Bachmanns Boot. Helmut H. Schulz
Читать онлайн книгу.verbrannt und krümelig.
Die Welle mit dem bemoosten Propeller ließ sich in der Buchse hin und her bewegen. Sie schlug gegen die Innenwandung und als der Meister den Motor laufen ließ, konnte Bachmann deutlich sehen, wie ausgeschlagen die Lager waren.
Belustigt dachte er: 'Das Bürschchen hat mich also schlicht betrogen!'
Der Meister setzte sich neben ihn auf die Kiste. Sie lächelten sich verstehend an.
"Viel brauchte ich wohl nicht zu sagen, was?", fragte der Meister. "Früher hieß es, jeder Zug bringt einen Dummen aus Berlin. Den muss man zu fassen kriegen. In diesem Falle waren Sie der Dumme."
"Also vergessen wir es", sagte Bachmann. Beinahe war er froh, so leichten Kaufes aus der Sache herauszukommen. Das Geld verschmerzte er leicht.
Aber da sagte der Meister: "Ihr Boot ist Eiche, Diagonal-Karweel, sowas baut man heute nicht mehr. Es hat keinen durchgehenden Kiel, aber die Einzelstücke sind noch gesund. Die Wrangen sind aus Stahl und zwar aus vorzüglichem."
Seltsamerweise wusste Bachmann, dass sich das Wort Karweel ihm nun für immer einprägen würde. Natürlich war es gleichgültig, ob er diese Fachausdrücke kannte oder nicht. Es ging jedoch etwas von dem Meister, eine sachliche Begeisterung, die Bachmann freute.
"Zuerst muss mal die Farbe runter, von vorn bis hinten. Dann kann man sehen, was mit dem Holz darunter wirklich los ist. Die paar Stellen da vorn, die kann man erneuern."
Zustimmend nickte Bachmann.
"Also fangen Sie erst mal an, die Beschläge abzuschrauben", sagte der Meister.
"Die Welle schlägt auch sehr", sagte Bachmann.
"Der Motor ist vollständig hinüber", erwiderte der Meister trocken. "Und außerdem kriegen Sie für diesen luftgekühlten Diesel keinen Erlaubnisschein, wenigstens nicht von mir und von keinem Bootsbauer."
"Nun lachte Bachmann. Gerade der Diesel hatte ihn gelockt. Jetzt stellte sich heraus, dass mit dem Motor nichts los war, und das Bürschchen hatte alles gewusst und ihn gründlich hereingelegt. Auch der Meister lachte.
"Wenn ich Sie richtig einschätze, so geht es bei Ihnen nicht um das Geld", sagte er. "ich allerdings würde mir den Verkäufer vornehmen. Aus Prinzip, und um ein bisschen mehr Ehrlichkeit willen."
"Bei Ihnen ginge es doch wohl auch nicht ums Geld", meinte Bachmann.
"Vielleicht könnte ich die paar Tausend auch verschmerzen, aber ich würde mich doch ärgern, solch einem Kerl aufgesessen zu sein. - Haben Sie schon mal darüber nachgedacht, warum ein Wort wie Redlichkeit nicht mehr in der Zeitung steht?"
"Ich muss Ihnen beipflichten", sagte Bachmann, "obwohl jeder natürlich nach wie vor um Recht oder Unrecht weiß."
"Sehen Sie mal, Herr Bachmann", sagte der Meister, "ich habe hier vor vielen Jahren in einer Baracke angefangen. Paddelboote habe ich gebaut, allein, manchmal hat mir meine Frau geholfen oder ein Geselle wollte sich ein paar Mark zur Rente verdienen. Ich konnte ihm ja keinen Lohn zahlen. Für die Paddelboote kriegte ich damals fünf Mark pro Woche Abzahlung. Es waren die Zwanzigerjahre, Arbeitersport kam auf. Die hatten es nicht dicke, und ich? Ich hatte es auch nicht dicke. Manchmal habe ich auf die fünf Mark gewartet, um meine Rechnungen zu begleichen. So allmählich ist hier ein Haus entstanden, die Bootsschuppen. Dann kam der Krieg, ich wurde dienstverpflichtet und musste auf einer Werft Schnellboote bauen, Särge. Die armen Kerls, die damit rausfahren mussten, habe ich mehr als einmal bedauert. Zum Schluss wurde ich noch Soldat und kam in amerikanische Gefangenschaft. Dann nach hier zurück und von vorn angefangen. Das Haus halb abgebrannt. Hier hat SS gelegen, die Dächer undicht, die Boote…"; er brach ab, "warum erzähle ich Ihnen das alles? Weil es mir wehtut, wenn ich die Vergeudung ringsherum sehe. Dabei ist eigentlich nichts im Überfluss da. Im Gegenteil."
Es war immer so, saßen ein paar Ältere zusammen, kam mit Sicherheit bald die Rede auf die Vergangenheit. Da ähnelten sich die äußeren Schicksale bis zum Zusammenbruch, nicht aber die Lebenswege danach. Der Meister musste wohl dort weitermachen, wo wenigstens noch ein Rest von dem vorhanden gewesen, was er einmal begonnen. Bachmann lobte die Haltung des Mannes im Stillen. Plötzlich auch verstand er, was den Meister geprägt hatte, das Verhältnis zu diesem kleinen und überschaubaren Eigentum.
"Nun, und heute", fuhr der Meister fort, "sind wir dabei zu erhalten, was Generationen vor uns an Booten gebaut haben. - Oder Sie kaufen Plast, von dem noch kein Mensch weiß, wie es sich auf Dauer verhält. Wahrscheinlich fällt es aber eher auseinander als ihr Boot. Und deshalb", der Meister stand auf, zum Zeichen, dass er zum Ende kommen wollte, "sollten Sie sich beimachen. Sie haben ja Zeit, Sie können ja pusseln. Ich an Ihrer Stelle würde mich nicht so leicht geschlagen geben."
Allein geblieben, dachte Bachmann über das alles nach. Er ging hinunter zum Steg und sah die Sonne wie einen rötlichen Ball in einer hellen weißlichen Luft schwimmen. Sie wärmte nicht mehr, vom 'Wasser und von den Wiesen stieg ein kräftiger Geruch auf, feucht und würzig.
΄Na ja΄, dachte Bachmann, ΄das wär’s dann also. Fang mal wirklich an.΄
Vom Haus des Meisters aus telefonierte er nach einer Taxe. Er musste warten, durfte im Wohnzimmer des Meisters sitzen und eine Tasse Kaffee trinken. Die Frau sprach Bachmann nicht an, aber er musterte sie, und er stellte sich vor, wie diese kleine grauhaarige Frau vor vierzig Jahren mit Hand angelegt hatte bei den billigen Paddelbooten.
Die Taxe brachte ihn bis vor die Haustür, Bachmann zahlte und ging wie neulich durch den Keller nach oben in sein Zimmer. Er wollte jetzt von niemand angesprochen werden. Auf dem Tisch an seinem Bett und den kleinen Sesseln lagen Zettel.
Elf Uhr zum Arzt, stand auf den Zetteln. Bachmann legte sie beiseite, wusch sich flüchtig und legte sich zu Bett. Er war erschöpft, aber er fühlte sich ganz wohl.
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