Eine Frau schon in den Jahren und andere Mördergeschichten. Beate Morgenstern

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Eine Frau schon in den Jahren und andere Mördergeschichten - Beate Morgenstern


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schor sich seine lockigen Haare, reduzierte sein Gewicht. Ein ständiges leichtes Hungergefühl rechnete er sich als Genuss an. Sein Gesicht und Körper magerten ab. Leicht wollte er sein. So konnte er bei seinem täglichen Lauf in Geschwindigkeiten diesen einen Baum erklettern, den er sich ausgesucht hatte. Dieser andere Mensch, der nun für alle sichtbar zum Vorschein kam, war schon in ihm gewesen. Selbst in dieser kleinen Kinderbande, der er angehörte hatte, war er nie jemandes besonderer Freund gewesen. Durften die anderen nicht nach draußen, weil es zu kalt, zu nass war, dann war er eben allein in den nahen Wald am Rande der Kleinstadt gegangen und hatte sich dort stundenlang beschäftigt. Die Mutter hatte nichts dagegen unternehmen können. Er hatte gemacht, was er wollte. Mit anderen Menschen oder ohne sie. Eingebrochen war er in diesen Jahren, ohne jemanden zum Zeugen zu haben und ohne Gier auf die Dinge. Etwas zu besitzen, bedeutete ihm nichts. Er war in Häuser eingebrochen, um auszuprobieren, wie das Gefühl dabei sei, hatte etwas mitgehen lassen und dann auf den Müll getan. Da freute sich der Nächste, der kam. Damals gingen die Leute noch auf die Müllkute, suchten sie nach Brauchbarem ab. Damals, nach Kriegsende. Er hatte auch nie gedacht, dass die Leute sich grämten, wenn er ihnen etwas wegnahm. Vielleicht hätte er auf den Gedanken kommen sollen. Aber er kam nicht darauf. Weil Dinge ihm eben nichts bedeuteten. Waren die Menschen selbst schuld, wenn sie ihr Herz an Dinge hängten. In Hochschulzeiten hatte es ihn sommers wieder in die Wälder gezogen, die die Universitätsstadt umgaben. Wochenlang hauste er in einer selbst gezimmerten Unterkunft da draußen und hatte an ein Leben gedacht, in dem er frei herumziehen wollte. Dann hatte er seine Frau kennengelernt, war einmal unvorsichtig gewesen, hatte sich ganz auf sie eingelassen. Was hatte er in sie hineingesehen! Gedichte hatte er ihr geschenkt, die ihm in seinem Nachdenken um die Welt wichtig geworden waren. Ausgerechnet ihr Gedichte! Ihre hellen lang bewimperten Augen hatten ihn träumen lassen. Ahnungslos war er in die Falle getappt und fast daran krepiert, als sie sich mit einem Mal von ihm abwandte, ihn aus dem gemeinsamen Haus haben wollte, nicht mehr mit ihm gesprochen hatte und ihm auf jede Weise hatte fühlen lassen, wie unerwünscht er war. Er hatte sich als Gescheiterter angesehen, sich das Ende der Beziehung als eigenes Versagen angerechnet. Sein Gerechtigkeitssinn ließ allerdings nicht zu, dass sie ihn aus dem Haus trieb. Er hatte aller Feindseligkeit widerstanden. Stunde um Stunde, Tag um Tag! So hatte er gedacht. Daraus war ihm ein Gerüst erwachsen. Die Zukunft interessierte ihn nicht, genau so wenig wie die Vergangenheit.

      Seit drei Jahrzehnten war er wieder unabhängig. Schaute er auf das Glück anderer Leute, dachte er mit Schadenfreude an das, was auf sie zukäme. Und wen ein Unglück traf, konnte kein Mitleid einfordern, nicht einmal Mitgefühl. Mitleid, Mitgefühl, Worte, die seinen Ärger erregten. Mitleid hatte er erlebt. Seine Frau hatte getan, was sie tun musste. Alle wussten Bescheid in der Kleinstadt, in der er geboren, aufgewachsen und in die er nach dem Studium zurückgekehrt war und die er nur verlassen hatte, um in der Kreisstadt zu arbeiten oder dort auf ein Amt zu gehen. Wie demütigend, erniedrigend war ihm gewesen, wenn die Leute mit ihm über seine Frau sprachen und wie leid ihnen das täte, was ihm geschähe. Nein, er wollte kein Mitleid, und er hatte keines. Er war ganz für sich allein und mit sich allein glücklich. Was andere über ihn dachten, interessierte ihn nicht. Er ging seinen Weg genau so, wie er es für richtig befand. Seiner Frau war er nie gram gewesen trotz allem, was sie ihm angetan hatte. Sie war eine Getriebene, wie er es nannte. Manchmal hatte er tatsächlich Mitleid mit ihr empfunden, das er ja eigentlich ablehnte. Als die dauerhafte Beziehung, die seine Frau seit vielen Jahren hatte, in eine Krise geriet, hatte sich nicht einmal Schadenfreude eingestellt, zu der er sonst neigte. Zulange war alles her. Sie war nicht glücklich geworden. Der Mann mit ihr, war nicht glücklich geworden. Er hatte es ohne Bewegung notiert. Möglicherweise war er ihrem wie auch immer gearteten Glück im Weg gewesen. Hätte er das Haus geräumt, wäre der Mann eingezogen. So kam der nur zu Besuch. Denn sie war genauso wenig bereit gewesen wie er, das Haus zu verlassen. Im Grunde aber interessierten ihn solche Erwägungen nicht. Jeder war seines eigenen Unglücks Schmied und seines eigenen Glückes auch. Er war eins mit sich. Aus seinem Beruf war er bei guter Gelegenheit ausgeschieden, hatte bei einer alten Töpferin im Nachbardorf angefangen, die ihm ihr Handwerk beibrachte, die ihn bezahlte, bis sie keine Aufträge mehr hatte. Er übernahm ihre Werkstatt, schaffte genauso lange, wie er es wollte, ließ sich von nichts und niemanden antreiben. Er probierte Dinge mit sich aus. Beim täglichen Lauf verlangte er sich das Äußerste ab, ob es schneite oder der Berg, auf dem er immer lief, glühende Hitze ausstrahlte. Grenzsituationen reizten ihn. Bei einem kleinen Eingriff, der sich als notwendig erwies, hatte er auf eine örtliche Betäubung verzichtet und war dann wie üblich mit seinem Fahrrad aus der Stadt nach Hause gefahren. Das Fahrrad aus Schrott zusammengesetzt. Die alte Karre sein ganzer Stolz. Die Schmerzen ertrug er mit einer Neugier, wann er wohl absteigen müsse. In die Berge zu klettern, hätte ihn reizen müssen, hatte jemand gesagt. Doch er hatte erklärt, es bedeute ihm zu viel Aufwand, Vorbereitung. Auch wäre eine Ausrüstung zu kaufen. Er hätte Geld zu verdienen, würde sich wieder in Abhängigkeit begeben. Nein, er kam mit Notwendigstem aus, fand an der Genügsamkeit Genuss, aß, ohne den Herd zu benutzen. Obst, Gemüse roh, Brot, gemahlenen Leinsamen, wenig Käse oder Wurst, trank klares Wasser aus der Leitung. (Neuerdings, seitdem der Wasserkocher seiner Frau in der Küche stand, leistete er sich, einen Früchtetee zu kochen.) Er schlief in einem vom Keller abgetrennten Raum, der nicht zu heizen war. Den hatte er sich ausgebaut. Die Temperaturen immer über null. Einen größeren Raum hatte er sich im Erdgeschoss erstritten. Dort hingen seine Modellflugzeuge, dort baute er mit Pappe und leichtem Holz historische Gebäude nach. Wenn er eines wieder abfackelte, lud er, eine kleine, dumme Gewohnheit, Frau und Freund dazu ein. Nein, nein, ich kann das nicht sehen! hatte seine Frau immer gesagt. Ich verstehe dich nicht. Erst gibst du dir soviel Mühe. Und dann zerstörst du es, und keiner sieht es außer uns! - Ich habe es gemacht, das reicht mir, antwortete er jedes Mal. Nichts ist für die Ewigkeit! Zu schaffen bedeutete Lust. Lange reichte die Lust. War ein Bauwerk fertig, schaute er sich ein anderes zum Abfackeln aus. Was noch einmal Lust bedeutete. Eine kürzere, aber dafür größere. Schon merkwürdig, wie langsam etwas entstand, wie schnell es zerstört war. Und dennoch gab es alles im Überfluss. Er kam nicht darauf, warum dies so war. Doch auch im Wildwuchernden lag eine Zerstörungskraft. Ein Zusammenbruch war programmiert. Das All war ewig, würde sich immer erneuern. Nichts sonst. Wie lange der Mensch sein Verschwinden auf dem Planeten hinauszögerte, das lange vor dem Aufblähen der Sonne lag, würde ihn schon interessieren. Nicht einmal ein größerer Asteroid war zu bemühen wie bei dem Ende der Dinosaurier. Seine scheinbare Vernunft würde dem Menschen zum Verhängnis. Dem Ursprung, dem Zusammenspiel allen Seins, aller toter wie lebender Materie, galt sein Sinnieren. Er fühlte sich eins mit sich, weil er sich aufgehoben in diesem grenzenlosen All glaubte. Er und das All, sie hatten eine Beziehung zueinander. So groß dachte er.

      Eduard spinnt ein bisschen, hatte seine Frau immer gesagt mit einem kleinen Lächeln in ihrem hübschen Gesicht. Eduard spinnt.

      Mochte es so sein. Na und? Mochte man es seinen wasserhellen Augen, randlos die Pupillen, das eine Auge schaute etwas mehr auswärts als das andere, ansehen, dass er anders tickte. Fischnatur hatte ihm eine der Frauen gesagt, die sich um ihn bemühten. Er fühlte sich in Gegenwart von Frauen wohl. Dass keine ihm zu dicht kam, dafür sorgte der Umstand, dass er noch immer verheiratet war und unter einem Dach mit seiner Frau lebte. Er brauchte gar nichts zu tun. Die Ehe, das Haus waren wie ein Bollwerk gegen Eindringlinge. Schon lange lebten er und seine Frau in gutem Einvernehmen. Ich weiß nicht, was damals in mich gefahren ist, sagte seine Frau. Er hingegen schaute nicht in die Vergangenheit und überlegte nicht, wie es heute wäre, hätte sie sich nicht als junge Frau ohne Not anderen Männern zugewandt. Ein Zurück gab es nicht. Ihr Fehler war, dass sie das nicht einsehen wollte. Er hatte zugelassen, dass sie wieder seine Wäsche wusch und bügelte. Sonntags setzte er sich auch hin und wieder mit an den Mittagstisch, wenn sie den Freund und ihre Tochter einlud, die sich gelegentlich einfand, in den letzten Monaten allerdings kaum noch. Aber nie war gewiss, ob er kam. Eduard hat eben seinen Kopf für sich, sagte sie darüber, dass man nie wusste, ob er etwas tat oder nicht. Selbst wenn er etwas versprach und er wieder anderer Meinung wurde, zögerte er nicht eine Sekunde, sein Versprechen zu widerrufen. Natürlich, amtliche Dinge mussten erledigt werden. So klug war er. Eduard. Immer hatte sie seinen Namen voll ausgesprochen, obwohl er es nicht ausdrücklich verlangt hatte. In letzter Zeit hatte sie ihn wie absichtslos berührt. Er war zusammengezuckt, hatte aber nichts sagen können,


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