Mississippi-Bilder. Gerstäcker Friedrich
Читать онлайн книгу.hielt, konnte nichts als dichte Finsternis erkennen.
„Hört mein Bruder den Bär?“ fragte Tessakeh, als er bemerkte, dass jener sich nicht weiter bewegte.
„Nein, aber eine Schlucht ist hier, von der ich gerne erst wissen möchte, wie tief sie ist, ehe ich mich hinüber wage; ich weiß freilich nicht, auf welche Art, denn ich kann den Boden nicht sehen und habe auch keinen Stein hier zum Hinabwerfen.“
„Auch keine Kugeln in der Tasche?“, erwiderte lakonisch der Indianer.
„Recht, Tessakeh, an die dachte ich nicht, fünfe werde ich hier unten nicht verschießen“, erwiderte Werner, und nahm zu gleicher Zeit eine derselben aus einer kleinen, mit einer Klappe versehenen Tasche im Jagdhemd, die er in die Schlucht fallen ließ. Diese musste aber wohl einige dreißig Fuß tief sein, denn lange dauerte es, ehe der dumpfe Fall ins Wasser heraufschallte. Durch den Erfolg keineswegs beruhigt, rief er aus: „Hallo – das sind böse Aussichten, denn wenn ich auch wirklich durch Anklammern an beiden Seiten hinüber komme, wie zum Henker wollen wir den Bären zurückbringen? Ich weiß in der Tat jetzt nicht, was ich tun soll.“
„Vorwärts, wenn es irgend möglich ist“, erwiderte Tessakeh, „es ist schwer, einen Vogel zu wiegen, wenn er in der Luft schwebt: wenn Tessakeh das Blut des erlegten Wildes sieht, wird er auch wissen, wie es ans Tageslicht gebracht werden kann!“
„Gut, wenn Du meinst“, sagte Werner, „ich bin dabei, Du sollst es aber zu verantworten haben, wenn all‘ unsere Mühe und Arbeit umsonst war.“ Mit diesen Worten presste er, die Büchse sich um den Hals hängend, beide Ellbogen und Knie gegen die rauhen Wände der Höhle, und, fast in der Luft schwebend, den tiefen Abgrund unter sich, in den ihn das Nachlassen einer Sehne gestürzt haben würde, vorsichtig Zoll für Zoll fortrückend, erreichte er den anderen, abgerissenen Teil oder vielmehr die Fortsetzung des Ganges, die so eng war, dass er sich kaum umdrehen konnte, den Weg zu besehen, den er zurückgelegt hatte. Ohne auf den Indianer zu warten, den er hinter sich glaubte, kroch er weiter und folgte der Fährte, die auch hier deutlich im nicht ganz harten Boden abgedrückt war, wohl auf 100 Schritt, als er plötzlich einen leisen, winselnden Ton zu hören glaubte, der nicht weit von ihm entfernt aus dem Teil der Höhle, der vor ihm lag, her tönte. Er lauschte und vernahm deutlich den leisen, wimmernden Laut, den der Bär, an seinen Tatzen saugend, im Winterschlaf hören lässt.
„Tessakeh“, flüsterte er jetzt, den Kopf zurückwendend, da der Gang etwas geräumiger wurde, „Tessakeh, ich höre den Bären.“
Keine Antwort ward ihm von seinem Begleiter – dichte Finsternis lag hinter ihm.
„Tessakeh“, rief er lauter, da er glaubte, dass der Indianer noch etwas weiter zurück sei, und wieder lauschte er, die antwortende Stimme seines Gefährten zu hören, nur das ferne Winseln des Tieres unterbrach die totenähnliche Stille, und missmutig warf er sich für einen Augenblick ausruhend, auf die linke Seite, um zu überlegen, ob er seinen Weg allein fortsetzen und den Kampf wagen oder wieder umkehren sollte, um zu sehen, ob seinem Kameraden ein Unglück zugestoßen sei.
„Hm!“, murmelte er zuletzt leise vor sich hin. „Wär‘ er in die Schlucht gefallen, so hätte er um Hilfe gerufen, und ist er auf der anderen Seite geblieben, um mir zu überlassen, allein mit dem schwarzen Burschen fertig zu werden, wohl, so will ich ihm doch zeigen, dass ich ihn nicht dazu brauche, eine Büchse abzudrücken; der Bär kann nicht mehr tun, als mich fressen, und da muss ich auch erst noch dabei sein!“
Mit diesem Troste, der etwas unleugbar Vernünftiges hatte, begann er sich wieder nach vorn zu bewegen und näherte sich mehr und mehr dem Winseln, das jetzt immer deutlicher wurde.
Die Höhle war zwar nicht mehr so eng, aber eine solche Masse Tropfstein hing überall an den Wänden herunter und ragte aus dem immer steiniger werdenden Boden hervor, dass das Vorrücken ungeheuer erschwert wurde und Werners Knie und Ellbogen fürchterlich schmerzten.
In diesem Teil der Höhle hingen auch eine Masse Fledermäuse an den Hinterbeinen von der Decke herab und hielten hier ihren Winterschlaf, oft durch das etwas zu nahe unter ihnen weggehende Licht aufgestört und beunruhigt, was sie durch einen schrillen, zischenden Laut kund taten. Wenig aber beachtete der kühne Jäger dieselben, und war eben im Begriff, sich um eine kleine Biegung der Höhle zu drehen, als er dicht vor sich, etwas zu seiner Rechten und zwar so, dass, wenn er vorbeikroch, er sie fast berühren musste, eine aufgerollte, ungeheure Klapperschlange liegen sah, die, durch seine Nähe gestört, die kleinen, blitzenden Augen öffnete, aber, durch das Licht geblendet, augenblicklich wieder schloss und den Kopf zurückbiegend, aus dessen zusammengepressten Rachen die spitze, doppelte Zunge dann und wann hervorzuckte, den Schwanz erhob und die warnende Rassel ertönen ließ.
Werner fuhr unwillkürlich zurück und war unschlüssig, was er tun solle, denn obgleich er die Schlange nicht fürchtete, war ihm doch ihre Nähe nichts weniger als erfreulich, noch dazu, da er nicht wagen durfte, sie zu schießen, weil es in dem niedrigen Raum eine Unmöglichkeit gewesen sein würde, wieder zu laden.
Als er noch unschlüssig da lag, sah er zu seiner ungemeinen Beruhigung das Licht Tessakehs sich langsam nähern, und bald war der Indianer dicht bei ihm und frug, warum er zögere. Werner machte ihn durch wenige Worte mit seiner Lage bekannt.
„Zeigt sie die Fänge?“, flüsterte leise der Indianer.
„Nein – aber sie hat gewarnt.“
„Sie ist wie ein Hound auf der Fährte eines Bären! Sie warnt, aber wenn der Feind naht, zieht sie sich zurück – mein Bruder mag dreist an ihr vorbeikriechen, sie wird ihre Augen schließen und schlafen.“
Werner folgte, obgleich höchst ungern, dem gegebenen Rat und vorsichtig die Büchse voranschiebend, war er bald an der Seite der Schlage, die mehrere Male die kleinen Augen zu öffnen versuchte und stärker und drohender rasselte. Jetzt lag er dicht neben ihr, und obgleich er sich fest an die entgegengesetzte Wand schmiegte, war doch der Raum so eng, dass sein rechter Arm fast die zusammengerollte Gestalt des Feindes berührte.
Langsam zog er die Knie herauf und streckte sich weiter nach vorn, da öffnete die Schlange aufs Neue die Augen und dicht vor sich die helle Flamme erblickend, sperrte sie weit, mit zum Sprunge zurückgebeugtem Kopf, den Rachen auf, in dem, weiß und glänzend, die giftgefüllten Fänge an beiden Seiten der spielenden Zunge lagen, während ihre Augen in grünem Feuer leuchteten.
Entsetzt riss Werner das Messer aus der Scheide, in demselben Augenblick aber fühlte er Tessakehs Arm auf seiner Hüfte und dessen Tomahawk zischte, mit sicherer Hand geführt, zur Schlange hinüber, die sich in ihrem Blute wand.
Zwar wusste Werner, dass sie jetzt unschädlich war, dennoch schauderte er, als sie in ihren letzten Todeszuckungen sich in dem engen Raume umher wand, und ihre kalten Schuppen seine heiße Wange berührten. Mit rascher Hand drückte er sie von sich, Tessakeh aber erfasste den zuckenden Körper und schnitt ihm bedächtig die Klappern ab, die er an seinem Gürtel befestigte.
Das beendigt, wollte Werner seinen Weg fortsetzen, als er sich plötzlich durch die Hand Tessakehs gehalten fühlte, der ihm leise zuflüsterte:
„Hab Acht – ich höre kein Winseln mehr – der Bär ist erwacht und seine Augen sind offen. – Wenn er uns windet, wird er sich hören lassen, aber der Rauch unserer Lichter zieht zurück.“
„Wahrhaftig, Du hast Recht, Tessakeh“, erwiderte Werner, „der alte Bursche muss aufgewacht sein und wird eben kein freundliches Gesicht schneiden, wenn er die Lichter sieht. Die verwünschte Schlange hatte meine Aufmerksamkeit so in Anspruch genommen, dass ich in der Tat gar nicht mehr an den Bär dachte – Du warst gerade zur rechten Zeit gekommen, denn ich…“
„Hst!“, rief der Wilde, die Hand erhebend. „Ich höre den Bären – er wird unruhig!“
Beide Männer lauschten ein paar Minuten, aber Totenstille herrschte und kein Laut war vernehmbar. Werner jedoch sah nach seiner Büchse, ob das Zündhütchen noch richtig