Sechs Erzählungen. Helmut H. Schulz
Читать онлайн книгу.als ich im Bett lag, Edmunda und Ernst zur Seite, daß die Hilflosigkeit, die ich ihnen vorspielte, sie eher noch in dem Gefühl bestärken mußte, ich sei eine alte Schachtel, zu nichts mehr nutze. Es kam, warum soll ich es leugnen, zum Handgemenge, die von mir geschärften Drachenkrallen brachten mir ein paar tiefe Risse bei, auch Ernst bekam sein Teil. Zum Ende dieses Auftritts verbanden wir uns gegenseitig mit Mull und waren nun reif für ein klärendes Familiengespräch.
Ich sagte, daß eine Scheidung nicht in Frage komme, stellte aber anheim, die Dinge vorerst zu belassen, wie sie waren. Eine Hängepartie gewissermaßen. Ich warte also ab.
Einen Ausgleich in meiner verzweifelten Verfassung bietet mir das Paradies. Mit Befriedigung vermerke ich, daß immer mehr Damen nach meiner pflegenden Hand verlangen, ich bin zum Alltag zurückgekehrt. Abends ist es wie sonst. Edmunda deckt den Tisch, wir setzen uns, erzählen ein bißchen. Dann ziehe ich mich zurück. Ich begreife, daß die beiden allein sein und nicht immer eine alte Frau um sich haben wollen.
Eine Platte für Frank
Frank ist nie pünktlich gewesen. Wir wunderten uns deshalb nicht, daß er uns warten ließ, aber wir sahen häufig zur Uhr. Wir brachten eben nicht mehr die Geduld mit Frank auf, die uns früher selbstverständlich gewesen war. Seine Schlamperei empfanden wir heute als rücksichtslos gegen unseren Zeitplan. »In einer Viertelstunde fangen wir an«, sagte Mama, «egal, ob er da ist oder nicht.» Wir sagten gar nichts zu Mamas Bemerkung, wir taten, als hätten wir nichts gehört, mein Mann und ich. Natürlich hätte Frank Rücksicht darauf nehmen müssen, daß wir uns ein paar Stunden für ihn stahlen.
Früher war es immer so lustig bei Mama und Papa. Ich meine, problemlos war es. Nach zehn Jahren, etwa so lange hatten wir uns nicht gesehen, läßt sich da nicht einfach anknüpfen. Die Jahre. Papa ist immerhin sechsundvierzig, Mama sogar noch älter. Schließlich sagte Papa: »Weshalb wollen wir eigentlich noch warten? Wir wissen doch, daß Frank vielleicht in einer Stunde kommt oder in zwei Stunden oder gar nicht.« Herausfordernd sah Papa uns an. Er traf immer das Richtige, daran erinnerten wir uns noch gut, mein Mann und ich. Verändert hatte sich Papa eigentlich kaum, vielleicht war ein bißchen Speck dazugekommen. Die Hose spannte etwas über dem Bauch. Wäre Papa allein gewesen, hätte er wahrscheinlich den Knopf oben geöffnet. Feist, ich meine, feist war sein Gesicht schon immer und energisch, keine Hängebacken oder so. Ein fleischiges, energisches Gesicht mit runden kühlen Augen, starkem Kinn. Mehr als weiß ich wie viel Prozent unserer Männer sind zu dick. Papa trug lange Koteletten und ließ sein dünn gewordenes Haar lang über die Ohren wachsen, wie die Jungen heute. Mode, Anpassung; wir haben da so eine Art Playboy hervorgebracht. Ich bin dagegen. Tragen soll das, wem es steht. Papa stand es nicht. Auch die ausgestellten Hosen paßten nicht zu Papa. Meine Sorge, jeder blamiert sich, so gut er eben kann. Bei meinem Mann achte ich auf diese Kleinigkeiten. Harald würde sich auch ohne weiteres anpassen. Der Bart, gut, warum nicht? Aber sonst? Ein Gentleman trägt Mode von gestern, daran halte ich mich und ihn. Harald ist mein Mann und kein Traumheld, er ist nicht dick und auch nicht mager. Lange Haare könnte er sowieso nicht tragen, weil ihn vor einigen Jahren Ausfallserscheinungen heimsuchten. Seither trägt er Glatze. Seine Stirn fällt in der Mitte leicht ein, er hat eine kleine klumpige Nase, Augen ohne Farbe und Ausdruck. Seine Bäckchen sind glatt. Als mein Mann einen Bauchansatz bekam, schickte ich ihn in die Sauna. Seit wir unseren Bau auf dem Halse haben, braucht er keine Sauna mehr.
Die Viertelstunde war noch nicht rum, da sagte Mama: «Neugierig bin ich, ob Frank solo kommt.»
«Solo natürlich», sagte ich, und mein Mann gab seinen Senf dazu. «Natürlich solo, der ist nicht so dumm wie wir.» Mama und Papa protestierten, ich schwieg, obgleich die Bemerkung für mich bestimmt war. Den Hieb habe ich eingesteckt, erst mal. Ich nahm mir vor, mich gründlich zu betrinken.
Ich muß feststellen, daß wir Frank mochten. Er war uns sympathisch, sehr sogar, und natürlich plagte uns auch die Neugier, wie Frank nach zehn Jahren aussehen würde. «Darf ich dann bitten», sagte Mama mit einem Blick auf die Uhr.
«Die Viertelstunde hätten wir wirklich noch warten können», sagte ich. Wir rückten um den Klubtisch zusammen. Mama hatte ein kleines Büfett gemacht, niemand anders als sie brachte ein kleines Büfett so sauber zustande. Schinken, Salami, Cremespeisen, alles mögliche aßen wir. Es gab Maibowle. Ich trank drei oder vier Glas.
«Wo habt ihr denn Waldmeister aufgetrieben», fragte mein Mann kauend.
«Gott», sagte Papa lachend, «wo treibt man heutzutage überhaupt etwas auf? Ich bin zwei Stunden mit dem Wagen rumgekutscht, dann hatte ich welchen. Das ist alles.»
Zufrieden erläuterte Mama: «Kinder, wir haben uns einen ganz schönen Lebensstil angewöhnt, was?» Mama liebt das Burschikose, ihr rundes weiches Gesicht verschwand fast hinter der großen schwarzen Brille. Ihre Zähne waren weiß und klein, deshalb wirkte Mama frisch und gesund, etwas zu füllig vielleicht, pummelig.
Haarersatz, mein Mann hat natürlich nichts gemerkt, aber ich sofort. Das Lockennest hinten sah einen Schein anders aus. Mit ihrem Haar hat Mama immer Kummer gehabt. Es war fettig, dünn und vertrug keine Frisörbehandlung. Es machte auch nichts; Papa legte wenig Wert auf Schönheit. Mamas Kleid war unmöglich. Es müßte sich doch mal rumsprechen, daß große Blumen nichts für Dicke sind. Dazu der Schmuck, ein Goldarmband, so um tausenddreihundert. Man sieht das Zeug ja heute in jedem anständigen Juweliergeschäft herumliegen. Mama und Papa verdienen beide gut, klar, trotzdem, das Haus, gerade erst gebaut, die Kinder in dem Alter, wo sie am teuersten sind. Beide, Junge und Mädchen, studieren. Es ist eine Schande, ich muß das wirklich sagen. Ich meine, unsere Herkunft Arbeiterklasse haftet uns an. Jetzt werden wir dafür bestraft, daß wir gedarbt haben, uns heraufarbeiteten, wo andere bloß ans Verdienen dachten. Ein Stipendium für unsere Kinder kriegen wir nicht, wir müssen alles selbst aufbringen. Uns geht es ja ähnlich. Bald zumindest, wir haben auch zwei. Wenn wir für den Jungen eine gute Lehrstelle finden, muß er in die Lehre. Was er will, oder sagen wir, was eine Zukunft hat. In diesem Punkt bin ich mit meinem Mann einig.
So wendete sich das Gespräch erst mal den Kindern zu. «Ich weiß gar nicht, was da los ist», sagte Mama, «unsere Kinder machen kein Hehl daraus, so bald als möglich weg von zu Hause. Das liegt an der Zeit.» Papa widersprach: «Das ist doch ganz natürlich, waren wir anders?» Ich schwieg dazu, auch mein Mann sagte nichts. Für unsere Kinder sind wir Spießer. Nach dem Essen flaute die Unterhaltung etwas ab. Wir wußten eigentlich nicht so recht was anzufangen mit dem Abend. Die Du-erinnerst-dich-doch-Themen erschöpfen sich ja immer schnell. Es lag auch zu viel Zeit zwischen dem Labor der Organiker von damals und dem beruflichen Ärger von heute. Jetzt hätte Frank erscheinen können, fanden wir, aber er kam nicht. Wir mußten allein mit diesem Abend fertig werden.
«Kommt ihr noch manchmal weg», fragte Mama. «Kaum», sagte mein Mann, «wohin denn? Bis auf die Sommerreise, die lassen wir uns nicht nehmen. Anita hat eine nette Bekanntschaft im Reisebüro. Das klappt, nur kommt man sich da schon wie zu Hause vor. Immer dieselben Leute, aber wo sollen wir hin?»
Anita bin ich. Das stimmt schon mit Nessebar. Jedes Jahr ist es der gleiche Tanz, Nessebar oder nicht. Jetzt, wo wir unser Haus bauen, fällt es uns auch schwer, die Kosten aufzubringen. Im vergangenen Jahr haben wir es so gemacht: das Auto hinten mit Lebensmitteln vollgestopft, Wurst und Fleisch, alles in diesen kleinen Portionsbüchsen. Eine Freude? Ich weiß nicht.
«Uns zieht es auch nicht mehr weg, seit wir das Haus haben», sagte Papa, »dauernd fällt etwas an. Abends haben wir auch das Fernsehen. Was haben wir eigentlich gemacht, als es noch keins gab? Man kann es sich gar nicht mehr vorstellen.« Das ist richtig.
Mein Mann sagte: «Ich habe mir auch, noch die Arbeitsgruppe aufhängen lassen.«
«Da habe ich von vornherein klare Verhältnisse geschaffen», sagte Papa energisch, «acht Stunden, meinetwegen neun, mehr nicht. Man muß auch mal an sich denken.» Stimmt schon, aber ohne die Arbeitsgruppe hätten wir den Bau gar nicht anfangen können. Sie brachte doch ein schönes Stück Geld. Zusätzlich.
Mama schlug vor, den Tisch abzuräumen. Wir Frauen brachten das schmutzige Geschirr in die Küche. Mich ekelt es,