Jeder stirbt für sich allein. Ханс Фаллада

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Jeder stirbt für sich allein - Ханс Фаллада


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sie kein Wort mehr hören!

      Und damit wendet sich das Fräulein empört von Enno ab. Kluge murmelt ein paar Worte der Entschuldigung und macht, daß er wieder aus dem Café herauskommt. Er steht noch ratlos, was er nun tun soll, auf der nächtlichen Straße, als ein anderer Herr aus dem Café kommt, ein älterer Mann, ziemlich abgerissen, kommt es Enno vor. Dieser Mann geht zögernd auf Enno zu, dann gibt er sich einen Ruck, zieht den Hut und fragt, ob er nicht der Herr sei, der eben im Café nach einer gewissen Tutti gefragt hat?

      »Vielleicht«, antwortet Enno Kluge vorsichtig. Warum er denn frage?

      »Ach, nur so. Ich kann Ihnen eventuell sagen, wo sie wohnt. Ich kann Sie auch bis an ihre Wohnung bringen, nur müßten Sie mir auch einen Gefallen tun!«

      »Was denn für einen Gefallen?« fragt Enno noch vorsichtiger. »Ich weiß nicht, was für einen Gefallen ich Ihnen tun kann. Ich kenn Sie gar nicht.«

      »Ach, gehen wir doch schon ein Ende!« ruft der ältliche Herr. »Nein, es ist kein Umweg, wenn wir hier langgehen. Die Sache ist nämlich die und der Umstand der, daß die Tutti noch einen Koffer mit Sachen von mir hat. Vielleicht können Sie mir den Koffer morgen früh schnell mal rausreichen, wenn die Tutti schläft oder auf Besorgungen aus ist?«

      Der ältliche Mann scheint für sicher anzunehmen, daß Enno bei der Tutti über Nacht bleiben wird.

      »Nein«, sagt Enno. »Das tu ich nicht. Auf solche Sachen lasse ich mich nicht ein. Tut mir leid.«

      »Aber ich kann Ihnen genau sagen, was in dem Koffer ist. Es ist wirklich mein Koffer!«

      »Warum fragen Sie dann die Tutti nicht selbst darum?«

      »Na, wenn Sie so reden«, sagt der ältliche Herr gekränkt, »dann kennen Sie die Tutti nicht. Das ist doch ein Weib, das müßten Sie doch wissen! Die hat Haare auf den Zähnen, i wo, keine Haare, Igelborsten hat sie drauf! Die beißt und spuckt wie ein Pavian – und darum wird sie ja auch so genannt!«

      Und während der ältliche Herr diese liebenswürdige Schilderung von der Tutti entwirft, fällt dem Enno Kluge mit Schrecken ein, daß die Tutti wirklich so ist und daß er das letzte Mal mit ihrem Portemonnaie und mit ihren Lebensmittelkarten verschwunden ist. Die beißt und spuckt wirklich wie ein Pavian, wenn sie in Wut ist, und wahrscheinlich wird sie diese Wut sofort an Enno auslassen, wenn er jetzt ankommt. Alles, was er sich von einem Nachtquartier bei ihr eingebildet hat, ist eben nur Einbildung ...

      Und plötzlich beschließt Enno Kluge ganz aus dem Handgelenk heraus, von dieser Minute an anders zu leben, keine Weibergeschichten mehr, keine kleinen Stibitzereien mehr, auch keine Rennwetten mehr. Er hat sechsundvierzig Mark in der Tasche, davon kann er bis zum nächsten Lohntag leben. Morgen gönnt er sich noch einen Schontag, so zerschlagen wie er ist, und übermorgen fängt er richtig wieder mit der Arbeit an. Die werden schon merken, was sie an ihm haben, die werden ihn nicht wieder an die Front schicken. Er kann wirklich nicht nach alledem, was er in den letzten vierundzwanzig Stunden erlebt hat, solch einen Paviansempfang bei der Tutti riskieren.

      »Ja«, sagt Enno Kluge nachdenklich zu dem ältlichen Herrn. »Das stimmt: so ist die Tutti. Und weil sie so ist, habe ich mich eben entschlossen, nicht zu der Tutti zu gehen. Ich werde drüben in dem kleinen Hotel da übernachten. Gute Nacht, Herr ... Tut mir leid, aber ...«

      Und damit geht er vorsichtig mit seinen zerschundenen Knochen und erbettelt sich doch wirklich trotz seines zerschundenen Aussehens und seines völligen Mangels an Gepäck von dem abgerissenen Hausdiener ein Bett zu drei Mark. Er kriecht in dem engen, übelriechenden Loch in das Bett, dessen Wäsche schon vielen vor ihm gedient hat; er streckt sich aus, er sagt zu sich: Von jetzt an will ich ganz anders leben. Ich bin ein gemeines Aas gewesen, besonders zu Eva, aber von dieser Minute an werde ich anders. Ich habe die Dresche zu Recht bezogen, aber von nun an will ich auch anders sein ...

      Er liegt ganz still in dem schmalen Bett, die Hände gewissermaßen an der Hosennaht, und starrt gegen die Decke. Er zittert vor Kälte, vor Erschöpfung, vor Schmerzen. Aber er spürt das gar nicht. Er denkt daran, was für ein geachteter und beliebter Arbeiter er früher mal war, und jetzt ist er nur ein schäbiger kleiner Kerl, vor dem alle ausspucken. Nein, bei ihm haben die Schläge geholfen, nun wird alles anders. Und während er sich dieses Anderssein ausmalt, schläft er ein.

      Um diese Zeit schlafen auch alle Persickes, es schlafen Frau Gesch und Frau Kluge, es schläft das Ehepaar Borkhausen – er hat der Otti wortlos erlaubt, zu ihm ins Bett zu kriechen.

      Es schläft geängstigt, schwer atmend, Frau Rosenthal. Auch die kleine Trudel Baumann schläft. Sie hat am Nachmittag einem ihrer Verschworenen zuflüstern können, daß sie unbedingt etwas mitteilen müsse und daß sie sich alle am nächsten Abend im Elysium treffen müssen, möglichst unauffällig. Sie hat ein wenig Angst, weil sie nun ihre Schwatzhaftigkeit gestehen muß, aber jetzt ist sie doch eingeschlafen.

      Frau Anna Quangel liegt im Dunkeln im Bett, während ihr Mann wie immer um diese Nachtzeit in seiner Werkstatt steht und aufmerksam jeden Arbeitsgang verfolgt. Sie haben ihn nicht zur technischen Leitung wegen Verbesserung der Fabrikation gerufen. Um so besser!

      Anna Quangel, die im Bett liegt, aber noch nicht schlafen kann, hält noch immer ihren Mann für völlig kalt und herzlos. Wie er die Nachricht von Ottochens Tode aufnahm, wie er die arme Trudel und die Frau Rosenthal aus der Wohnung gesetzt hat: kalt, herzlos, immer nur an sich denkend. Sie wird ihm nie wieder so gut sein können wie früher, als sie dachte, er hätte wenigstens für sie was über. Das hat sie nun gesehen. Nur beleidigt über das vorschnell herausgefahrene Wort »Du und dein Führer«, nur gekränkt. Nun wird sie ihn nicht so leicht noch einmal kränken, nicht so leicht wird sie wieder mit ihm zu reden anfangen. Heute haben sie nicht ein Wort miteinander gewechselt, nicht einmal guten Tag haben sie sich gesagt.

      Der Kammergerichtsrat a. D. Fromm wacht noch, wie immer ist er in der Nacht wach. Er schreibt mit seiner kleinen gestochenen Schrift einen Brief, in dem die Anrede lautet: »Hochverehrter Herr Reichsanwalt ...«

      Unter der Leselampe erwartet ihn aufgeschlagen sein Plutarch.

      Siegestanz im Elysium

      Der Saal im Elysium, dem großen Tanzlokal im Norden Berlins, bot an diesem Freitagabend ein Bild, das die Augen jedes Normaldeutschen erfreuen mußte: Uniformen über Uniformen. Es war nicht so sehr die Wehrmacht, deren Grau oder Grün den kräftigen Untergrund zu diesem farbenfrohen Bilde abgab, es waren in viel stärkerem Maße die Uniformen der Partei und ihrer Gliederungen, die mit Braun, Hellbraun, Goldbraun, Dunkelbraun und mit Schwarz das Bild so bunt machten. Da sah man neben den Braunhemden der SA die viel helleren Hemden der HJ, die Organisation Todt war ebenso vertreten wie der Reichsarbeitsdienst, man sah die mehr gelben Uniformen der Sonderführer, die Goldfasanen genannt wurden, man sah Politische Leiter neben Luftschutzwarten. Und nicht etwa nur die Männer waren so herzerfreuend kostümiert, auch viele junge Mädchen trugen Uniform, der BDM, der Arbeitsdienst, die Organisation Todt, sie alle schienen ihre Führerinnen, Unterführerinnen und Geführten hierhergesandt zu haben.

      Die wenigen Zivilisten verloren sich vollständig in diesem Gewimmel, sie waren bedeutungslos, langweilig unter diesen Uniformen, wie ja auch das zivile Volk draußen auf den Straßen und in den Fabriken nie eine Bedeutung der Partei gegenüber erlangt hatte. Die Partei war alles und das Volk nichts.

      So wurde auch ein Tisch am Rande des Saales fast gar nicht beachtet, an dem ein Mädchen und drei junge Männer saßen. Keine von den vier Personen trug eine Uniform, nicht einmal ein Parteiabzeichen war zu sehen.

      Ein Paar, das junge Mädchen und ein junger Mann, war zuerst gekommen; später hatte ein anderer junger Mann um die Erlaubnis gebeten, sich heransetzen zu dürfen, und schließlich hatte noch ein vierter Zivilist um die gleiche Erlaubnis nachgesucht. Das junge Paar hatte auch einmal den Versuch gemacht, in dem Gewühl zu tanzen. In dieser Zeit waren die beiden andern Männer in ein Gespräch miteinander gekommen, in ein Gespräch, an dem sich das zerdrückt und erhitzt zurückkommende Paar auch gelegentlich beteiligte.

      Einer der Männer, anfangs der Dreißiger, mit hoher Stirn und schon


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