Liebe und das Schicksal. null michelle_werner
Читать онлайн книгу.zeugten von den zahllosen schlaflosen Nächten ihrer unmittelbaren Vergangenheit.
Langsam und scheu öffnete sie ihre erpressten Lippen und mit einer allzu geschwächten Stimme bat sie ihn, ihr zu helfen. Sie wusste, dass Liebe ihr Problem kannte und dass es genügte, ihn um Hilfe zu bitten. Dennoch bestand Liebe darauf, dass sie ihm ihr Leid schilderte, denn er kannte den Unterschied zwischen einer grauen Wolke an die man dachte und einer die man wirklich sah.
Vor langer Zeit so begann er, lebte ein unbekümmerter junger Indianer irgendwo dort oben, wo die Wolken stehen. Eines Tages gefiel es seinem Meister, ihn für eine Weile auf die Erde zu senden, aber Freia gefiel diese Vorstellung überhaupt nicht. Obwohl er genau wusste, dass es nicht schicklich war, widersprach er seinem Meister nach Leibeskräften - nur dass es eben nicht die Kräfte seines physischen Körpers waren, sondern jene seiner Seele und seines unsterblichen Geistes.
"Warum Herr, wo ich doch alles habe, was in meinen Wünschen ist, warum sollte ich all dies verlassen und es gegen etwas eintauschen, welches nur schlechter sein kann, als dieses Paradies?" Des Meisters Kunst bestand unter anderem darin, nicht zu Freia sprechen zu müssen, sondern die Antworten einfach in ihm hochkommen zu lassen - eben als eine Art von innerer Stimme.
Was sagt dir, dass dieser Zustand in dem du dich befindest das Paradies ist? Ja, aber Meister alle nennen es Paradies - sowohl jene die hier oben sind, wie auch jene die noch unten sind - Die Freiheit - so hörte Freia seine innere Stimme - die Freiheit die Dinge zu benennen wie es dir beliebt oder erscheint ist dir als göttliches Geschenk mitgegeben, aber darin ist noch lange nicht der Anspruch auf Richtigkeit enthalten. Solltest Du Zweifel darin haben, dann blicke einfach hinunter auf die Welt, wie richtige Entscheidungen im Spiegel der Zeit zu einer morschen Attrappe der Wirklichkeit werden. Außerdem, so setzte die innere Stimme Freia‘s fort, hast du jemals von einer Wesenheit über uns gehört, dass wir das Paradies sind?
Aber über uns gibt es doch keine Wesenheiten, wer sollte denn schon über uns sein? Was kann es Höheres geben, als jenes, welches wir hier erleben? Dieser Erfahrung wegen habe ich vor, dich zur Erde zu schicken.
Nun beugte sich Freia der Entscheidung des Herrn, wenngleich sein Inneres noch nicht so ganz überzeugt war, zumindest nicht von der Notwendigkeit es zu erleben. Also schwebte Freia langsam zur Erde, um sich dort ein geeignetes Elternpärchen zu suchen, mit dem jene Lektion erlebt werden könne. Wenig später fand er eine wundervolle Mutter wie auch einen ebensolchen Vater und wenige Monate später gebarst du Meinke deinen Sohn, welchen du, deiner inneren Stimme folgend Freia rufen wolltest. In den folgenden Wochen wuchst ihr beide immer näher zusammen und wurdet ein Herz und eine Seele. Du sprachst von deinem Kleinod, deinem Schatz und warst Gott für diese Gabe überaus dankbar. Tiefe Ehrfurcht erfüllte deine Seele, weil er gerade dir diese Wesenheit gesandt hatte. Einmal sagtest du sogar, dass nur jenes Wesen zu dir passen würde und dass du dich in Gottes Hand vollkommen geborgen fühltest.
Auch Freia liebte dich von Tag zu Tag mehr. Nach all seiner Vorstellung wollte er für immer mit dir zusammen sein und konnte sich auch niemals vorstellen, sich eine Frau zu nehmen, welche ihm mehr bedeutete als seine Mutter. Freia fühlte sich wie im Paradies und die Augen seiner Eltern waren ihm Sonne, Mond und Sterne zugleich. Nur manchmal zog er sich ein wenig auf den Berg zurück, um Gott zu bitten ihm eine unendlich lange Zeit mit dir zu schenken. Nicht immer kehrte er von jenem Berg zurück. An seinem 8. Geburtstag war er auch wieder auf den Berg des Lichtes gegangen und dort verblieb er drei Tage und drei Nächte. Als er zurückkam war er völlig ermattet und abgekämpft. Die ganze Zeit über hatte er versucht, seinen Meister von etwas zu überzeugen, nämlich, dass er dies Leben als Paradies empfinde und daher für immer hier verweilen möchte.
Aus seinem Innersten kam aber nur eine ganz kurze Nachricht: In deiner inneren Realität ist immer der Ort deiner Gegenwart das Paradies oder die Hölle, dennoch bist du nach wie vor auf der Suche nach der Wirklichkeit. Du bist hinabgesandt um auf dieser Reise jenen Lernschritt zu tun und damit wird es für dich Zeit heimzukehren. Tage danach verstarb dein Sohn in deinen Armen an einer geheimnisvollen Krankheit, deren helfenden Aspekt wir bis heute nicht ganz verstanden haben und so lange werden wir sie auch Hilfe nennen.
Freia kehrte zum Meister zurück und hatte unendlich viel verstanden. So etwa, dass über uns immer etwas ist, welchem wir zustreben, auch wenn wir die scheinbare Realität zum Zentrum unseres Denkens und Handelns machen. Freia verstand, dass wir jeden Zustand nennen können, wie es uns beliebt, dass aber erst eine spätere Qualität die Erkenntnis der Wahrhaftigkeit oder des Irrtums verleiht. Freia hatte aber auch verstanden, dass wir uns besonders dann gegen einen Schritt des Schicksals wehren, wenn die nächste Aufgabe bereits ihre Schatten wirft, so als gelte es im Alten zu verharren, so als gelte es das Neue Unbekannte zu meiden.
Freia verstand aber auch, dass wir das Schicksal in solchen Momenten "grausam" nennen, obwohl es das nicht ist. Grausam bedeutet letztlich nur, dass der Sam(en) eines übergeordneten weiterführenden Konzeptes noch im Grau(en), also im Schatten liegt.
Du Meinke nennst es grausam, dass dein Schatz dir genommen wurde - in Wirklichkeit wäre es grausam, wenn du aus dem eigenen Egoismus des (ihn) haben Wollens heraus, ihn daran hindern würdest das Grau über dem Samen seines Entwicklungsbäumchens zu lüften. Hättest du ihn nur ein ganz klein weniger lieb gehabt, wäre dir der Abschied gewiss leichter gefallen, aber dann wäre er gar nicht zu dir gekommen, denn dann hätte er seinen Weg bei dir nicht zu erlernen vermocht. Du aber Meinke hast ihm den größten Dienst mit deiner Liebe erwiesen und tief in deinem Innersten weißt du es längst. Da du aber verlernt hast auf die göttliche Stimme in dir zu hören, entstanden Zweifel und diese führten dich zu mir.
Gleich einem Spiegel erzählte ich dir die Geschichte deines Sohnes, nun liegt es an dir, wo aus innerer Realität Wirklichkeit wurde, diese auch anzunehmen, damit du dich deiner nächsten Aufgabe zuwenden kannst. Ich weiß, sprach Meinke, aber erst jetzt, wo ich wiederum gelernt habe, meiner inneren Stimme zuzuhören, bin ich auch reif dieses nächste Ziel meines Daseins zu beginnen.
Allmählich erhob sich Meinke und verließ mit einem großen Gefühl der Dankbarkeit und der Geborgenheit das Zelt und langsam ging sie ihrer Zukunft entgegen - bloß dass sie nicht genau sehen konnte, wohin sie ihre Schritte lenkten, denn ihre Augen waren erfüllt von den Tränen der Dankbarkeit und Gnade.
Liebe dankte dem Meister für diese Geschichte und vor allem, dass er sie auf diese Weise auch hören durfte, nicht nur Meinke. Liebe wusste in diesem Augenblick, dass ihm das Leben noch viele Fragen beantworten würde, auch wenn er nicht mehr draußen bei seinem Panther...
Der Weg der Reinigung
Liebe war heute mit seinem linken Bein zuerst aufgestanden. Die meisten Dinge schienen sich gegen ihn verschworen zu haben. In seinem Innersten machte sich behäbiges, würgendes als auch ätzendes Unwohlsein breit. Liebes Atmung wurde immer flacher und irgendwie lag die Frage im Raum, wie weit Liebe seine Lebendigkeit noch einengen konnte. Auch wurde sein Pulsschlag immer schneller, als ob er von einer Lawine verschüttet worden wäre und die Luft allmählich zu Ende ginge. In einem Wechselspiel aus Panik und Resignation hatte er die ersten Stunden dieses Tages zugebracht und dabei den ihm begegnenden Stammesbrüdern von weitem schon abgewunken.
Diesen heutigen Tag war er nicht in der Lage, seinen Dienst an der Gemeinschaft zu tun, denn heute brauchte er einmal ein Weilchen für seine innere Wirklichkeit.
Niemand konnte von ihm verlangen, dass er ohne Ablass den Anderen helfen könnte, ohne sein Innerstes wieder ins Lot zu bringen. Ihm fielen Worte seines Lehrmeisters ein: "Gib von allem, über welches du verfügst. Sollte er denn von jenem inneren Drängen und Stöhnen auch ein Teil den Anderen geben? Wäre es nicht gerecht, wenn er selbst einmal die Hilfe der Anderen bekäme, so wie er ansonsten versuchte das Helferlein der Bedürftigen zu sein?
Tief in seinen Gedanken sah er zum Himmel empor und suchte zwischen den Wolken nach einer Antwort. Doch heute zeigten selbst die Wolken nur Grimassen und Fratzen, ohne irgendeinen Anflug von Freundlichkeit.