Anna Q und das Geheimnis des Haselbusches. Norbert Wibben

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Anna Q und das Geheimnis des Haselbusches - Norbert Wibben


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sie leise und vorsichtig die Tür. Die Worte der Entschuldigung liegen ihr bereits auf der Zunge, als sie erkennt, dass sie nicht bemerkt worden ist. Leise hastet sie nach vorne, um sich in eine Bank der dritten Reihe zu setzen. Ihre Mitschüler schauen zwar verwundert, verpetzen sie jedoch nicht. Nur Tuscheln ist an verschiedenen Stellen zu vernehmen. Der Professor für Muttersprache hat nichts von Annas Verspätung mitbekommen, da er in die Lektüre eines Blattes vertieft ist, das er jetzt mit einem zufriedenen Lächeln auf einen Stapel gleicher Papiere zurücklegt. Anna hat es sich soeben bequem gemacht, als sein Blick auf ihr ruht.

      »Also, ja. Ich habe mir eure Arbeiten angesehen.« Seine Augen wandern zu einem anderen Schüler. »Dabei habe ich festgestellt, …« Die Pause legt er gekonnt ein, um eine größere Aufmerksamkeit zu erhalten. »…, dass ihr Erstaunliches geleistet habt.« Erneut wandert sein Blick zu einem anderen Kind. »Deshalb freue ich mich, alle, …« Pause. »…bis auf eine Arbeit, mit einem »Gelungen!« oder »Ausgezeichnet!« bewerten zu dürfen.« Der nächste Schüler wird von ihm fixiert. »Diese besagte Ausarbeitung …« Pause. Die Augen wandern weiter. »… muss mit anderen Maßstäben betrachtet werden.« Eine erneute Unterbrechung lässt die Spannung steigen. Bedeutet das jetzt etwas Positives oder doch eher Schlechtes? Und, was die Kinder noch viel brennender interessiert, wer von ihnen hat die Ausnahme geschaffen?

      Endlich räuspert sich der Professor, während seine Augen zum nächsten Schüler wandern. »In euren Reihen gibt es offenbar einen begabten Geschichtenerzähler mit großer Fantasie.« Pause. Anna schluckt. Ihre Geschichte über den Kolkraben und eine Schleiereule, die sich einen Schlafplatz teilen, hatte ihr bereits ein Lob eingebracht. Sollte die Erzählung über einen Feuerdrachen, der bei den Elfen aufgewachsen ist, erneut gut angekommen sein? Anna hatte lediglich das aufgeschrieben, was sie von Katherin und Saphira über Dragon-tan im Besonderen, und das normale Verhältnis von Drachen und Elfen im Allgemeinen, erfahren hat. »Ich freue mich, Anna als die begabteste Geschichtenerzählerin nennen zu können.« Jetzt blicken die braunen Augen sie erneut an. »Du bekommst ein »Außergewöhnlich ohne Gleichen!«, und das mit vollem Recht. Woher kommen nur deine Gedanken? Und dann verleihst du den Geschöpfen noch passende Namen! Ich bin begeistert. – Liest du uns bitte die Geschichte vor? Deine Mitschüler sollen erkennen, warum du dieses Lob verdient hast.« Er kommt mit den obersten Seiten des Stapels auf Anna zu und reicht ihr die Blätter. Die genannte Bewertung steht in großen Buchstaben in der obersten Zeile. Anna erhebt sich und senkt verlegen den Kopf. Eine leichte Röte zieht ihren Hals hinauf. Sie bedankt sich mit leiser Stimme, aber freudig glänzenden Augen, dann will sie sich wieder setzen.

      »Nein, mein Kind. Komm bitte nach vorne, setz dich auf meinen Platz und lies die Geschichte vor!« Anna hätte alles andere lieber gemacht, doch ihr bleibt keine Wahl. Sie folgt dem Professor mit zögernden Schritten, bekommt den Stuhl zurechtgerückt und lässt sich darauf nieder. Ihr Blick wandert kurz durch die Klasse. Einige Schüler lächeln sie erwartungsvoll an, andere wirken gelangweilt, und zwei schauen aus dem Fenster.

      Anna liest die ersten Worte mit leiser und unsicherer Stimme. Der Lehrer ermahnt sie, lauter zu reden, was einen Kloß in ihrem Hals bewirkt. Sie hustet und würgt, schließt kurz die Augen und konzentriert sich dann nur noch auf das Papier in ihren Händen. Sollen die anderen doch lachen, wenn ihnen danach zu Mute ist, weil sie sie für eine Spinnerin halten. Sie weiß, dass sie lediglich etwas Wahres berichtet. Anna atmet tief ein und aus, bevor sie mit fester und lauter Stimme beginnt.

      Pünktlich um drei Uhr steht Anna im Büro von Professor Raven. Morwenna trifft kurz nach ihr ein. Als sie Platz genommen haben, beginnt das Mädchen erwartungsvoll.

      »Nach der Unterhaltung mit Ainoa schien es mir wichtig, herauszubekommen, weshalb die Steinkreise bedeutend sein können. Und was haben möglicherweise die Haselbüsche damit zu tun, auf die der Cythraul so heftig reagiert, wie Ainoa berichtete?« Anna hebt eine Hand. Sie weiß urplötzlich, was ihr nach der Unterhaltung mit der Elfe wichtig erschien, aber nicht zu fassen war. Deshalb wollte sie auch mit Morwenna sprechen. »Mir fällt gerade ein bedeutsames Detail wieder ein: Ich bin zum ersten Mal unter einem Haselbusch in die Anderswelt gereist. Und wie Ainoa mir damals erklärte, ist der Übergang zwischen unseren Welten unter einem Haselstrauch leichter, da die Verbindung dort sehr eng ist.« Sie fühlt sich unbehaglich, denn offenbar weiß oder ahnt der Cythraul, dass der Übergang von einer in die andere Welt unter diesem Gebüsch einfacher möglich ist. Morwenna blickt zuerst zu Iain Raven, nickt fast unmerklich, und dann beginnt sie.

      »Wie ich heute Morgen sagte, hatte ich gerade Wichtiges entdeckt, das sich um ein Buch dreht. Genauer gesagt geht es darum, was ich in einem alten Wälzer gelesen habe. Darin ist die Geschichte »Das Geheimnis des Haselbusches« aufgeführt, die ein offenes Ende hat. Das ist für Erzählungen der damaligen Zeit ungewöhnlich. Deshalb reagierte ich auch so impulsiv, als Anna mich mit fast den gleichen Worten ansprach. – Schon seit alten Zeiten werden verschiedene Bäume und Büsche mit Magie in Verbindung gebracht.« »Das ist richtig«, unterbricht Professor Raven sie. »Der Haselstrauch unterstützt demnach die reisenden Schamanen auf der Suche nach Weisheit in den jenseitigen Welten. Das kann bedeuten, dass entsprechend begabte Zauberkundige mit seiner Hilfe zwischen den Welten wechseln können.«

      »Wenn dieser Seid Greif aus unserer Welt stammt, muss er das einmal gelesen haben. Wir müssen dringend mehr über ihn und sein mögliches Verhältnis zu Augustus Back herausfinden.«

      Alle Mitglieder des Schachteams sind aufgeregt. Sie haben in den letzten Tagen bis gestern spät abends Schach gespielt, wobei die Spielpaarungen mit jeder neuen Partie wechselten. Der vor zwei Wochen angekündigte Vergleichswettkampf findet zu Beginn der Herbstferien am Freitag, Samstag und Sonntag statt. Die Anreise mit der Eisenbahn erfolgt deshalb am Donnerstagnachmittag. Der Schulleiter Iain Raven lässt es sich nicht nehmen und verabschiedet die Vertreter seiner Schule am Bahnsteig.

      »Ich bin überzeugt, ihr werdet euer Bestes geben, um eurer schulischen Heimat, dem Internat Cinnt Caisteal, Ehre zu machen. Ich freue mich, dass ihr dafür sogar den ersten Ferientag opfert.« Sein Blick wandert über die Gruppe und ruht kurz auf Anna, wobei er ihr unbemerkt zuzwinkert. Schließlich schaut er die Teamleiterin an. »Morwenna. Innocent Green wird alles versuchen, damit ihre Schützlinge gewinnen. Ob sie dazu notfalls psychologische Tricks nutzen wird, weiß ich nicht, erwarte aber, dass ihr keine derartigen Kniffe anwendet. Ich drücke euch die Daumen. – Denk an den Wahlspruch unseres Internats: »Scientia potestas est.« Nutze die Zeit dort klug.« Professor Mulham nickt anstelle einer Antwort, dreht sich zu den Schülern und fordert sie auf, in den wartenden Zug zu steigen. Als sich diese im Wagon auf die Sitze verteilt haben, fragt Anna Robin:

      »Was sagte Iain Raven zu Morwenna? Ich habe erst seit wenigen Wochen Latein. Kannst du es übersetzen?«

      »Es bedeutet: Wissen ist Macht. Will er sie damit auf die notwendigen Recherchen hinweisen?«

      »Das könnte der Grund sein«, stimmt sie ihm zu. »Morwenna muss er aber sicher nicht daran erinnern, da sie weiß, wie wichtig ihre Aufgabe ist. Trotzdem wird unsere Teamleiterin vielleicht durch mögliche, fiese Tricks dieser Innocent Green davon abgelenkt werden. Wenn ich daran denke, wie aufgebracht sie noch im Nachhinein auf deren hochmütige Art reagierte, könnte das eine letzte Ermahnung Professor Ravens sein.« Beide erinnern sich an den verkniffenen Gesichtsausdruck Morwennas, als diese von der Begegnung mit der anderen Teamleiterin berichtete.

      Die Zugfahrt dauert etwa drei Stunden und wird verschieden genutzt, um sich mental auf die kommende Aufgabe vorzubereiten. Einige Schüler schauen aus dem Fenster und lassen die vorbeifliegende Landschaft auf sich wirken, andere halten die Augen geschlossen und gehen in Gedanken mögliche Eröffnungsvarianten für die kommenden Tage durch. Morwenna betrachtet ihre Schützlinge mit wohlwollendem Lächeln. Sie haben nur wenig Gepäck dabei, das ordentlich in den Ablagen über ihnen verstaut ist. Das sind entweder kleine Koffer oder einfach nur Rucksäcke. Für drei Übernachtungen benötigen sie nicht viel, zumal ihnen in den Gästezimmern des Internats alle benötigten Dinge zur Verfügung gestellt werden. Deshalb müssen sie lediglich Wäsche zum Wechseln und persönliche


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