichter Schwindel brachte sie ins Wanken und sie musste sich festhalten, um nicht umzufallen.

      „Was hast du mit mir gemacht? Wer bist du?“

      Sie hatte es laut gesagt und war vor ihrer eigenen Stimme erschrocken. Ihr Herz sagte ihr, dass sie ihn suchen musste. Heute Nacht noch wollte sie in den Park gehen, um ihn wiederzusehen. Sie würde erst Ruhe finden, wenn sie wusste, wer er war und was passiert war.

      Eilig zog sie sich die dicke Jacke an, legte den Schal um ihren Hals und setzte sich die Mütze auf den Kopf. Im Spiegel sah sie aus wie ein Bär, der durch den Wald streunte. Sie steckte den Schlüssel ein und verließ das Haus. Am Tor zum Park zögerte sie.

      „Verdammt, warum habe ich keine Taschenlampe mitgenommen?“

      Sie zitterte trotz der warmen Jacke, doch es war nicht die Dezemberkälte, die sie erschaudern ließ, sondern eine Mischung aus Angst und Aufregung. Was, wenn er plötzlich vor ihr stehen würde? Oder wenn der Angreifer wiederkommen würde? Aber noch mehr hatte sie die Sehnsucht mit ganzer Macht gepackt und trieb sie voran.

      Es war stockdunkel. Kira wusste, dass noch vor Mitternacht die Beleuchtung ausgeschaltet wurde, aber auch wenn die Lampen eingeschaltet waren, gaben sie nur ein diffuses Licht ab, das nicht über einen kleinen Kreis um die Lichtquelle hinauskam. In warmen Sommernächten war das unwichtig, aber jetzt im Dezember, wo die Kälte an den Beinen hochkroch und Nebelfetzen über die Wege waberten, erschien alles düster und gefährlich. Die alten Bäume sahen wie Riesen aus, die auf der Lauer lagen, dumpfe Nachtgeräusche klangen unheimlich. Sie wusste, dass niemand freiwillig um Mitternacht in den Park ging, also hoffte sie, dass sie auch niemanden treffen würde, außer vielleicht die Gestalt, nach der sie sich so sehnte, dass ihr die Gefahren gleichgültig waren.

      Inzwischen hatten sich ihre Augen an die Dunkelheit gewöhnt und sie lief den Weg in Richtung Uni, den sie im Schlaf gehen konnte. Sie war froh gewesen, als sie die Wohnung gekauft hatte, denn in der Nähe der Uni war so etwas eine Rarität, und dieser Park gehörte seitdem zu ihrem Leben dazu. Darum hielt sich ihre Angst wohl auch in Grenzen. Sie kam an eine Weggabelung. Links ging es zum Weiher, dessen dunkles Wasser die Fantasie in Gang setzte. In ihren Träumen sah Kira dort Nixen unter der glasklaren Oberfläche. Nur bei Sturm kräuselte sich das Wasser deutlicher, denn die dichten Hecken, die den Weiher umgaben, schirmten ihn gegen Wind und Wetter ab. Zurzeit waren die Äste kahl und reckten sich wie spitze Hexenfinger in den Himmel. Stellenweise gab es schmale Uferbereiche, an denen man bis ans Wasser herangehen konnte und im Sommer saßen dort oft Pärchen, die sich küssten.

      Kira hatte sich auch mal gewünscht, jemanden zu haben, der sie unter dem Sternenhimmel am Ufer des Weihers küsste, aber so war es nur in ihren Gedanken gewesen. Bei Tageslicht war sie froh, ihr Leben mit niemandem teilen zu müssen. Ihre letzte Beziehung war in ihrem Heimatdorf zurückgeblieben, er hatte sich enttäuscht von ihr abgewendet, als er erfuhr, dass sie nicht die Ehe, einen braven Beruf und eine fröhliche Kinderschar zu ihrem Lebensziel auserkoren hatte. Hier in der Stadt, in ihrem neuen Leben, ihrer gefühlt endlosen Freiheit hatte sie nicht nach einer neuen Beziehung gesucht.

      Seit gestern Nacht war alles anders. Sie wollte ihn, den Unbekannten, den Mann mit den eisblauen Augen. Wenn sie an ihn dachte, sah sie sich und ihn in einer innigen Umarmung. Plötzlich knackte es im Gebüsch hinter ihr und ein Rauschen zog an ihr vorbei. Sie war zusammengezuckt und erkannte eine Eule, die sich auf dem nächsten Baum niederließ. Kira atmete auf und dachte an Mariella, die nur den Kopf schütteln würde, wenn sie wüsste, dass ihre Freundin nachts im Dunkeln durch den Park streunte.

      Sie war Mariella begegnet, als sie am ersten Tag in der Stadt aus dem Zug gestiegen war und unschlüssig vor dem Bahnhof stand. Die junge Frau war in rasantem Tempo mit dem Fahrrad gegen ihr Gepäck gefahren und gestürzt.

      „Oh mein Gott, das tut mir so leid!“, hatte Kira gerufen.

      Mariella hatte abgewinkt und erklärt, dass sie nicht aufgepasst hatte. Sie hatten sich zusammen auf den großen Koffer gesetzt und waren ins Gespräch gekommen, während Mariella ihre schmerzenden Glieder rieb.

      „Wer bist du, woher kommst du und was machst du hier?“, waren die Fragen über Kira hereingebrochen.

      Sie hatte lachend geantwortet: „Ich bin Kira, komme vom Lande und werde hier Kunst studieren. Ich habe ein WG-Zimmer in der Bergstraße, kannst du mir sagen, wie ich dahin komme?“

      Mariella war begeistert aufgesprungen und hatte den Koffer auf den Gepäckträger gestellt. Sie begleitete Kira zu dem Haus und erklärte, dass sie auf der anderen Straßenseite der WG bei ihrer Mutter lebte und Tierarzthelferin war. Sie trafen sich auch jeden Tag, als Kira in ihre Wohnung am Park umgezogen war. Mariella zeigte Kira die Stadt und so waren sie Freundinnen geworden, selbst wenn sie im Wesen unterschiedlicher nicht sein könnten.

      „Mariella, ich weiß, dass du ausflippen würdest, aber ich MUSS ihn einfach wiedersehen.“

      Kira hatte es in die Nacht geflüstert und die Bedenken weggewischt. Langsam setzte sie einen Fuß vor den anderen und näherte sich dem Weiher. Sie trat zwischen zwei Büschen ans Ufer, als sich die Wolkendecke kurz öffnete und sich die Sterne in der Wasseroberfläche spiegelten. Sie ging in die Hocke und blickte über die glatte Fläche. Plötzlich spürte sie einen kalten Hauch im Nacken und eine Gänsehaut breitete sich auf ihrer Haut aus. Es war wie eine Berührung und sie zitterte. Sie blickte ängstlich über die Schulter und sah einen Schatten hinter einem Baum verschwinden.

      Nachdem sie aufgestanden war und mit weit aufgerissenen Augen in die Dunkelheit starrte, fiel die Angst von ihr ab und sie ging einige Schritte vom Weiher weg.

      „Hallo! Hallo, ist da jemand?“, hörte sie ihre gedämpfte Stimme.

      Niemand antwortete, also lief sie weiter. Der Weg führte nun direkt in Richtung Uni, sie wusste es, weil er breiter geworden war und die roten Holzbänke am Wegesrand standen. Sie musste ständig an den Mann mit den eisblauen Augen denken. War er in der Nähe? War es sein Schatten gewesen, der hinter den Büschen verschwunden war?

      „Quatsch,


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