Tod und Schatten. Ole R. Börgdahl

Читать онлайн книгу.

Tod und Schatten - Ole R. Börgdahl


Скачать книгу
führte. Der Mann im weißen Kittel wies ihm sogar einen Parkplatz zu. Gemeinsam gingen sie durch einen Seiteneingang in das Gebäude und von dort direkt in eines der Behandlungszimmer. Marek sah sich um.

      »Wo ist sie?«

      »Wir haben sie bereits auf die Station gebracht«, erklärte Dr. Mewes. »Ich habe verstanden, dass Sie sich nach ihrem Zustand erkundigen wollen.« Dr. Mewes zog Marek einen Stuhl heran. Sie setzten sich. Der Arzt nahm eine dünne Akte vom Tisch, der hinter ihnen an der Wand stand, und klappte sie auf.

      »Die Patientin heißt Witte, Claudia Witte«, begann Dr. Mewes. »Vierunddreißig Jahre alt, um 22:47 Uhr hier eingeliefert. Wir haben eine Schusswunde und diverse Sekundärverletzungen versorgt. Eine Bluttransfusion war nicht notwendig. Die Befunde sind nicht lebensbedrohend, daher ist auch keine intensivmedizinische Behandlung notwendig.«

      »Was heißt Sekundärverletzungen?«

      »Frau Witte hat vor allem Schürfwunden erlitten. Wir sind es hier gewohnt, solche Verletzungen genau zu dokumentieren.«

      »Was heißt hier?«

      »Sie befinden sich in der Gewaltschutzambulanz der Charité Berlin. Neben der Erstversorgung der Patienten nehmen wir auch rechtsmedizinische Aufgaben wahr.«

      »Was muss ich mir darunter vorstellen?«

      Dr. Mewes zögerte kurz, als wenn er sich über die Frage wunderte. »Das bedeutet, dass wir bei den Opfern, bei denen fremd- oder nicht fremdverschuldete Gewalteinwirkungen nachgewiesen wurden, die Verletzungsmuster dokumentieren und gerichtsverwertbare Gutachten erstellen.«

      »Okay, verstehe. Was ist mit der Schussverletzung?«

      Dr. Mewes nickte. »Eine Fleischwunde an der rechten Hüfte, die wir nähen konnten, nachdem wir festgestellt haben, dass das Projektil nicht im Körper verblieben ist.«

      »Und wo ist das Projektil?«

      »Wieder ausgetreten. Ein Streifschuss, wenn Sie so wollen.« Dr. Mewes deutete auf seine linke Seite in Hüfthöhe. »Etwa hier. Da liegen ja bekanntlich keine lebenswichtigen Organe, da liegen eigentlich gar keine Organe. Ein Streifschuss eben. Wir haben die Patientin anschließend narkotisiert gelassen.«

      »Narkotisiert?«, wiederholte Marek. »Ist Frau Witte denn während Ihrer Behandlung einmal wach geworden, konnten Sie mit ihr sprechen?«

      Dr. Mewes schüttelte den Kopf. »Der Zustand, in dem die Patientin aufgefunden wurde, also die Bewusstlosigkeit, gründet sich wahrscheinlich auf einen Schockzustand und weniger auf die Kopfverletzungen, die sie wohl durch einen Sturz erlitten hat. Ein Schockzustand führt meistens erst verzögert zur Bewusstlosigkeit. Die Bewusstlosigkeit kann dafür aber anhaltender sein. Frau Wittes aktueller Zustand ist selbstverständlich auf die von uns eingeleitete Narkotisierung zurückzuführen.«

      »Das würde passen«, stellte Marek fest.

      »Was würde passen?«, fragte der Arzt.

      »Die Sache mit der verzögerten Bewusstlosigkeit. Wir haben Frau Witte unter einer Kellertreppe gefunden. Sie hat sich anscheinend selbst dort in Sicherheit gebracht.«

      »Und ist erst dann weggetreten«, ergänzte Dr. Mewes. »Das kann durchaus sein. Wahrscheinlich wird sich die Patientin aber genau an dieses Ereignis später nicht mehr erinnern können.«

      »Wo Sie gerade beim Thema sind, wann kann ich mit Frau Witte sprechen?«

      »Oh, das kann ich jetzt noch nicht prognostizieren«, sagte Dr. Mewes abwehrend.

      »Morgen?«

      »Ich würde sagen, dass morgen eindeutig noch zu früh ist. Sie müssen der Patientin mindestens vierundzwanzig Stunden geben.«

      »Also am Montag?«

      »Das müssen Sie am Montag mit dem behandelnden Arzt besprechen«, schlug Dr. Mewes vor.

      »Dann sind Sie nicht der behandelnde Arzt?«, fragte Marek.

      »Ich bin hier vor allem in der Ambulanz tätig. Die Stationsärzte übernehmen in der Regel die Patienten, sobald wir die Erstversorgung abgeschlossen haben.«

      »Welche Station?«

      »Das habe ich Ihnen aufgeschrieben.« Dr. Mewes reichte Marek einen Zettel. »Sie können dort am Montag bestimmt mehr über Frau Wittes Zustand erfahren.«

      »Jetzt kann ich nicht mehr auf die Station?«, fragte Marek. »Wo sind die beiden Beamten, die Frau Witte hierher begleitet haben?«

      Dr. Mewes zuckte mit den Schultern. »Das weiß ich leider nicht.«

      »Wo ist das?« Marek hatte sich bereits erhoben und deutete auf den Zettel, den er noch in der Hand hielt.

      Dr. Mewes hatte sich ebenfalls erhoben. Er nickte in Richtung Zimmertür. »Wenn Sie hier heraus sind, gehen sie links den Flur entlang, nehmen den Fahrstuhl in den zweiten Stock und dort wieder links. Sie müssen sich auf der Station bei der Nachtschwester melden.«

      *

      Marek bedankte sich, verließ das Behandlungszimmer und folgte der Wegbeschreibung. Er fand ohne Probleme zur Station, wollte gerade in das Schwesternzimmer gehen, als er die beiden Polizisten hinten im Gang vor einem der Krankenzimmer sitzen sah. Er nickte der Nachtschwester zu, hielt ihr seinen Polizeiausweis durch die große Scheibe des Schwesternzimmers kurz hin und ging direkt zu den Kollegen. Sie erhoben sich gleich. Marek gab ihnen die Hand.

      »Ist sie da drin?«, fragte er und holte sein Notizbuch hervor. Er notierte sich neben der Stationsnummer auch die Zimmernummer.

      Einer der Beamten schaute daraufhin ebenfalls zur Tür des Krankenzimmers. »Da ist sie rein und nicht mehr raus«, bestätigte er und grinste.

      »Ausgezeichnet.« Marek deutete auf die Tür. »Kann man da mal reinschauen?«

      Der Polizist zuckte mit den Schultern. Marek ging zur Tür, blickte noch einmal zum Schwesternzimmer, doch dort war niemand zu sehen. Dann drückte er vorsichtig die Tür auf und sah ins Dunkel des Zimmers. Er konnte das Bett schemenhaft erkennen und dass jemand darin lag. Es roch nach Desinfektionsmitteln. Er verharrte einige Sekunden, dann schloss er die Tür des Krankenzimmers wieder.

      Er wandte sich an die beiden Polizisten. »Scheint alles in Ordnung zu sein. Wie lange habt ihr noch Dienst?«

      »Eigentlich bis sechs Uhr früh, aber wir haben das mit dem Revier schon geklärt. Wir werden um vier abgelöst, dann kommen schon die Kollegen der Frühschicht und dann so weiter.«

      »Danke. Welches Revier seid Ihr?«

      »Wir kommen aus der Villa, Polizeiwache Abschnitt 42, in der Hauptstraße.«

      »Sagt mir was«, antwortete Marek lächelnd. Dann biss er sich auf die Unterlippe. »Wisst Ihr auch, wo der Leichentransport hingegangen ist?«

      Diesmal sprach der andere der beiden Polizisten. »Der Tote wurde doch auch hierhergebracht«, erklärte er. »Also nicht direkt hierher, sondern ins Institut für Rechtsmedizin. Das ist gleich nebenan. Ich glaube es gibt im ersten Stock sogar einen direkten Durchgang in die Rechtsmedizin.«

      *

      Auf der Tafel neben der verschlossenen Glastür stand: Haus N, Institut für Rechtsmedizin, Abteilung Forensische Pathologie - Bitte benutzen Sie den Eingang Birkenstraße 62. Marek zögerte. Er konnte hinten im Gang Licht brennen sehen und darum drückte er den Klingelknopf und wartete. Nach zwei Minuten drückte er die Klingel erneut. Auf dem Gang hinter der Glastür tat sich nichts, niemand reagierte. Es gab auch keine Gegensprechanlage, über die er sich bemerkbar machen konnte. Da das Klingeln offenbar nichts bewirkte, klopfte er gegen die Glastür. Zunächst etwas verhalten und dann so kräftig, dass ihm die Fingerknöchel wehtaten. Bitte benutzen Sie den Eingang Birkenstraße 62, las er noch einmal den Hinweis auf der Tafel. Dann zuckte er zusammen.

      »Hey!«, ertönte es.

      Marek drehte sich um. Ein Mann in Uniform näherte sich von hinten.


Скачать книгу