Fälschung. Ole R. Börgdahl

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Fälschung - Ole R. Börgdahl


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Gummibänder ab, die die Mappe an jeder Ecke geschlossen hielten, zog die Papiere heraus und legte sie vor sich auf den Schreibtisch. Er fing mit dem Gutachten von Professor Lehner an. Er las sich noch einmal alles in Ruhe durch. Heute Nachmittag sollte eine zweite Expertise angefertigt werden. Diesen Bericht würde der neue Gutachter aber vorher nicht zu sehen bekommen. Simon lehnte sich in seinen Schreibtischstuhl zurück und überlegte. Das Labor würde demnächst auch Materialproben erhalten. Wenn alles auf die Echtheit des Bildes hinwies, würde es die Aufgabe des Kunst- und Auktionshauses Blammer sein, einen Herkunftsnachweis für das Bild zu finden. Hierfür gab es verschiedene Möglichkeiten. Der einfachste Weg war herauszufinden, ob das Bild jemals in irgendeiner Galerie ausgestellt war oder ob es ein Museum oder eine Privatsammlung gab, zu deren Bestand es einmal gehörte, auch wenn Edmund Linz dies bezweifelte. Warum eigentlich, dachte Simon. Es war egal, sie würden diese erste Möglichkeit in Betracht ziehen. Bei der Recherche ging es um Ausstellungskataloge. Wenn das Ölgemälde in einem dieser Kataloge beschrieben oder sogar abgebildet war, so galt dies als Herkunftsnachweis. Am eindeutigsten war aber die lückenlose Historie eines Kunstwerkes. Der Künstler stellt sein Werk selbst aus, verkauft es und es gibt vielleicht auch noch Korrespondenz zwischen ihm und den späteren Eigentümern. Simon erinnerte sich an ein Ölbild von Claude Monet, das der Kunsthalle Bremen gehörte. Es war ein großformatiges Gemälde, das Camille Doncieux, die erste Frau Monets, in einem schwarz-roten Seidenkleid darstellte. Simon erinnerte sich, dass das Bild von 1866 stammte und erst 1906 vom Kunstverein Bremen gekauft wurde. Dass tolle daran war, dass zwischen dem damaligen Kunsthallendirektor Gustav Pauli und Claude Monet eine Korrespondenz existierte, in der Monet sein eigenes Werk und dessen Werdegang beschrieb. Es war ein perfekter Herkunftsnachweis.

      Simon las sich die Expertise von Professor Lehner ein zweites Mal durch, hier gab es nichts über die Herkunft des Gemäldes. Er dachte weiter nach. Bei der Überprüfung von Galerien war es schwieriger einen Herkunftsnachweis zu recherchieren. Galerien wurden zumeist privat betrieben. Es waren kleine Unternehmen, die auch kommerziell mit den Bildern umgingen, die bei ihnen ausgestellt waren. Es war ein wenig so wie bei dem Kunst- und Auktionshaus Blammer, nur dass Simon in seiner Firma keine Ausstellungen organisierte oder durchführte. Im Gegensatz zu einer Galerie bewahrten Museen ihre Dokumentation natürlich sorgfältig auf. Bei einer Galerie konnte so etwas verloren gehen, wenn sie unter Umständen im Laufe der Zeit von ihren Betreibern aufgegeben wurden und dann nicht mehr existierte.

      *

      Simon hatte eigentlich gehofft, dass Claudius Brahm ihm die Arbeit mit dem Herkunftsnachweis abnehmen würde. Claudius Brahm hatte Restaurator gelernt und dann Kunstwissenschaften studiert. Er war noch keine vierzig und damit einer der jüngeren Sachverständigen in der Branche, was sich auch immer an seiner Kleidung ablesen ließ. Er trug selten einen Anzug oder Krawatte und war auch heute wieder in einem lässigen schwarzen Hemd und Bluejeans erschienen. Er war Experte für Kunstwerke des späten Neunzehnten Jahrhunderts. Er hatte darauf verzichtet, an einer Universität zu arbeiten und gar mit einer Promotion sein Fachwissen zu dokumentieren. Er arbeitete sofort nach seinem Studium als unabhängiger Gutachter und war durch einige Expertisen bekannt geworden. Das Kunst- und Auktionshaus Blammer zählte seit Jahren zu seinen Kunden. Darüber hinaus arbeitete er in ganz Deutschland für Museen, Galerien und andere Auktionshäuser.

      Simons brennendste Frage galt der Herkunft des Gemäldes. Er hatte gewartet, bis Claudius Brahm das Bild fast eine halbe Stunde lang intensiv betrachtet und untersucht hatte. Heinz Kühler musste ihm eine Stehlampe besorgen, mit der er den Lichteinfall verändern konnte. Simon stand neben den beiden, sagte aber zunächst kein Wort. Claudius Brahm machte sich zwischendurch immer wieder Notizen. Schließlich klappte er seine Mappe zu und schaltete auch das Licht der Stehlampe aus. Simon nahm es als Zeichen und trat an ihn heran.

      »Und, was meinen Sie?«, fragte er erwartungsvoll.

      »Gab es das schon einmal bei Ihnen?«, begann Claudius Brahm mit einer Gegenfrage. »Ich habe so etwas zumindest noch nie bei einem Haus Ihrer Größe gesehen. Gut, jeder weiß, dass die Stars in Ihrer Branche, die Sotheby`s oder die Christie`s ein solches Potential angeboten bekommen, aber Firma Blammer aus München, entschuldigen Sie, dass ich so direkt bin.«

      »Ist schon in Ordnung«, sagte Simon. »Ich gebe ja selbst zu, dass so ein Künstler sonst in einer anderen Liga gehandelt wird, aber es ist dafür ja auch keines seiner berühmten Werke.«

      »Ja, Mensch, das ist doch egal«, sagte Claudius Brahm euphorisch. »Sie haben hier wahrscheinlich einen Gauguin, Eugène Henri Paul Gauguin, französischer Expressionist und Symbolist, ein Kind des Impressionismus, ein Begründer der Moderne, Motor einer ganzen Generation von hervorragenden Malern, ein Genie für diejenigen, die es erkennen konnten und noch heute erkennen können.«

      Simon sah ihn schweigend an. Er wusste, dass Claudius Brahm immer sehr direkt war. Eine Art, mit der nicht jeder zurecht kam, zumal im Auktionsgeschäft und gegenüber den Kunden immer eine gewisse Würde gewahrt werden musste. Er selbst betrachtete die Sache nüchtern. Es ging ihm nur um die fachliche Arbeit. Ihm war schon bewusst, dass das Gemälde etwas Besonderes war, aber diese Reaktion hatte er nicht erwartet, diese Euphorie überraschte ihn schon ein wenig. Natürlich, ein Werk des Malers Paul Gauguin, das gab es bisher nicht in der Geschichte des Hauses Blammer, aber es gab andere namhafte Künstler, die hier bereits erfolgreich in Auktionen gehandelt wurden. Es gab den Liebermann, Drucke von Klee und Macke, einige alte Niederländer, einen Schüler Rembrandts und noch mehr.

      Heinz Kühler unterbrach die Gedanken seines Chefs. »Sie sagten eben wahrscheinlich, wahrscheinlich ist es ein Gauguin, wie meinten Sie das, Herr Brahm?«

      »Ich bin Gutachter«, antwortete Claudius Brahm sofort. »Ich habe mich ja erst einige Minuten mit diesem Gemälde beschäftigt. Ich habe zwar nichts gefunden, was dieses Bild als Fälschung entlarven würde, aber noch habe ich meine Expertise nicht geschrieben.«

      »Ich denke, das ist uns allen klar«, sagte Simon. »Mich interessiert nur, ob Sie gerade dieses Werk, diesen Gauguin vorher schon einmal gesehen haben, vielleicht sogar wissen, wo er ausgestellt war oder die Vorbesitzer kennen.«

      Claudius Brahm schüttelte den Kopf. »Nein, überhaupt nicht.« Er zögerte kurz. »Überrascht Sie das, überrascht es Sie, dass ich dabei noch ganz ruhig bleibe und nicht auch noch euphorisch nach einem Wunder schreie und Ihnen um den Hals falle, weil ich mir einen noch unbekannten Gauguin ansehen durfte, ihn anfassen durfte. Ich hoffe, dass Sie das nicht von mir erwarten?«

      »Wie sicher sind Sie sich denn, dass das Bild ein echter Gauguin ist?«, warf Heinz Kühler ein.

      »Kein Kommentar, zu diesem Zeitpunkt«, antwortete Claudius Brahm mit einem Zwinkern. »Echt oder nicht echt, das ist immer eine Frage, die nur von vielen verschiedenen Fakultäten gemeinsam beantwortet werden kann. Ich bin hier gewissermaßen nur der Stilexperte.«

      »Wir wollen Sie hier nicht jubeln sehen und Ihnen auch keine voreiligen Schlüsse abringen«, sagte Simon. »Es ist nur so, je nachdem, was Sie uns über dieses Bild sagen, müssen wir noch nach einem Herkunftsnachweis recherchieren. Da wäre es mir natürlich lieber, wenn Sie uns gleich mitteilen könnten, wo wir da zu suchen haben.«

      »Sie sind ziemlich nackt, was diesen Gauguin angeht?«, sagte Claudius Brahm mit einem spöttischen Unterton. »Eines ist Ihnen doch wohl klar. Wenn ich jetzt bestätige, dass es ein Original ist, so braucht das keinen Wert zu haben. Sobald im Labor festgestellt wird, dass der Künstler seine Farben bei Aldi gekauft hat und die Leinwand eine nylonverstärkte Bespannung hat, erübrigt sich mein Gutachten. Ich würde allerdings bei dem, was ich bisher gesehen habe, den Hut vor unserem Künstler ziehen, wenn es wirklich eine Fälschung sein sollte. Aber um Ihre Frage zu beantworten, ich kenne das Werk nicht. Ich habe auch noch nie über exakt dieses Motiv gelesen oder etwas Ähnliches gesehen.«

      »Aber das will nichts heißen, wollen Sie mir sagen«, meinte Simon.

      »Wissen Sie, wie viele Bilder Gauguin gemalt hat oder van Gogh«, erklärte Claudius Brahm. »Ich glaube, das weiß keiner so genau. Es gibt zwar Künstler, die noch zu ihren Lebzeiten anerkannt waren und auch gut verkauft haben und bei denen man ziemlich genau weiß, was sie alles produziert haben. Für Gauguin trifft das sicherlich nicht zu. Unser Bild


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