Hüben und Drüben. Gerstäcker Friedrich
Читать онлайн книгу.zu ihm, denn er betrog die Leut' zu sehr. Da hat's der alte gute Eckardt übernommen, denn ein Wirthshaus mußten wir doch haben, und zu dem geht jetzt Alles - unten hinein das Volk und oben im ersten Stock hat er auch ein Casino angelegt für die Vornehmen."
„'s ist rein zum Verrücktwerden!" murmelte Raischbach vor sich hin, als das Mädel da so ruhig von lauter Persönlichkeiten plauderte, die er sich bis dahin nur als wilden Spuk gedacht, „und man möchte wahrhaftig glauben, man träumte die ganze Geschichte nur, wenn sie nicht so leibhaftig um Einen herstünde. Ich mag mich aber zwicken, wie ich will, ich wach' doch, und das Alles muß ja wohl so sein, wie es eben ist."
„Thut Dir noch etwas weh von dem Fall?" frug das Mädchen, als sie sah, daß er sich bald am rechten und bald am linken Arm anfaßte und auch nach dem Kopf hinaufgriff.
„Das nicht grad'," meinte er etwas verlegen, denn er mochte ihr doch nicht sagen, was ihm eben durch den Sinn gefahren - „nur im Kopf brummt und summt mir's so."
„Das ist das ewige Brausen und Kochen tief in der /126/ Erde Grund," sagte die Maid, „was wir hier deutlicher hören, als Ihr da oben; daran wirst Du Dich bald gewöhnen, wenn Du erst eine Weile bei uns bist."
„Hussa! hussa! hallo!" tönte plötzlich ein wilder Jagdruf durch die Luft, und ein paar scheue Menschengestalten, denen der Kopf in Feuer zu stehen schien, so lichterloh brannten ihnen die Haare, fuhren wie Kaninchen über den Weg. Hinter ihnen her aber, ihre Rüden hetzend, und die Eule jetzt in freier Flucht nach den Gehetzten immer mit den Flügeln schlagend, setzte die wilde Reiterin auf ihrem Schimmel quer über die Gartenzäune und Sträucher weg, und kläffende Rüden heulten an ihrer Seite.
„Um Gottes Willen!" rief Raischbach erschreckt aus, „was haben die armen Menschen denn gethan?"
„Ah," sagte die Maid verächtlich, „das sind „Schretteln"; denen geschieht's schon recht, und das bischen Bewegung kann ihnen nichts schaden."
„Schretteln?"
„Ja, schlechtes Volk, was seiner Zeit Grenz- und Marksteine versetzt und die Nachbarn um ihren Grund und Boden betrogen hat. Die werden gejagt, wo sie sich blicken lassen, haben hier unten auch gar nichts zu thun und sollen nur machen, daß sie wieder in ihre Sümpfe kommen. Wir brauchen derlei Gelichter nicht."
„Und wohin gehen wir jetzt?"
„Wart' hier einen Augenblick, ich bin gleich wieder da," sagte das Mädchen - „muß nur erst einmal nach Haus laufen und Dich melden, damit mein Vater weiß, wir kriegen Besuch für die Nacht. Nachher führ' ich Dich in die Wolfsschlucht, und dann gehen wir zusammen heim."
„Wenn Du nur einen Namen hättest, daß man Dich nennen könnte," sagte Bernhard traurig. „Ich weiß ja nicht einmal, wie ich später an Dich denken soll."
„Und brauchst Du dazu einen Namen?" lachte seine Begleiterin. „Warum giebst Du mir denn nicht selber einen? mir ist's recht."
„Darf ich?"
„Warum nicht - wem schadet's 'was?" /127/
„Aber wie soll ich Dich nennen?"
„Wie Du eben willst - weißt Du keinen hübschen Namen?"
„Oh gewiß, viele - mein Lieblingsname ist Margarethe."
„Der klingt auch ganz hübsch."
„Oder Marie."
„Wie Du willst - Marie ist noch kürzer - nenne mich Marie."
„Ich wollte, Du hießest Margarethe."
„Bist Du ein komischer Mensch! - aber warte nur hier - ich bin gleich wieder da. Leg' Dich derweile dort unter die Linde und ruh' ein wenig aus. Du mußt ja auch müde vom vielen Herumlaufen geworden sein."
Das Mädchen hatte Recht; war es die dicke, schwere Luft, die ihm hier unten so das Gehirn zusammendrückte; waren cs die vielen fremdartigen Bilder, die ganze unheimliche Umgebung. Er warf sich unter den Baum, und eine Zeit lang kam es ihm vor, als ob Alles in einem wirren Kreislauf vor seinem innern Blick vorüberflöge. Es wurde vollständig dunkel um ihn her, und dann war es ihm wieder, als ob ihn der Kreiser Metzler beim Namen riefe und er antworten wolle.
3.
Beim wilden Jäger.
Er mußte jedenfalls eingeschlafen sein, denn plötzlich fühlte er wieder des Mädchens weiche Hand auf seiner Schulter, und diese rief: „Ei, das lass' ich gelten; am hellen Tage schläfst Du wie ein Dachs. Ich machte mir schon Vorwürfe, daß ich Dich so lange allein gelassen, aber ich hätte wohl noch länger wegbleiben dürfen."
„Ach, Marie!" rief Raischbach, ordentlich erschreckt emporfahrend, „ich glaube wirklich, daß ich eingeschlafen bin." /128/
„Ja, ich glaub's auch!" lachte diese. „Du hast geschnarcht wie ein Dachs - aber jetzt komm, es ist spät geworden; denn wenn wir noch erst in die Wolfsschlucht wollen, kommen wir nachher gar so lange nicht heim."
„Aber was sollen wir in der Wolfsschlucht? Ich bleib' viel lieber bei Dir."
„Wirklich? Aber das geht nicht an. Das Fräulein hat Dich eingeladen, und die würde schon bös auf mich werden, wenn ich Dich nicht dahin brächte. Da findest Du auch die ganze vornehme Welt von da unten, und der alte gute Eckardt freut sich gewiß, Dich kennen zu lernen. Er hat alle Menschen lieb und ihnen noch nie einen Schabernack oder gar ein Leides gethan."
„Also ein ordentliches Casino haben sie dort?"
„Ei, Du wirst staunen, wenn Du's siehst - aber ich geh' nicht mit hinauf," setzte sie hinzu, „denn Unsereins gehört nicht zwischen die vornehmen Herrschaften, und die Frau Holle würde mich schön über die Achsel ansehen."
„Ja, kommt denn die auch dahin?"
„Na gewiß - da ist alle Abend große Gesellschaft, und wenn sie einmal recht lustig sind, dann kommen sie auch wohl hierher unter die große Linde und tanzen im Freien; aber das geschieht gar selten, denn die Mannsleute spielen lieber Karten und trinken Wein, und die Frauensleute sitzen beim Kaffee und schwatzen mit einander."
„Das ist ja aber gerade wie bei uns, Marie."
„Und warum soll's nicht wie bei Euch sein?" sagte das Mädchen ruhig - „waren es doch auch Alles früher einmal Menschen und haben deshalb ihre alten Gewohnheiten beibehalten; so 'was ändert sich nicht, und wenn man so alt würde wie die Welt."
„Und sind wir hier am Haus?"
„Das ist die Wolfsschlucht! Siehst Du das Schild nicht am Haus und den großen Wolfskopf drüber in Stein gehauen? Und da kommt auch schon der alte Eckardt. Mit dem lass' ich Dich allein, er kennt Dich schon, brauchst ihm gar nichts weiter zu sagen, denn der weiß Alles, was droben und drunten geschieht!" /129/
„Und wann seh' ich Dich wieder, Marie?"
„Ich pass' schon auf, wenn Du wieder herunter kommst und nehme Dich dann nachher mit," und ihm freundlich zunickend, glitt sie an dem alten Eckardt vorüber, der aber gar nicht den Kopf nach ihr wandte, in das Haus. Vor sich aber bemerkte Raischbach jetzt einen ehrwürdig aussehenden Greis mit weißem Haar und Bart, der einen eigenthümlich alten Rock und kurze Hosen und Schuhe und Strümpfe trug. Aber er sah freundlich und treuherzig aus, und dem jungen Forstmann die Hand entgegenstreckend, rief er: „Gott zum Gruß, Landsmann! Freut mich, daß Ihr auch einmal hier herunter zu uns kommt. Fällt selten hier vor, daß wir Einen von Euch zu sehen kriegen, denn was uns hierher geschickt wird, ist meistens Gesindel, das oben nicht gut thut und daher auf gute Besserung herunter muß."
„Und kennt Ihr mich denn, Meister Eckardt?" sagte Raischbach verwundert.
„Weshalb soll ich Euch nicht kennen?" lachte der alte Mann. „Hab' Euch oft zugesehen, wenn Ihr da oben halbe Tage lang auf den alten Bock gepaßt und geblattet habt, während der, kaum zweihundert Schritt von Euch entfernt, ruhig in der Dickung spazieren ging, und nur manchmal seinen Platz wechselte, um wieder Wind von Euch zu bekommen und genau zu wissen, wo Ihr gerade stäket."
„Ja,