Das Ende der Clara. Helmut H. Schulz

Читать онлайн книгу.

Das Ende der Clara - Helmut H. Schulz


Скачать книгу
sein wollte und der wünsche, die »LOUISA« künftig nicht mehr auf dem Werftgelände zu sehen.

      "So", sagte der Alte, "und warum das denn nicht? Riecht sie euch unangenehm?"

      "Sie nimmt zu viel Platz weg", sagte der andere alte Knabe. "Gib sie ab, Richard! Was willst du auch mit dem alten Ding. Mein Großvater hat sie für deinen Alten gebaut, wann war es denn gleich? ... Gott, ist das all lang her."

      "Kauf du sie doch", schlug Rinkales vor. "Als Andenken an deinen Großvadder. Der konnte dir noch Boote bauen, weißt es ja selbst, an ihr ist bis heute kein Untätchen,"

      "Schon", sagte der Werftbesitzer, "aber alt ist sie dir eben, verdammt alt, so alt und so hart, dass sich meine Kreissäge an ihr festfrisst. Ich muss mich auch nicht entschuldigen, weil ich sie nicht haben will, im nächsten Winter stehst du nicht mehr auf meinem Gelände, klar?"

      "Ich denke", sagte Rinkales, "du hast dann nicht mehr den Hut auf? Da will ich erst mal mit deinem Sohn reden."

      Sie schieden in Unfrieden. Trafen sie sich zufällig in der Kneipe oder in der Stadt, grüßten sie einander zwar, da sie ja keine kleinen Kinder sein wollten, aber so wegwerfend und fremd, als kennten sie sich nicht näher.

      Der Frühling kam. Rinkales brachte die »LOUISA« ins Wasser und verholte sie an ihren alten Liegeplatz. Da lag sie nun, so zuverlässig und seefest und entgegenkommend wie eh und je, und vom Verkaufen konnte gar keine Rede sein. An einem schönen Junitag machte er sie segelklar wie bisher in jedem Jahr, und es half ja doch auch immer noch der und jener beim Stellen des Mastes und den anderen Arbeiten für vier Hände. Und vielleicht kam alles wieder ins Lot. Auf dem Kocher summte der Kessel, ein Paket Kuchen lag in der Pantry neben einer Pulle Korn. Es war ja man still an Bord, aber da fiel ihm ein, dass er früher manchmal stundenlang kein Wort an seine Frau gerichtet hatte, bloß nachgedacht, aber worüber?

      Als der Tee fertig war, kam der Hafenmeister, oder was er sonst sein mochte, den Kai längs, ein junger Mensch noch, den der Skipper nicht näher kannte, aber mal mussten ja schließlich auch die Jungen drankommen, mochten sie noch so dammelig sein. Der Bengel jumpte also achtern an Deck, was dem Skipper schon missfiel, und sachte tunkte die »LOUISA« ein, als ahnte sie was und duckte sich vor dem jungen Kerl, da sagte der Hafenmeister: "Es fällt mir nicht ganz leicht, was ich Ihnen zu sagen habe, aber loswerden muss ich es ja mal."

      "Was ist es denn? Von wem kriegt denn Nieburn seine Tochter was Kleines? Von Ihnen doch wohl nicht, Herr, oder? Übrigens, guten Tag, ich bin nämlich der Schiffer und Herr hier an Bord, und mein Name ist Rinkales."

      Der Hafenmeister seufzte.

      "Na, was muss denn nun gesagt werden?"

      "Dass Sie hier wegmüssen", platzte der junge Mensch heraus, und dann erklärte er, warum dieser Liegeplatz eingezogen und weshalb er anderweitig gebraucht werde. Es sei übrigens auch kein richtiger, sondern ein wilder Liegeplatz. Und damit kam alles Widrige gegen Rinkales und die »LOUISA« in Gang.

      5

      Ein selbstsicherer, rüstiger Endfünfziger, zu allem entschlossen, kann bald zum Ziele kommen, wenn er ernsthaft nach einer Frau sucht und nicht sehr wählerisch ist. Die Frau, die der Skipper für sich und die »LOUISA« in Aussicht nahm, war denn auch eine stattliche Person mit blond aufgefärbtem Haar, von kräftiger Figur und von zielbewusstem Auftreten. Sie gab vor, ihr früheres Leben in Nähe des Wassers verbracht zu haben, weil ihr Verstorbener ein Seemann gewesen sei. Rinkales fühlte sich in ihrer behaglichen Neubauwohnung ganz wohl, wenigstens so lange wie er dort saß, Kaffee und Kuchen vorgesetzt bekam und einige Schluck vom selbst gemachten Kirschlikör. Er fühlte sich dermaßen wohl, dass er, leicht angeschickert nach Hause trabend, alle seine Probleme für gelöst hielt. Er summte sogar ein Lied aus seiner Jugend, als ihn die Seefahrtsromantik gefangen genommen hatte, die dann freilich in einem U-Boot endete.

      Er begab sich an Bord und kroch in die Koje. Da die Luft gelinde war, ließ er die Tür offen. Die »LOUISA« dippte und wippte auf und nieder, wenn ein Schiff vorbeizog und Wellen machte, alles zusammen verschaffte dem Alten ein angenehmes Gefühl. Die Lichter am Strom leuchteten wieder freundlich zu ihm herein, und Frauenarme wiegten ihn in den Schlaf. Am folgenden Sonnabend dieser erfolgreich begonnenen Woche erschien die Frau, überschritt verwegen das Brett von der Kaimauer hinüber zur »LOUISA«. Ihm kam es so vor, als tauche die Yacht tief ein, wie im Schreck, aber es war nur natürlich, dass die »LOUISA« nachgab, denn die neue Frau brachte ihr eigenes Gewicht und ein paar prall gefüllte Essbeutel mit an Bord, als hätten sie vor, nach Amerika zu reisen. Rinkales sah zum Himmel hinauf, die Sonne befand sich schon wieder jenseits des Wendekreises, und seine Alte war mittlerweile ein reichliches halbes Jahr bei den Engeln. Es versprach jedenfalls ein freundlicher Tag zu werden wie in den alten Tagen, und man lebte auch nur ein einziges Mal. Während er die guten Sachen wegstaute, setzte sich die Frau auf eine Backskiste. Er beobachtete, wie sie ihr Haar aufsteckte und sich für die Arbeit herrichtete, bemerkte aber doch, dass ihre Fingernägel spitz gefeilt waren und überirdisch glänzten, und ihm kamen erste, noch leichte Bedenken gegen diese Abenteuerin. Seine eigene Alte war ja doch ziemlich hausbacken gewesen oder geworden, verglichen mit diesem Frauensmenschen, der oder vielmehr die erst noch zeigen musste, ob sie seiner Alten das Wasser reichen konnte, seiner geduldigen, treuen und heimgegangenen Alten. Geübt und forsch kletterte die neue Alte auf der »LOUISA« herum, setzte, als es Rinkales befahl, energisch das Gaffelsegel, und zwar allein, was nicht ganz leicht und schon ganz gut war, und sie verstand es sogar, die beiden Vorsegel zu setzen, während er wie gewohnt achtern am Ruder saß, Befehle erteilte und deren strickte Ausführung überwachte. Er kannte sich hier gut aus, und er wusste, wann er ruhig bleiben konnte und wann er eingreifen musste. Der ablandige Wind schob die Yacht sachte vor sich her der Flussmündung zu, wo dieser Wind entweder die Richtung wechselte oder sich bloß etwas verstärkte. So schipperten sie dann die Tonnenreihe ab, rechts-rot-raus, wie die Regel besagte, und er fiel vor leichtem Wind und gut stehenden Segeln auf seinen alten Kurs zur Mittelwassertonne ab, die er freilich noch nicht sehen und bloß fühlen konnte. Passierten sie ein Schiff, Yacht oder Fischerboot, tippte Rinkales an die Mütze, oder er hob die Hand zum Gruß, je nachdem. Die neue Alte machte es ihm nach, was ihr gar nicht zukam, aber er schwieg zu diesem Bruch der Etikette, weil man nicht alles zugleich haben kann, sondern erst allmählich, mit Geduld zu seinem Glück kommt. Anscheinend hatten sich alle Boote und Skipper längs des Fahrwassers aufgestellt, um zu sehen, wie er mit der neuen Alten und der »LOUISA« klarkam.

      Alles ging wie gewöhnlich, also gut, wie bei diesem Wetter zu erwarten war. Die spitzen und die stumpfen Tonnen glitten an der »LOUISA« vorbei, und vor ihnen lag die matt schimmernde Wasserfläche und darüber die Quellwolken am Himmel. Die Frau stand in Mastnähe, eine Hand auf das Holz gestützt, was ihm außerordentlich missfiel, aber er wollte nicht schon am ersten Tag den Skipper herauskehren, obschon sie eigentlich zu sitzen hatte, bis er ihr die nächste Arbeit zuwies. Nun, ganz gleich, sie stand also am Mast, und sie sah prächtig genug aus in ihrem weißen Pullover, der gewaltig über der Brust spannte, ihrem gebräunten Gesicht, wie eine Blume aus Bronze mit einem blonden Topp als Aufsatz sah sie aus. Und dann geschah Folgendes. Durch das Boot ging ein Ruck, so als wäre die »LOUISA« aufgelaufen. Rinkales fühlte, dass die Yacht in zwei Hälften zerbrochen war, sozusagen gegen etwas protestierte. Er hing auf dem achteren Teil fest, während das Vorschiff mitsamt der Kajüte, allen Vorräten für die Übersegelung des Atlantik und dem Prachtmensch davon schwamm.

      Ja, und das war Unsinn, gewiss, wie er sich sagte. Jedenfalls aber war etwas geschehen. Bestürzt oder bloß beklommen ließ er die »LOUISA« abfallen, da er genug Höhe gelaufen war, er halste, um den neuen Kurs anzuliegen, da fiel sein Blick zufällig auf den Kompass, was ihm seit ewigen Zeiten nicht eingefallen war. Was er sah, das wollte er zunächst nicht glauben. Da schwankte die Nadel gemächlich im Halbkreis von Strich zu Strich, schwankte und tanzte einen Besoffenentanz jeweils um die Hälfte ihrer Rose. Begriffsstutzig klopfte der Alte mit dem Fingernagel an der Kompasssäule, aber dieses Klopfen hatte auf die Bewegung der Nadel keinerlei Einfluss. Ihm brach der kalte Schweiß aus, kaum dass er es sich getraute, die begonnene Halse zu beenden, das Heck durch den Wind zu bringen, wie er es gewohnt war mit Ruhe aber zügig. Die Yacht fiel auch richtig auf den neuen Kurs ab, das Prachtmensch am Mast zog den Kopf ein, um den Baum vorbei zu lassen,


Скачать книгу