Der junge Goedeschal. Ханс Фаллада
Читать онлайн книгу.Andere Köpfe, die hochschießen.
»Und zwei?«
(›Ach! Schneller, schneller!‹)
»Und eine?«
Kai sah nicht mehr auf.
»Und gaaaaar keine?«
Es zerrte und schob ihn aus der Bank. Er stand.
Es war ihm, als sei er sehr hoch über der Klasse, in anderer Luft. Und sehr allein. Sein Gehirn war abgestorben. Kraftlos und matt hingen die Hände herab. Kein Laut schien zu ihm zu dringen. Was sagten sie? Lachten sie? Hatte Bäcker gesprochen? Aber dann war die Stimme wieder da: »Goedeschal, bringen Sie Ihre Kladde!«
Das war die einzige Stimme, der einzige Laut, und sonst gab es nichts auf der Welt. Kai griff das Heft. Es suchte sich, zwischen zwei Fingern aufgehängt, ihm zu entziehen. »Was will es? Habe ich etwas vergessen? Nein! Nichts?«
Dann: »Doch, habe ich etwas vergessen! Aber ich weiß nicht mehr.«
Noch immer an seinem Platz fühlte er die kühle Glätte des Papiers zwischen seinen Fingern.
»Doch weiß ich. Aber ich kann jetzt nicht daran denken.«
Er ging auf das Pult zu, er mußte sehr vorsichtig auftreten, sonst zerbrach etwas in ihm. Die Gesichter seiner Kameraden waren gespenstergleich und aufgeblasen an den Seiten seines Weges, unter ihm wie Kohlschosse aufgewachsen. Automatenhaft rollten ihre Augen auf ihn zu. Hier war die Stufe zum Katheder. Ganz hoch auf den Zehenspitzen, versuchte er die Beine anzuziehen, die zu tief unter ihm waren. Bald wäre er doch gestolpert.
»Geben Sie schon her!«
Und nun durfte er es wieder wissen: »Warum habe ich denn die Seite nicht herausgerissen?! Vielleicht hätte ich's doch gekonnt.
Sind noch andre da? Hinten in meinem Hirn wird ein Film abgerollt, aber vorn denkt's: noch kann ich zugreifen, ihm das Heft fortreißen. Alles besser, als daß er die Verse findet. – Ah! ...«
Die Hände hatten aufgehört zu blättern. Kai wußte, was auf der Seite stand. Warum machte niemand in der Klasse Lärm? Kai stampfte mit dem Fuße auf, aber nur ein kleines, dürres Geräusch wie das Knarren einer Sohle kam zu ihm herauf.
Professor Bäcker schloss das Heft. Für einen Augenblick hielt er es in der Schwebe, legte es dann auf den Pultdeckel. Und wieder griffen die Hände zu, die Kai als seltsam zerfressen und in geweitete Haut gesteckt aus dem Augenwinkel sah, schoben es rechtwinklig zum Holzrand. Sie glitten zurück, und nun war alles entschieden.
Professor Bäcker räusperte sich. »Hierüber kann ich nicht befinden. Ich werde mich mit Herrn Direktor ins Benehmen setzen. – Gehen Sie, Goedeschal. Hefte einsammeln, Wellhöhner.«
Aufstürzender Lärm. Pultdeckelschlagen. Die Tintenfässer klapperten. »Herr Professor ... ich ... ich ... Sie ... Sie ...«
»Ich sage Ihnen ja: ich kann nichts entscheiden. Setzen Sie sich.«
Wieder saß er. Der Nachbar flüsterte: »Was ist denn?«
Er zuckte die Achseln. Überall drinnen brachen die Tränen hervor, und in seinem Innern rauschten sie wie endlose graue Vorhänge.
Der Primus zögerte an seinem Platz. »Was war denn los? Karzer?«
Kai reichte ihm das leere Reinschriftheft.
»Auch das kommt noch! Strafe! Karzer! Die Eltern. Endlich triumphiert Mama. Ich muß flehen, betteln, traurig sein, bereuen. – Aber er hat uns betrogen! Bis eins hatten wir Zeit, und um halb eins hat er die Hefte einsammeln lassen. Ich wäre fertig geworden, bestimmt. – Aber nein, ich sage den Eltern nichts, ich kann nicht. Ich flehe ihn an. Gleich nach der Stunde, auf dem Gang.«
Und sein Heimweg trat vor ihn, plötzlich überfiel ihn die Vision all der Häuser, rechts, links, vorn, hinten, über ihm und an seinen Füßen entlang schleichend. Hinter diesem Meere von Scheiben lebten Schicksale, Lachen, Weinen, Sorgen, und nichts hatte mit ihm zu tun. Auf allen Seiten war er eingeschlossen von fremden Tränen und Gelächtern; sein klägliches Geschick, gänzlich unbeachtet von tausend andern, sehnte sich nun nach Wärme.
»Ilse«, und dann wieder nur dies: »Ilse – Ilse – Ilse!«
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