Ein Mann will nach oben. Ханс Фаллада
Читать онлайн книгу.zugehört hatte. Er hatte dabei fleißig Brote vertilgt, während Karl Siebrecht fast nichts gegessen hatte. »Warte nur, du wirst dich schon an mich gewöhnen, Rieke, und dann lachst du auch über mich. Und du sollst von mir dein richtiges, reelles Kostgeld kriegen, wenn du mich hier sitzen haben willst, heißt das, Rieke.«
»Und ich werde bestimmt etwas finden –« fügte Karl Siebrecht hinzu. »Ganz schnell werde ich etwas finden.«
»Wat du schon finden wirst!« sagte Rieke wegwerfend, war aber durch Kallis Ansprache doch etwas besänftigt. »Kuck dir lieber an, wat ick heute früh jefunden habe.« Sie zog die Tür zur Stube auf. »So haben se 'n mir jebracht, heißt det. Schon heute früh um vieren. Auf 'm Hof hat er jelegen, toll und voll, der Olle –« Der alte Busch lag auf dem Bett, noch halb in seinen Kleidern. Er sah wirklich ganz greulich aus, zerschlagen und gedunsen, wie ein Leichnam, der aus dem Wasser gezogen ist. »Und denn hat er hier noch anjejeben, jetobt hat der Mann, ick sare dir, Karl! Ick habe Tilda'n bei die Reinsberg bringen müssen, imma hat der Mann uff det Kind losjewollt! – He, Sie junger Mann!« plötzlich sprach Rieke wieder mit ihrer hellen scharfen Stimme, während sie bis dahin leise und verzweifelt geflüstert hatte. »Det is hier keen Anblick for Sie! Vorläufig jehören Se noch nich zu meine Familie! Machen Se, det Se hier rauskommen.« Und sie schloss die Stubentür mit einem scharfen Ruck vor Kalli Flau. Gleich fuhr sie, ohne allen Übergang, mit ihrer leisen verzweifelten Stimme fort: »Wat mach ick mit dem Mann bloß, Karle? Die Nachbarn saren ja, et is Dilirjum, und ick muß uff de Polizei melden, det der Mann wegkommt in de Trinkerheilstätte.«
»Das wäre vielleicht ganz gut!«
»So? Det sagst du? Du hast doch nich 'n Troppen Vastehste in deinem Kopp, Karle! Und wat mach ick, wenn Vata weg ist? Jloobste, die lassen mir Tilda'n? Jloobste, die lassen mir die Wohnung? Die stecken mir und Tilda'n in't Waisenhaus! Und denn ist allens futsch, wat ick mir hier zusammenjerackert habe. Det hier alles, det wird vakooft, und denn bin ick een Armenkind! Ha ick det nötig, een Armenkind zu werden?! Wo ick so jeschuftet habe – jeder Jroße hätte den Kram lange hinjeschmissen!«
»Rieke, wir finden bestimmt einen Ausweg. Du sollst nicht in ein Waisenhaus kommen, ich verspreche dir das! Wir müssen eben besser auf Vater aufpassen. Jetzt habe ich mehr Zeit, wir müssen rauskriegen, wer ihm zu trinken gibt.«
»Ja, sare bloß, Karle, wer jibt dem Mann zu trinken? Der Mann is doch keene Jesellschaft nich, det se ihn zu ihrer Unterhaltung mit Schnaps uffüllen! Und alle Tage toll und voll! Ach, Karl«, weinte sie, »verlaß mir bloß nich! Wenn ick dir nich mehr habe, denn hau ick den Kram ooch hin! Denn dreh ick den Jas uff ...«
Sie hatte die Arme um seinen Hals geworfen und weinte fassungslos an seiner Brust. Es war ein sehr ungewohntes Gefühl für Karl Siebrecht. Hastig strich er über ihren Scheitel. Es war doch ein schönes Gefühl! Daß er einem Menschen so viel bedeutete, das hatte er noch nicht gekannt in seinem Leben. »Weine doch nicht so, Rieke«, tröstete er. »Ich gehe doch nicht weg von dir! Warum wohl? Das sieht nur alles jetzt so dunkel aus, es wird auch wieder hell.«
»Nie, Karle, nie!« schluchzte sie. »Wir sind hin, Karle, det fühl ick!«
»Aber nein, Rieke! Denke daran, wie kurze Zeit ist es erst her, daß du dich über deine Maschine gefreut hast! Nun ist es dunkler, aber bald wird es wieder hell.«
»Schick den anderen weg, Karle!« bat sie unter Tränen. »Schick ihn bloß weg! Wat soll'n wa denn mit dem?! Det ist doch jenug, wir beede, Karl!«
»Aber, Rieke, warum soll er denn nicht bei uns sein? Das ist doch ein guter Junge, verlaß dich darauf. Warum soll ich denn nicht auch einen Freund haben, der nimmt dir doch nichts weg.«
»Doch, der will dir nur ausnützen – det kenn ick. Du bist so jutmütig, Karle, alle wollen se dir bloß ausnützen. Ick ooch – ick am allerersten –«
Sie weinte immer weiter an seinem Halse, aber schon leiser. »Schick ihn doch weg, Karl!« bat sie noch einmal. »Tu mir den einzigsten Jefallen!«
Ehe Karl Siebrecht diesen neuen Angriff abwehren konnte, klopfte es kräftig an die Tür, und Kallis Stimme rief: »Da ist ein Herr, der Rieke Busch sprechen möchte!«
Mit einem Ruck machte sie sich von seinem Halse los. Mit weit aufgerissenen Augen, geisterbleich, sah sie den Freund an. »Jetzt kommt es, Karl!« flüsterte sie. »Jetzt kommt det Unglück, ich spür et!« Sie bückte sich zu der Waschschüssel und spülte sich das Gesicht ab. »Na, denn man los, Karl! Du hast mir wackeln jesehen, aber det sollen die nich! Immer Forsche in die Brust, wenn't ooch schwerfällt! Denn komm, Karl, wollen mal hören, wat der Hagedorn will.« Sie hatte es ganz richtig erraten: in der Küche stand Herr Hagedorn, und neben ihm ein junger Mann ... »Morjen, Herr Hagedorn«, sagte Rieke. »Det is aber noch nich die Zeit for die nächste Rate. Die is erst Donnerstag!«
»Die Rate geht mich nichts mehr an«, sagte Herr Hagedorn. »Ich will die Maschine holen!«
»Auf wat hin denn?« fragte Rieke noch ganz sanft. »Wat ha ick denn vabrochen, det Se mir die Maschine wegholen wollen?«
»Ich habe die Maschine an eine Frau Busch verkauft ...«
»Mutta ist in't Krankenhaus. Wenn Se wat mit Mutta'n besprechen wollen, müssen Se warten, bis se wieder hier is, Herr Hagedorn.«
»Deine Mutter ist seit Jahren tot, ich habe mich erkundigt«, sagte Herr Hagedorn, und es war nun nichts mehr mit »Sie« und »Frollein«. »So was ist Betrug.«
»Se haben Ihr Jeld jekriegt, jenau, wie wenn't von Mutta'n käme – stimmt det oder stimmt det nich, Herr Hagedorn?«
»Ich schließe keine Verträge mit Kindern, das ist gesetzlich verboten. Sie haben mich auch betrogen, junger Mann, Sie sind gar nicht der Bruder von dem Mädchen! Das ist eine Urkundenfälschung, das wissen Sie sehr gut. Seien Sie froh, wenn ich Sie nicht ins Zuchthaus bringe. Ich hole meine Maschine wieder.«
»Se haben Ihr Jeld bekommen, Herr Hagedorn«, sagte Rieke noch einmal, aber nur schwach.
»Der Vertrag ist ungültig. Ich nehme mir die Maschine wieder.«
»Halt!« rief Karl Siebrecht. »Sie haben immer gewußt, daß es gar keine Frau Busch gab! Das ist jetzt bloß ein Kniff von Ihnen!«
»So eine Frechheit! Ich soll gewußt haben, daß die Frau Busch nicht lebt –? Seh ich aus wie ein Mann, der sein Geld aus dem Fenster wirft? Mache ich Geschäfte mit Kindern? Ich verlange meine Maschine! – Fritz, faß mal die Maschine mit an!«
»Ihr faßt die Maschine nicht an, oder –« rief Karl Siebrecht und stellte sich drohend neben sie. Vor ihr stand schon bleich, aber entschlossen Rieke Busch. Voller Bedeutung streifte Kalli Flau die Ärmel seines Sweaters hoch.
»Ach, ihr wollt nicht?« fragte Herr Hagedorn. »Prügeln werde ich mich nicht mit euch! Fritz, hol den Herrn Wachtmeister vom nächsten Revier. Der kann dich dann gleich mitnehmen, Junge, wegen Urkundenfälschung! Und deine Freundin auch!«
»Sie werden es sich überlegen, Herr Hagedorn«, sagte Karl Siebrecht kalt.
Sein Gehirn arbeitete fieberhaft. Es mußte ein Mittel geben, diesen Mann vom Äußersten zurückzuhalten.
»Sie würden auch reinfallen. Man wird uns glauben, wer weiß, wie bekannt Sie schon vor Gericht sind, wie oft Sie schon solche Geschichten gehabt haben. Und wir werden beweisen, daß die Rieke vor Ihren Augen unterschrieben hat. Wir werden die Tinte von der Unterschrift untersuchen lassen.« Er sah den Mann an.
»Ach, die Tinte! Was du dir ausdenkst!« Aber er schien nicht mehr so sicher.
»Fragt sich, wem der Richter mehr glaubt. Seien Sie vernünftig, Herr Hagedorn, nehmen Sie das Restgeld.«
»Ich verliere bei dem Geschäft! All die Zeit, die ich versäumt habe, und jetzt wieder das Abholen, das kostet doch alles mein Geld!«
»Wie hoch ist der Rest? Hundertdreißig Mark, nicht wahr, Rieke?« – Rieke nickte. – »Ich will Ihnen was sagen, Herr Hagedorn: ich gebe Ihnen mein Sparbuch – das lautet auf zweihundert Mark, und Sie geben mir dafür