Der dritte Versuch Die Drachenjägerin. Norbert Wibben

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Der dritte Versuch Die Drachenjägerin - Norbert Wibben


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Sofort beginnen sie, sich umeinander zu flechten und umschließen gleichzeitig das wertvolle Artefakt. Die Elfe beugt sich zur Mutter hinab und haucht ihr einen Kuss auf die Stirn. »Danke! Ich verspreche dir, ich suche den verfluchten Drachen, der unserer Familie so viel Leid zugefügt hat. Ich werde alles versuchen, um ihn zu vernichten.« Dann schiebt sie sich den Armreif über die Hand, so dass er jetzt an ihrem linken Handgelenk sitzt. Cloe wechselt in ihr Zimmer. Auf ihrem Bett grübelt sie noch kurz, wo sie diesen Drachen finden kann, dann sinkt sie in einen unruhigen Schlaf.

      Cloe wacht am Morgen auf und fühlt sich völlig erschlagen. Sofort ist er wieder da, der Kummer um ihre tote Mutter. Oder sollte sie das nur geträumt haben, hofft sie plötzlich wider jede Vernunft. Wenn sie jetzt nach unten in den Wohnbereich kommt, wird sie dann Juna an ihrem Schreibtisch sitzend vorfinden, in das Studium eines Buches vertieft? Sie könnte aber auch in der Küche stehen, und das Frühstück vorbereiten, obwohl das sonst von Cloe übernommen wird. Die junge Elfe fühlt sich völlig gerädert, so, als ob sie lange krank gewesen sei. Da könnte es gut sein, dass ihre Mutter sie mit einem üppigen Frühstück überraschen will.

      »Warum gibt es kein Zurück? Weshalb habe ich vorgestern Ainsley besucht und Mom allein gelassen. Wäre ich hier gewesen, hätte ich sie von ihrem wahnwitzigen Versuch abgehalten, oder ihr zumindest schneller helfen und sie dadurch retten können!« Cloe weint hemmungslos und schlägt mit beiden Fäusten aufs Bett. Dabei rutscht der Armreif an ihrem linken Handgelenk hin und her, was schließlich den Blick der Elfe darauf lenkt. Plötzlich steigt eine große Wut in ihr auf. Sie will etwas zerstören, ihre Mutter rächen. Sie setzt sich auf den Bettrand. Ohne lange nachzudenken, murmeln ihre Lippen die Beschwörung und wünschen den Drachengeist herbei.

      Zuerst verhält sich diese Kreatur wie sonst auch. Sie demonstriert ihre Eigenarten, ohne aber den Feueratem gefährlich weit von sich zu speien.

      »Habe ich dich!«, frohlockt Cloe. Sie richtet ihre rechte Hand auf die kleine, bläuliche Lichterscheinung und spricht mit lauter Stimme »Interemptus es«. Sie sieht zufrieden, wie ein blauer Lichtstrahl auf den Drachen zuschießt, dann sind beide verschwunden.

      Die Elfe zweifelt. Sollte ihr Vorhaben geglückt sein? Das wäre dann erstaunlich einfach gewesen. Tief im Inneren ist sie jedoch nicht von ihrem Erfolg überzeugt. Sie müsste jetzt den Drachen erneut herbeirufen. Wenn er nicht erscheint, wäre ihr seine Vernichtung geglückt. Cloe beginnt bereits, die Beschwörung zu murmeln, als sie dann zögernd innehält. Was ist, falls er erneut herbeigerufen werden kann? Wie wird er dann reagieren? Sie denkt daran, wie der Zwerg seine großen Abmessungen behalten hatte, als Juna ihn vergrößerte, bevor er verschwand. Beim nächsten Aufrufen hatte er sie immer noch, bis sie durch den Verkleinerungsspruch reduziert worden war. Der Drache könnte jetzt möglicherweise sofort seinen Feueratem gegen sie schicken, da sie versucht hatte, ihn zu töten. Sie entschließt sich, dieses Wesen besser nicht erneut zu beschwören, am besten vergisst sie es für immer!

      Aufseufzend steht sie von der Bettkante auf und besucht ihre Mutter. Juna liegt so auf dem Bett, wie sie gestern Nacht verlassen worden ist. Cloe hatte nicht den magischen Sprung genutzt, sondern an die Tür geklopft und auf ein »Herein« gehofft. Noch vor dem Eintreten in das Zimmer wusste sie aber, dass sie die Stimme Junas nur noch in ihrer Erinnerung hören können wird. Als sie den entstellten Körper sieht, überlegt sie, ob es möglich ist, das Äußere ihrer Mutter wiederherzurichten. Ohne lange Überlegung probiert sie den Renovo-Zauber. Sie hält den Atem an, als die Verbrennungsspuren tatsächlich verschwinden. Sofort treten ihr erneut Tränen in die Augen. Die Tote wirkt jetzt, als ob sie schlafen würde. Cloe schluckt mehrmals heftig und fällt auf die Knie. Trotz der Verbrennungsspuren hatte sie ihre Mutter gestern umarmt, was sie jetzt wiederholt. Lange kniet sie dabei vor dem Bett, während ihre Gedanken zu Begebenheiten zurückkehren, in denen Juna sich an ihrem Bett ähnlich verhielt, wenn sie krank gewesen war. Schließlich seufzt sie und erhebt sich.

      »Ach Mom. Ich weiß nicht, wo ich beginnen soll. Wie soll ich den Drachen finden, der so viel Unheil nicht nur in unserer Familie anrichtete. Es gibt doch keine wirklichen Drachen mehr.« Da die Antwort ausbleibt und nicht in ihrem Kopf erklingt, so wie in der Nacht, verlässt sie niedergedrückt das Zimmer. Im Türrahmen dreht sie sich um und wirft einen traurigen Blick zurück, dann schließt sie leise die Tür.

      Cloe geht langsam die Treppe hinunter. In der Küche bereitet sie automatisch ein Frühstück und deckt den Tisch, bis sie sich plötzlich unterbricht. Sie hat wie stets für Zwei gedeckt! Kopfschüttelnd lässt sie es so und setzt sich. Gedankenverloren beginnt sie etwas zu essen. Als sie aus den Gedanken wiederauftaucht, in denen sie viele glückliche Momente aus ihrer Kindheit und Jugend nacherlebte, staunt sie, wie hungrig sie gewesen sein muss. Sie hat viel mehr als sonst gegessen!

      Jetzt überlegt sie, an wen sie sich wenden kann, um Informationen über das tödliche Drachenwesen zu sammeln. Sie kennt zwar die Namen verschiedener Elfen, darunter befindet sich jedoch nur Ainsley, die Schwester ihres Vaters, mit der sie mehr als einmal Kontakt hatte. Diese wohnt für eine Ostelfe unüblich in einem Haus, das sich nicht dort befindet, wo die meisten von ihnen in Baumhäusern leben. Es ist ein vorgeschobener Außenposten der Elfen und das Elternhaus ihres Vaters, weiß Cloe. Sie überlegt, ob sie Ainsley zu sehr erschreckt, wenn sie so schnell nach ihrem letzten Besuch wieder dort erscheint. Sie ist auch für eine Elfe schon sehr alt, älter noch, als es Juna gewesen ist. Bei diesem Gedanken drängen sich Tränen nach oben und laufen über Cloes Wangen. Ohne das zu beachten, grübelt sie darüber nach, was jetzt der nächste Schritt sein soll.

      »Junas Bestattung!« Dieser Gedanke lässt die junge Elfe erschauern. Sie ist sich nicht sicher, ob sie das allein schaffen wird. Sie ist noch bei keiner derartigen Zeremonie gewesen, weiß nicht, was es zu beachten gibt. Anders als bei den Menschen, betten Elfen ihre Toten nicht in Holzbehälter, um sie dann in der Erde zu begraben oder in einem Feuer zu verbrennen. Sie legen die Körper auch nicht auf ein Floß oder in ein Boot und übergeben dieses einem Fluss, der sie hinaus ins Meer führt. Sie werden durch eine besondere Zeremonie zu dem großen Geist, der alles gemacht hat, zurückgeschickt. Aber hier endet ihr Wissen. Cloe muss sich deshalb an ihre Tante wenden, weiß sie plötzlich. Seltsamerweise scheint mit diesem Gedanken eine große Last von ihr abzufallen. Ainsley weiß, was zu tun ist! Im nächsten Moment räumt die junge Elfe den Tisch ab und geht hinauf zu Juna.

      »Mom. Ich besuche jetzt Tante Ainsley. Sie wird mir bei deiner Bestattungszeremonie helfen. Ich werde sie hierherholen, wenn es dir recht ist.« Einen Moment zögert Cloe, fast so, als erwarte sie einen Widerspruch der Toten. Dann nickt sie entschlossen, küsst unter Tränen das Gesicht der Mutter und verlässt das Zimmer. Aber nicht, ohne vom Türrahmen aus noch einen Blick zurückzuwerfen. Mit schwerem Herzen schließt sie ganz leise die Tür und geht die Treppe hinunter, verriegelt die Außentüren und murmelt einen Schutzzauber. Sie nimmt die Katze auf den Arm, die zukünftig bei der Tante leben soll, dann flirrt die Luft.

      Um Ainsley nicht zu erschrecken, erscheint Cloe im gleichen Moment in der Nähe ihres Hauses, das am Rand eines lichten Buchenwaldes steht. Hier sieht es friedlich aus, so, als gäbe es kein Leid auf der Welt. Das Anwesen umgibt ein weiß gestrichener Zaun, der allerdings schon etwas renovierungsbedürftig ist. Dahinter liegen Blumenbeete, durch die ein kiesbestreuter Weg zu dem kleinen Haus führt. Es ist mit Reet gedeckt und das Dach, das an vielen Stellen mit Moos bewachsen ist, reicht tief hinab. Die Traufe ist fast mit der Hand zu erreichen. Die Fenster haben Sprossen und scheinen freundlich auf jeden Besucher zu schauen, der sich diesem Heim nähert. Cloe schluckt mehrmals, bevor sie über den Weg zu der dunkelgrünen Tür tritt und den blitzenden Messingklopfer betätigt. Als sie keine Reaktion bemerkt, versucht sie es erneut, doch ebenfalls erfolglos. Sollte ihre Tante nicht zu Hause sein? Sie verlässt doch nur noch selten ihr Haus.

      Plötzlich ist sie da, die Angst. Sie kriecht ihr den Rücken hinauf und lässt die Kopfhaut kribbeln. Die feinen Härchen im Nacken richten sich auf. Nicht auch noch Ainsley, nein, das darf nicht sein! Cloes Herz beginnt irrsinnig zu rasen, als sie von der Seite ein näherkommendes Schnaufen vernimmt. Welcher Feind kommt von dort? Ein Wolf oder möglicherweise ein Drache?


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