Hüben und Drüben. Gerstäcker Friedrich

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Hüben und Drüben - Gerstäcker Friedrich


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zu grübeln, da sind mir andere Gedanken gekommen. Die Falleri hat's nicht gethan - sie kann's nicht gethan haben, und wegen meiner sitzt sie jetzt hinter den eisernen Gittern und spinnt Wolle."

      „Und wenn sie es nun doch mit gewesen wäre?"

      „Nein, - es ist nicht möglich, sag' ich," rief der Alte, „gleich auf frischer That ja, aber nicht mehr, wo sie erst bei ihrer Mutter selig auf dem Kirchhof gewesen - und dann hätten zwei Stunden darüber vergehen müssen, ehe es angebrannt wäre, und das thut's nicht draußen in der Luft - entweder es geht an oder aus. Sie kann's versucht haben, aber ihres ist nicht angegangen, und der Brandstifter liegt hier und härmt sich die Seele aus dem Leibe. - So - jetzt ist's heraus - jetzt machen Sie, daß Sie in die Stadt zum Assessor Buntenfeld kommen - dem erzählen Sie die Geschichte - der bringt's wieder in Ordnung, damit ich ruhig sterben kann. Wenn sie mich dann auch noch vorher in's Zuchthaus transportiren, was thut's - dort hab' ich jedenfalls bessere Pflege als hier in dem öden Nest, und jetzt ist mir auch das Herz wieder leicht, da ich's ausschütten konnte, was mir darauf gelegen die langen Jahre." /74/ „Und habt Ihr einen Arzt hier?"

      „Ja - einen, wovor Einen Gott bewahren soll - einen Blutegel, der Alles mit Schröpfköpfen und Aderlässen curirt; wenn sich Einer über Halsschmerzen beklagt, zieht er ihm einen Zahn aus und sagt: das hilft."

      „Und seid Ihr bereit, das, was Ihr mir gesagt, in Gegenwart des Assessors zu wiederholen?" frug der junge Mann, von seinem Sitz aufspringend. Der Alte zögerte einen Augenblick mit der Antwort; endlich aber sagte er:

      „Wenn's die Falleri frei macht, und wenn's sein muß - ja in Gottes Namen - den Hals können sie mir nicht abschneiden, und ich muß mit der Geschichte in's Reine kommen; die anderen will ich schon selber vor'm lieben Gott verantworten, denn ich bin eigentlich nie ein böser Mensch gewesen, wenn sie mich auch manchmal gern dazu gemacht hätten."

      Der Soldat hatte schon lange seine Mütze aufgegriffen, aber sich noch einmal in dem wirklich trostlos öden Gemach umschauend, sagte er:

      „Wie ich sehe, fehlt es Euch hier an jeder Bequemlichkeit - es ist möglich, daß Ihr uns einen großen Dienst geleistet habt, daß wir dadurch auf die Spur einer bis dahin verloren Geglaubten kommen, und ich - möchte nicht, daß es Euch bis dahin an etwas fehle. Ich werde mit dem Assessor heraus kommen, aber auch einen ordentlichen Arzt mitbringen, und hier - ist indessen Geld, damit Ihr Euch anschaffen könnt, was Ihr gerade nothwendig braucht."

      „Du lieber Gott," sagte Brenner ordentlich erschreckt, als ihm der Fremde zwei Goldstücke auf das Bett warf - „das ist zu viel, das - das kann ich gar nicht durchbringen." - Ehe er ihm aber nur ordentlich danken konnte, war der junge Mann schon zum Zimmer hinaus und auf seinem Weg zum Gasthof, wo er die indessen langsam vorangegangene alte Dame noch einholte und mit ihr im eifrigen Gespräch auf- und abschritt, bis der Kutscher wieder angespannt hatte und jetzt im scharfen Trab der Stadt zufuhr. /75/

      9.

      Der Besuch im Zuchthaus.

      Der junge Officier schien nicht viel Zeit zu versäumen, denn noch am nämlichen Abend, lange vor Dunkelwerden, rasselte eine Extrapost durch Osterhagen durch, hielt sich aber gar nicht am Gasthof auf, obgleich der Postillon einen sehnsüchtigen Blick hinüber warf, sondern passirte im scharfen Trabe das Dorf und hielt erst vor dem Gemeinde-Armenhaus, sehr zum Erstaunen der Dorfbewohner und Insassen des Hauses selber - nur nicht des alten Brenner, der recht gut wußte, was das zu bedeuten habe.

      In dem Fond des Wagens saß der Medicinalrath aus der Stadt mit dem alten Assessor Buntenfeld, auf dem Rücksitz ein junger Beamter mit einem Stoß Papier und seinem Schreibzeuge in der Tasche, und der Officier.

      Wie der Wagen hielt, wollte die alte Frau Kunze die Honneurs machen, wurde aber gleich bei Seite geschoben und beordert, die Herren nicht zu stören, die sich dann auch ohne Weiteres in das Zimmer des Kranken begaben.

      Der Arzt, der ihn vor allen Dingen untersuchte, schüttelte allerdings mit dem Kopf und meinte: der Kranke sei falsch behandelt worden, denn Schröpfköpfe würden ihm allerdings wenig helfen, da er an einem schon sehr vorgeschrittenen Magenkrebs leide. Brenner aber lachte bitter vor sich hin und sagte:

      „Falsch bin ich nicht behandelt worden, Herr Doctor, mein ganzes Leben lang, aber schlecht; das war der Fehler - den Taschenkrebs habe ich schon von Jugend auf gehabt, und daß sich der endlich in den Magen gefressen hat, ist eben kein großes Wunder - das Quartier stand gewöhnlich leer. Aber desto besser, wenn's zu Ende geht, so hört die Schinderei doch einmal auf, denn ich hab's gerade lange genug ertragen."

      „Und Ihr habt mir etwas mitzutheilen, Brenner?" frug /76/ der Assessor, der die Zeit nicht gern versäumen wollte. „Können wir damit beginnen?"

      „Setzen Sie sich dahin, Herr Assessor," sagte der Alte; „einen Tisch haben wir hier freilich nicht - in der Küche steht nur einer, doch den bringen wir nicht durch die Thür - der Herr Actuar muß auf den Knieen schreiben - ich werde auch nicht weitläufig sein, denn was mein früheres Leben betrifft, so geht das Niemanden mehr etwas an."

      „Und Ihr wollt die Wahrheit sprechen?"

      „Mir ist jetzt nicht mehr wie Lügen zu Muthe, Herr Assessor - setzen Sie sich nur, Sie sollen die ganze Geschichte hören, und der Herr Doctor mag als Zeuge dabei bleiben, damit Sie's genau wissen und die arme Falleri wieder frei kommt."

      Der Actuar hatte sich bald einen Platz zum Schreiben hergerichtet, und das eigentliche Verhör begann jetzt. Der Assessor brauchte aber kaum eine Frage zu thun, denn der Alte, der schon genau zu wissen schien, welche Punkte er hervorheben mußte, hielt sich nur eine Weile bei der Art und Weise auf, wie das Kind hier in Osterhagen behandelt sei - gewissermaßen um sich selber zu rechtfertigen, daß er es eine Zeit lang für möglich gehalten, sie könne es gethan haben, und ging auf die Umstände jenes Abends über, die er mit klaren, einfachen Worten schilderte und nur zum Schluß hervorhob, daß, wenn die Falleri wirklich dieselbe Absicht gehabt habe - was er aber vor Gott nicht glaube - so könne ihr Feuer gar nicht angegangen, sondern müsse wieder verlöscht sein. Er aber sei seiner Sache gewiß - er wäre nicht eher fortgegangen, bis er im Stroh die helle Flamme gesehen habe, und die hätte denn auch nicht lange auf sich warten lassen, weiter zu fressen, denn er sei kaum wieder in sein Fenster geklettert und habe sich auf's Bett geworfen, als der Lärm schon losgegangen wäre.

      Der Assessor sprach wenig hinein - unterwegs schon hatte ihm der Fremde die Vermuthungen mitgetheilt, die er über die früheren Schicksale von Valerie's Mutter und deren Abstammung hege, und die erst zur Gewißheit werden konnten, wenn man das unglückliche junge Mädchen selber sprach und /77/ den Schmuck sehen konnte, den sie noch von ihrer Mutter bewahrte. Noch hatte man allerdings keine Gewißheit, wenn auch starke Gründe zu der Vermuthung, denn Valerie war allerdings der Name der Verschollenen gewesen, und Edmund der Vorname ihres Gatten; der aber dort unter dem spitzen Stein begraben lag, wäre der Vater der Verstorbenen gewesen, an dessen Grabe diese so oft gesessen.

      Der Kranke hatte durch die lange Erzählung aber seine Kräfte vollständig erschöpft, und der Arzt rieth ihm jetzt Ruhe an, versprach ihm auch, da der Fremde für alle Kosten einstand, sowie sie nach der Stadt zurückgekehrt wären, die nöthigen Arzeneien und Stärkungen wie auch eine zuverlässige Person heraus zu senden, die ihn pflegen solle. Transportirt konnte er natürlich in dem Zustand nicht werden, und man mußte abwarten, wie sich die Krankheit entwickelte.

      In Osterhagen steckten die Leute allerdings die Köpfe zusammen, was da vorgefallen sein könne, und weshalb eine Extrapost vor dem Gemeinde-Armenhause und nicht vor der Thür des neuen Schulzen oder wenigstens vor dem „Gasthof" gehalten habe. Die Frau Kunzen wurde auch von verschiedenen Nachbarinnen auf das Schärfste inquirirt, wußte aber leider gar nichts anzugeben, als daß die fremden Herren bei dem Brenner drin gewesen und lange mit ihm gesprochen hätten. Allerdings gestand sie den Versuch ein, „etwas Bestimmteres" zu erhorchen; so oft sie aber der Thür nur nahe kam, öffnete der Officier dieselbe und sah heraus, und sie mußte dann jedesmal wieder in die Küche fahren.

      Uebrigens wurde die Aufmerksamkeit der Bewohner von Osterhagen an dem Tage sehr getheilt, denn noch spät gegen Abend traf ein anderer Fremder ein, der von der Frau des verstorbenen Schulzen eine ziemlich


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