Buntes Treiben. Gerstäcker Friedrich
Читать онлайн книгу.und indessen die Herren das verzehrten, war dem „Schulmeister" aufgegeben worden, seine Kinder zusammen zu trommeln, d. h. sie so rasch als möglich nach Hause zu schicken, damit sie in ihre Sonntagskleider fahren konnten.
Allerdings hatte Andreas genau den Tag, ja die Stunde vorher gewußt, in welcher die ehrwürdigen Herren eintreffen sollten, aber nach stillschweigendem Uebereinkommen wurde - das Frühstück natürlich nicht mit inbegriffen - gar keine weitere Notiz davon genommen und die Ueberraschuug auch glücklich imitirt. Die Prüfung mußte ja aus dem Stegreif stattfinden.
Nach dem Frühstück begann das Examen, und die Kinder hatten bis dahin auch genügende Zeit bekommen, um reine Wäsche anzuziehen und in einem wahren Angstschweiß noch eine Viertelstunde zu versitzen. Endlich nahte der große Augenblick, und der Generalsuperintendent nahm selber die Prüfung ab, an die er allerdings mit sehr ernster Amtsmiene ging und sich, allem Anschein nach, keine besondere Erbauung davon versprach. Was er wenigstens bis dahin von dem Schulmeister in Holzhäusel gehört, schien ihn nicht sonderlich für denselben eingenommen zu haben. Aber sein Gesicht heiterte sich wunderbarer Weise auf, je mehr er darin vorrückte und weitere Fortschritte entdeckte; ja die Kinder überraschten ihn durch ihre Kenntniß zahlloser Sprüche, die er von ihrem späteren Wohlergehen für unzertrennbar hielt. Sein Gesicht verklärte sich aber ordentlich, als sie zur Geschichte übergingen und die Jugend von Holzhäusel plötzlich einstimmig für den /31/ verjagten König von Neapel Partei nahm und ebenfalls den Griechen vollständig das Recht bestritt, ihren König nach eigenem Gefallen zu wählen. Der alte Herr nickte fortwährend freundlich über seine Brille hin.
Auch in der Naturgeschichte waren die Kinder bewandert; sie wußten außerdem genau, wie lange die Welt steht, und wie sie gemacht wurde, und wer die Sünde hineingebracht hatte, und die Prüfung verlief außerordentlich günstig.
Nach derselben drückte aber der Herr Generalsuperintendent dem Dorfschulmeister leibhaftig die Hand - es war noch nicht vorgekommen, so lange Holzhäusel stand - und sagte ihm anerkennende Worte.
„Noch Eins, was ich Sie fragen wollte, Herr Pech," unterbrach er sich dabei, „wie halten Sie es mit den Turnstunden?"
„Ich fürchte, ich bin da nicht Ihrer Meinung, Hochwürden," sagte Andreas achselzuckend.
„Nicht? - wie so?"
„Ich hatte die Kinder früher im Turnen unterrichtet," sagte Andreas, „aber - ich finde, daß es - daß es eigentlich nicht nöthig ist, und hatte die Absicht, es dieses Jahr ganz auszusetzen. Sie haben außerdem Bewegung genug und es zieht ihren Geist doch von - Wichtigerem ab."
„Es könnte sein, mein lieber Herr Pech," nickte der alte Herr freundlich, „daß unsere Meinungen nicht so weit auseinander lägen, als Sie vielleicht zu glauben scheinen. Doch - was ich Sie noch fragen wollte. Wie viel Gehalt beziehen Sie hier?"
„Hundertzwanzig Thaler, Hochwürden," seufzte Andreas leise.
„Und haben Sie Familie?"
„Eine Frau und sechs Kinder."
„Hm - da - da hätten Sie wohl nichts dagegen, wenn sich Ihre Lage verbesserte?" lächelte der alte Herr freundlich.
„Ach, Hochwürden, - wenn das möglich wäre!"
„Nun, versprechen kann ich's nicht, dazu ist mein Einsfluß zu unbedeutend, aber - wir wollen sehen. Es herrscht jetzt ein böser, eigenmächtiger Geist im Lande und leider – wie /32/ ich zu meinem großen Bedauern aussprechen muß - auch unter den Lehrern. Wir brauchen deshalb gutgesinnte Kräfte in unserer Nähe, um uns in dem schweren Werk zu unterstützen. Nun wir wollen sehen, Herr Pech - wir wollen sehen. Es hat mich aufrichtig gefreut, Sie hier in Ihrer Wirksamkeit kennen zu lernen. Ich glaube auch, ich werde im Stande sein, manche Vorurtheile zu widerlegen, die noch Ihretwegen im untern Lande circuliren. Auf Wiedersehen, mein lieber Herr Pech - auf Wiedersehen!"
Andreas ging an dem Tage wie in einem Traum herum, denn der Generalsuperintendent hatte ihm die Hand gegeben und ihn mein lieber Herr Pech genannt. - Natürlich war heute Nachmittag frei, wie hätte er, mit dem vollen Herzen - noch Stunde geben können.
Die Herren waren wieder fortgefahren, und er lief zum Chaussee-Einnehmer hinüber - er mußte Jemanden haben, gegen den er sich aussprechen konnte. Als er aber an der Pfarre vorbeiging, hatte ihn wohl der Herr Pastor vom Fenster aus gesehen und ließ ihn heraufrufen.
Auch dort wartete seiner ein freundlicher Empfang, wenn auch aus anderem Grunde.
„Schulmeister," sagte der alte Pastor, „Sie haben mir einen großen Stein vom Herzen gewälzt, denn ich fürchtete einen bösen Tag, und es scheint Alles vortrefflich abgelaufen zu sein."
„Ich habe mein Möglichstes gethan, Herr Pastor."
„Mehr, lieber Pech, mehr. Das Sprüche-Auswendiglernen ist ein Hauptsteckenpferd des Generalsuperintendenten, und wenn ich eine Ahnung gehabt, daß er selber heraufkommen würde, hätte ich Sie sogar darauf aufmerksam gemacht."
„Ich dachte mir selber, daß die Herren -" stotterte Andreas.
„Den Gedanken hat Ihnen der liebe Gott eingegeben, Pech," unterbrach ihn der Pastor.
„Bitt' um Entschuldigung," fuhr Andreas heraus, hielt aber auch wieder gleich erschrocken inne, denn er durfte doch nicht verrathen, daß gerade das Gegentheil der Fall gewesen. Der Pastor aber, überhaupt schwerhörig, schien zum Glück den Einwurf nicht verstanden zu haben, und zu dem Tisch gehend, /33/ auf dem noch die Weinflaschen standen, schenkte er dem armen Schulmeister, der ein solches Labsal nur schluckweise beim Abendmahl zu kosten bekam, ein ganzes Bierglas bis zum Rand voll und schob es ihm mit den Worten hin:
„Da trinken Sie, Pech - trinken Sie herzlich, und wohl bekomme es Ihnen. Es ist wirklich ächter Affenthaler."
Der Wein ging dem Schulmeister wie Feuer durch die Adern, und als er sich bald nachher bei dem Herrn Pastor verabschiedete, tanzte er ordentlich nach dem Hause des Chaussee- Einnehmers hinüber, wo seiner aber ein nicht so freundlicher Empfang wartete.
„Na," sagte Bellermeier mürrisch, „ist die Schinderei vorüber, und können die armen Würmer jetzt die Bibel auf acht Tage auswendig?"
„Auf acht Tage, lieber Chaussee-Einnehmer? - Ich hoffe, daß -"
„Ach Papperlapapp, bleiben Sie mir mit Ihrem Schnickschnack vom Leibe," rief der kleine Mann, „ich habe Alles gehört; die armen Leute sind in den letzten vierzehn Tagen alle Augenblicke bei mir gewesen, um mir ihre Noth zu klagen. Aber den Schwarzkitteln hat's gefallen, wie? - Hol' sie der Deubel!"
„Lieber Herr Chaussee-Einnehmer," sagte Andreas freundlich, „Sie wissen, wie oft ich Sie schon gebeten habe -"
„Ach was, hol' Sie auch der Deubel!" rief der kleine Mann ärgerlich - „wenn Sie den Mucker herausbeißen wollen, sind wir geschiedene Leute, und ich gründe hier in meiner Burg eine geschlossene Gesellschaft als einziges Mitglied. Pech! Andreas Pech, was treiben Sie denn für Streiche? Muß ich das an Ihnen erleben?"
„Aber ich begreife Sie gar nicht, Herr Chaussee-Einnehmer."
„Reden wir von 'was Anderem," lenkte aber der kleine Mann ein, der sich grundsätzlich nicht ärgern wollte. „Jetzt haben wir wenigstens ein paar Jahre Ruhe, ehe die - Mucker wieder heraufkommen. Verdirbt mir immer meinen ganzen Appetit, wenn ich die feisten Gesichter zu sehen bekomme. Apropos, wie ist Ihnen neulich Ihr Schlaf auf der Waldwiese bekommen?" /34/ „Mein Schlaf auf der Waldwiese?" sagte Andreas erstaunt.
„Na, wie sie neulich bis Nachts um ein Uhr draußen gewesen waren und dann nach Hause gekommen sind und im Schlafe allerhand dummes Zeug geschnackt haben, Ihre Frau hat mir's geklagt."
„Ich habe gar nicht draußen geschlafen," sagte Andreas, „und wenn Sie wüßten, wer mir dort begegnet ist."
„Nanu?" sagte der kleine Mann erstaunt, „doch nicht etwa der Leibhaftige?"
„Sie glauben ja an keinen," sagte Andreas zurückhaltend.
„Ne wirklich?" frug aber der Chaussee-Einnehmer und sah dabei