Reisen Band 1. Gerstäcker Friedrich
Читать онлайн книгу.emportauchende Seehunde zu thun, ruderten wir zum Schiff zurück, und kaum dort angelangt, folgte auch schon ein rasch gegebener Befehl nach dem andern. Das Boot wurde zuerst durch sämmtliche Mannschaft an Bord genommen. Der Capitain hatte indessen noch einmal nach dem Barometer gesehen, und die leichteren Segel kamen gleich darauf herunter, das Marssegel wurde gereeft, und wir waren kaum damit fertig, als rasch und drohend von Westen her eine dunkle Wolkenschicht aufstieg. Der Wind fing zugleich ziemlich scharf von Norden zu wehen an.
Besserer Zeichen bedurfte es nicht. Das große Segel wurde jetzt ebenfalls, das Marssegel dicht gereeft, das main-sail ganz fest gemacht, und nun ging der Tanz wieder los. Noch war's nicht dunkel geworden, als sich der Wind nach Nordwest, dann gegen Westen herumschlug, und bald pfiff wieder, von fluthendem Regen begleitet, ein so wüthender Pampero über den weiten Strom dahin, daß der Sturm /23/ durch die Blöcke und Taue heulte, die See, mehr und mehr aufqerüttelt, ihre weißen Kämme in einem wahren Spritzschaum über die Fläche sandte und die kleine Insel, in deren Nähe wir heute herumgeschwommen, schon lange wieder unseren Blicken entschwunden war.
Die ganze Nacht dauerte es so fort; ich wurde zweimal aus der, nur mit einer sehr niedern Schutzwand versehenen Koje geworfen, ja selbst der nächste Tag bot uns wenig Besseres. Der eigentliche Pampero, wie der erste und tollste Ansturm des Wetters genannt wird, hatte sich allerdings in etwas gelegt, aber es wehte doch noch trotzdem ein ganz anständiger Sturm. Unser kleines Fahrzeug arbeitete auf eine verzweifelte Weise in den aufgerüttelten Wogen umher, die den Mitteltheil desselben fortwährend bedeckt hielten, und beim Auf- und Niedersteigen ihre klare, perlende Fluth sogar bis dicht an das ziemlich erhöht liegende Steuer spülten.
Der San-Martin - früher Karl Heinrich und jetzt nur umgetauft, weil er unter argentinischer Flagge fuhr - war, was die Seeleute ein „tüchtiges Seeboot" nennen, und segelte besonders gut. Dies konnte aber natürlich nicht verhindern, daß das kleine Ding von der hochgehenden See auf das Unbarmherzigste umhergeworfen wurde, und wir selber flogen in der Kajüte, wenn man sich nicht wirklich aus Leibeskräften festhielt, bald aus dieser Ecke in jene, mit dem einzigen Vortheil, daß man nie an seine alte Stelle zurückzugehen brauchte, weil uns die nächste Bewegung gewöhnlich schon selber dorthin oder doch in die nächste Nähe zurückbrachte. Beim Essen lag, wie bei allen Schiffen in schlechtem Wetter, ein Gestell von Ouerleisten auf dem Tisch, um die Teller am Hinunterrutschen zu verhindern. Das unsere war gute zwei Zoll hoch, und doch sprangen sie oft darüber hin. Keinen Löffel Suppe konnte man als errungen betrachten, bis er wirklich hinuntergeschluckt war, und wenn man bei Tisch kühn genug sein wollte, mit beiden Händen zu essen, so mußte man sich wenigstens indessen mit den Beinen festhalten. Es war eine traurige Existenz, und der Wind blies uns dabei so in die Zähne, daß wir nicht allein gar keinen Fortgang machen konnten, sondern im Gegentheil wieder weit /24/ zurück und in See hinaus getrieben wurden. Seevögel gab es hier in fast unglaublicher Menge.
Wegen des Krieges zwischen Buenos-Ayres und Montevideo, wobei Rosas die Stadt Montevideo von der Landseite her fest eingeschlossen hielt, konnten diese keine Provisionen und besonders kein Fleisch aus dem innern Lande bekommen, und zahlreiche Fahrzeuge waren beschäftigt gewesen, Rinder von Rio-Grande aus Brasilien nach Montevideo hinaufzuführen. Der San-Martin war ebenfalls früher zu diesem Geschäft verwendet worden, ehe er die argentinische Flagge führte. Diese kleinen Schooner wurden nun nicht selten, von einem tüchtigen Pampero überrascht, genöthigt, ihr Vieh über Bord zu werfen, und da auch selbst auf glücklichen Reisen einzelne Stücke immer daraufgingen, so trieben fast ununterbrochen todte Rinder in der Mündung des Stromes umher. Dadurch aber hatte sich eine wahre Unmasse von Seevögeln hierher gezogen: Albatrosse, Captauben und Gott weiß wie viel verschiedene Arten von großen und kleinen Möven, so daß sie manchmal zu Tausenden über die aufgerüttelten Wogen strichen und das Schiff fortwährend kreischend umzogen.
Am zweiten Tage des Sturms hatten wir ein eigenes Schauspiel, das ich im Leben nicht vergessen werde. Die See ging sehr hoch, der heulende West peitschte noch toll und wild hinein, und das kleine schwergeladene Fahrzeug - Capitain Hauschild kam mit Salz von den Capverdischen Inseln - ächzte und arbeitete mühselig gegen die immer neu herandrängenden Wassermassen an, als der Ruf eines vorn auf der Back stehenden Matrosen unsere Aufmerksamkeit dorthin lenkte. Der Mann sah leichenblaß aus und deutete nach vorn, vor dem Bug aber schwamm auf den Wogen ein großes hölzernes Kreuz, das die erregte Fluth irgendwo vom Lande mußte losgerissen haben, und gerade jetzt hob es die andrängende Welle aufrecht empor, daß es fast senkrecht gerade vor dem Bug des Schiffes stand - im nächsten Augenblick verschwand es, die Fluth trug es unter oder neben uns hin, ohne daß wir es bemerkten, und wenige Secunden später stieg cs dicht hinter uns wieder aufrecht in derselben Art empor. /25/ Wer abergläubisch gewesen wäre, hätte das allerdings gar leicht für ein böses Omen halten können, und überdies ist der La Plata, mit seinen flachen Ufern und gefährlichen Sandbänken, ein gar böses Wasser, das schon mancher armen Schiffsmannschaft das Leben gekostet hat. Wir kümmerten uns aber wenig um das Omen, denn eben wurde die Leber des später ausgeschlachteten Seehunds aufgetragen, und das frische Fleisch roch zu einladend, um nicht alle anderen, noch dazu trüben Gedanken zu verscheuchen.
Am dritten Tag legte sich der Sturm zwar, der Wind drehte aber, statt nach dem Süden herumzugehen, wie er das nach einem Pampero fast jedesmal thut, nach Norden herum, und faßte uns da in eine nördlich durch Land abgegrenzte Bai, aus der wir, gegen Wind und Strömung an, mehrere Tage gar nicht herauskreuzen konnten. Endlich, am sechzehnten Tag unserer Abfahrt von Rio de Janeiro, erreichten wir die am rechten Ufer gelegene punta del lndio, der gerade gegenüber ein Leuchtschiff ankert, das auch zugleich Lootsen für die einlaufenden Schiffe an Bord hat. Hier bekamen wir ebenfalls einen Lootsen, einen alten Amerikaner, der seiner Aussage nach den Fluß auf das Genaueste kannte und uns bald nach Buenos-Ayres zu führen versprach.
Das zu unterstützen, bekamen wir noch an demselben Nachmittag einen tüchtigen Südoster, und liefen nun von einer herrlichen Brise den jetzt schon gelb und trüb' werdenden breiten Strom hinauf.
Wie schon gesagt, ist der La Plata einer der am schlimmsten zu befahrenden Ströme der Welt. Nirgends bietet sich dem Schiffer eine Landmarke, sein Fahrzeug danach zu steuern, die Strömung ist, der Breite und der vielen Untiefen des Stromes wegen, ebenfalls unbestimmt, aber nichtsdestoweniger stark, und die einzig mögliche Art das Schiff zu führen, mit dem Loth oder Senkblei. Ununterbrochen steht denn auch, von dort an wo die eigentlichen Sandbänke beginnen, ein Mann außen von der Schanzkleidung, der sich erst durch ein festgeschlagenes Tau vor dem Wegfallen gesichert hat, und wirft das Loth oft Einer an jeder Seite - und danach steuert der Lootse, der den Grund hier sehr genau kennen /26/ muß, das Schiff. Solcher Art liefen wir die ganze Nacht durch, und in der Dunkelheit war es gerade kein angenehmes Gefühl, rechts und links Bänke zu wissen, die, nur bei der geringsten Fahrlässigkeit, Schiff und Mannschaft zu Grunde richten konnten. An den allen gingen wir aber rasch und sicher vorüber, und Morgens um zwei Uhr rollte auf der Außenrhede von Buenos-Ayres unser Anker in die Tiefe.
3.
Buenos-Ayres und seine Umgebung.
Die Rhede von Buenos-Ayres ist nichts weniger als günstig gelegen, denn auf der innern können nur kleine Fahrzeuge, die nicht tiefer als acht Fuß gehen, ankern, während die äußere wenigstens vier englische Meilen vom Land entfernt liegt und bei einem starken Südoster - wie wir ihn gerade unglücklicher Weise hatten - die Fahrzeuge fast eben so gut in offener See bleiben könnten. Eine andere Unannehmlichkeit ist die, daß bei einem solchen Wind die See ebenfalls gegen das flache felsige Ufer steht, und durch ihr Branden den Booten großentheils das Landen unmöglich macht - ja zu nur etwas tiefgehenden Booten müssen selbst bei ruhigem Wetter besonders dazu gehaltene Karren hinausfahren, Mannschaft oder Ladung in Empfang zu nehmen.
Einen vollen Tag lagen wir solcher Art auf der Rhede mit der Stadt in der Ferne vor uns, ohne an Land zu können, und am zweiten Tag wehte es noch eben so stark; wir forcirten aber die Anfahrt und gelangten glücklich, von Spritzwellen nur wenig durchnäßt, an Land.
Hast Du Dich, lieber Leser, wohl schon einmal recht lebhaft in die Märchen von Tausend und eine Nacht hinein versetzt, wo ganz plötzlich und unerwartet auf ein einfaches /27/ in die Händeschlagen oder ein anderes höchst unschuldiges Zeichen die wunderlichsten Gestalten und Landschaften aus dem Boden heraufsteigen und den Beschauer