Das alte Haus. Heimliche und unheimliche Geschichten. Gerstäcker Friedrich

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Das alte Haus. Heimliche und unheimliche Geschichten - Gerstäcker Friedrich


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Gesichter denen überlassen, die eben Ursache haben, traurig zu sein, und welchen allen wir ja doch nicht helfen können." /62/

      „Marie hat Recht," bat da auch Helene, „lassen Sie die trüben Bilder, Schwiebus, machen Sie wieder ein freundliches Gesicht und erzählen Sie uns etwas Lustiges - aus Ihrem eigenen Leben vielleicht. Sie haben es mir schon lange versprochen, und heut Abend hätten wir so treffliche Zeit. Halten Sie Ihr Wort."

      „Etwas Lustiges aus meinem Leben?" sagte der Famulus achselzuckend; „wäre nicht übel, möchte nur wissen, wo ich's gleich hernehmen sollte. Etwas Lustiges vom Famulus Schwiebus - Famulus beim Doctor - Hetzelhofer" - und er sprach den letzten Namen mit leiser, scheuer, kaum hörbarer Stimme.

      „Oh, Sie wissen gewiß etwas," bat Helene, „wenn Sie sich nur recht besinnen wollten. Ich selber könnte Ihnen etwas angeben."

      „So?" sagte der Famulus, und sein Gesicht zog sich wieder in jene tausend Falten, in denen man nie im Stande war zu erkennen, ob er lache oder weine; denn selbst Thränen wären in jenen zahllosen Gruben spurlos verschwunden. „Sie also wüßten etwas Lustiges aus meinem Leben?" wiederholte er nach kleiner, nachdenkender Pause - „gut, so nennen Sie's, Fräulein Helene, und wenn ich's nicht vergessen habe, will ich's erzählen."

      „Gewiß?" rief Helene rasch und streckte ihm die Hand zum Einschlagen entgegen.

      „Gewiß," sagte der Famulus, ihr selber neugierig dabei in's Auge schauend.

      „Gut!" rief Helene, der Freundin zublinzelnd, „dann erzählen Sie uns heut Abend, Schwiebus, wie Sie - mit meinem Bruder bekannt wurden."

      Der Mann zuckte zusammen, als ob er von einem elektrischen Schlage getroffen wäre, und sein Blick flog rasch und unstät von dem Antlitz der vor ihm Stehenden nach dem Fenster hinüber und wieder zurück. Als er aber die Augen Helenens in jubelnder Lust, ihn so weit überlistet zu haben, aus sich ruhen sah, war es fast, als ob ein eigen wilder Humor über ihn komme. Er griff den Bogen wieder auf und schaute mehrere Minuten lang still und schweigend vor /63/ sich nieder. Dann lachte er aber plötzlich so laut und hell auf, daß die beiden Mädchen ordentlich zusammenfuhren. So herzlich hatten sie ihn noch nie lachen hören, und doch lag auch wieder etwas gar so Unheimliches in dieser wilden, fast unnatürlichen Fröhlichkeit.

      „Und weshalb glauben Sie, meine Damen, daß das etwas Lustiges ist?" sagte er endlich, nachdem er einen förmlichen Lachkrampf überwunden hatte und wieder zu sich gekommen war; „wer hat Ihnen überhaupt je davon erzählt?"

      „Erzählt? eigentlich noch Niemand," sagte Helene; „aber mein Bruder hat doch schon mehrere Male, selbst wenn Sie dabei zugegen waren, darauf angespielt und dann jedesmal so herzlich dabei gelacht."

      „Herzlich gelacht? - so?" - sagte der Famulus, jetzt wieder vollkommen ruhig, indem er die auf's Knie gestellte Violine dabei stimmte; „also herzlich gelacht hat er darüber? - ist ein gar lustiger Mann, der . . . der Doctor Hetzelhofer."

      „Und wollen Sie es uns erzählen?" fragte Marie.

      „Ob ich will? Gewiß will ich!" lachte der Famulus wieder; „habe ich es Fräulein Helenen nicht in die Hand versprochen? Ich halte immer Wort - das thut ja sogar mein Rabe, und ich werde mich doch nicht etwa gar von dem beschämen lasten. Aber - es wird ein wenig lang werden, das - Märchen. - Die ganze Geschichte ist auch überhaupt weiter nichts," setzte er, still und heimlich vor sich hinlachend, hinzu - „und - ich habe sie wahrscheinlich nur irgendwo einmal geträumt."

      „Desto besser, Schwiebus!" rief Helene, der Freundin vergnügt dabei zunickend, denn nun verging ihnen der Abend gewiß rasch und angenehm.

      „Aber ich begreife nur nicht, wie es ein Märchen sein kann," sagte Marie.

      „Kein Märchen?" wiederholte der Famulus kaum hörbar, und sah Momente lang still und stier vor sich nieder.

      Sein Gesicht war dabei wo möglich noch fahler geworden, und die Augen lagen ihm tief in ihren Höhlen. Das dauerte aber nicht lange - er legte sein Instrument neben sich nieder, /61/ bog sich im Stuhl zurück, stützte den linken Ellbogen auf das Fensterbrett und den Kopf in die Hand, daß sein Blick zuweilen die Sterne draußen suchen konnte, und begann dann mit leiser, aber vollkommen deutlicher, ruhiger Stimme:

      V.

      Die Geschichte des „todten Famulus".

      „Draußen im Walde wohnen die Träume - kleine, winzige, luftige Dinger, in Felsenspalten und Bergesschlucht, in hohlen Bäumen und einsamen Klüften, wie der Adler seinen Horst sucht, still und allein - aber Nachts kommen sie hervor. In Schaaren und Schwärmen, die der blöde Wanderer gewöhnlich für Schwaden und Nebel hält, verlassen sie Berg und Wald und suchen Schlafende. Mit deren Geist plaudern sie dann und führen ihn mit sich fort in Gedankenschnelle - weit über die Welt hinaus, bis er eben so wie sie zum Traum einst wird. Husch sind sie hier - husch sind sie da, und was für Schätze breiten sie da dem staunenden Blicke nicht aus in Gold und Demanten, köstlichen Speisen und Gewändern, was das Herz wünschen könnte und begehren! Und Zauberstäbe haben sie, Zauberkäppchen, Tischchen decke dich und Scepter und Kronen; Flügel für den, der durch die Lüfte zu ziehen wünscht, Flossen für den Schwimmer, und weit auf werfen sie die Pforten ihrer Berge, die Eingänge zu Muschelsaal und Demantenwald, dem neugierigen Schwärmer ein herzliches Willkommen entgegen rufend. Nur mitnehmen darf er nichts, wenn er sie verläßt. Ob er's geschenkt bekommen oder selbst genommen, unter den Händen schwindet's ihm wieder fort in Luft und Hauch. Die Flügel versagen ihm den Dienst, das Wasser speit ihn aus, der Berg drängt ihn zurück, und die Erinnerung nur bleibt dem Geiste mit ihren bunten, schillernden Farben - gerade wie das Bild, das der Sonnenstrahl auf glatte Fläche wirft und auf ihr hält - anscheinend fest und deutlich, und doch nur wie ein Duft darüber hingehaucht. /65/

      „Der Geist des Menschen ist frei, und kann streifen und schweifen, wohin er will, wachend oder schlafend. Nicht an die Materie gebunden, sattelt er sich sein zauberschnelles Roß, den Gedanken, und fliegt damit weit über Berg und Thal, über Land und Meer. Geist und Traum sind deshalb auch wackere, tüchtige Spielgefährten - nicht so die Seele.

      „Die sitzt daheim, an den Körper gebunden, und sorgt und sinnt und grübelt und rechnet, und sehnt sich hinaus in's Freie dabei - in die Luft zu fliegen mit dem Aar, in die Tiefe des Meeres zu tauchen - wie es der Geist kann, der wilde, unruhige Gesell. Umsonst - das Band, das sie an den Körper fesselt, ist wohl zerreißbar, kann aber dann nicht wieder geknüpft werden mit Menschenhänden, und aus ihrer Hülle vorzeitig gerissen, müßte sie durch das Nichts schweifen in Ewigkeit - durch das öde, entsetzliche Nichts ..."

      Er hielt schaudernd einen Augenblick inne und griff, fast wie unwillkürlich, nach dem Instrumente, ließ es aber neben sich liegen und fuhr nach kleiner Pause, wieder vollkommen ruhig, fort:

      „Draußen im Berge wächst eine Kraft - die Menschen nennen sie Gift - die ist im Stande, die Seele von dem Körper zu trennen, und keine menschliche Kunst wäre im Stande, sie zurück zu führen. In der Tag- und Nachtgleiche aber, wenn die Sonne gerade über dem Aequator steht, schießt hier und da über Nacht in einzelnen Felsspalten ein dünner, blutrother Halm auf und welkt und verdorrt, wenn nicht gepflückt, wie ihn der erste Sonnenstrahl bescheint. Die Träume, rastlose Burschen, die herüber und hinüber streifen und alle Winkel und Ecken kennen, wissen die Plätze wohl, und wem sie gut sind, dem zeigen sie geheime Kraft und führen den Geist, der mit ihnen um ihre Spielplätze kreist, zu den geweihten Stellen.

      „In irgend einer Stadt Deutschlands - der Name, und ob sie uns nah oder fern liegt, thut nichts zur Sache, denn lange Jahre sind seitdem entschwunden - lebte einst ein junger Bursche so froh, so glücklich in den sonnigen Tag hinein, so überselig in dem Genusse alles dessen, was diese Erde uns armen Sterblichen zu bieten im Stande ist, daß er - na-/66/türlich zuletzt übermüthig wurde und mehr verlangte. Die Träume waren dabei seine besten Freunde, und wenn er am Tage des Glückes Horn erschöpft und sich am Abend auf sein Lager warf, freute er sich schon im Voraus auf die wilde Bahn, die er mit ihnen weit hinaus in's Freie ziehen konnte - und er blieb keine Nacht daheim.

      „Aber das waren und blieben doch immer nur Träume, und die genügten ihm zuletzt nicht mehr.


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