Jeder stirbt für sich allein. Ханс Фаллада

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Jeder stirbt für sich allein - Ханс Фаллада


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Zelle doch ausgeplappert, und ich habe heilig geschworen, es keinem einzigen Menschen zu verraten!«

      »Darüber mach dir keine Gedanken, Trudel«, sagt Otto Quangel, und seine Ruhe überträgt sich unwillkürlich auf das gequälte Ding. »Bei dem Otto Quangel geht so was zum einem Ohr rein und zum andern raus. Ich weiß von nichts mehr.« Mit einer grimmigen Entschlossenheit starrt er jetzt auf das Plakat. »Da könnte die ganze Gestapo kommen, ich weiß eben von nichts mehr. Und«, setzt er hinzu, »und wenn du willst, und es macht dich ruhiger, so kennst du uns eben von dieser Stunde an nicht mehr. Du brauchst auch heute Abend nicht mehr zu Anna zu kommen, ich mach's ihr schon irgendwie mundgerecht, ohne ihr etwas zu sagen.«

      »Nein«, antwortet sie darauf, sicher geworden. »Nein, zur Mutter gehe ich heute Abend noch. Aber ich werde es den andern sagen müssen, daß ich mich verplappert habe, und vielleicht wird dich einer vornehmen, um zu sehen, ob du auch zuverlässig bist.«

      »Die sollen mir nur kommen!« sagt Otto Quangel drohend. »Ich weiß von nichts. Auf Wiedersehen, Trudel. Ich werde dich wohl heute nicht mehr sehen, vor zwölf komme ich fast nie von der Arbeit zurück.«

      Sie gibt ihm die Hand und geht dann den Gang zurück, in das Innere der Fabrik hinein. Sie steckt nicht mehr so voll von sprühendem Leben, aber sie ist immer noch voller Kraft. Gutes Mädel! denkt Quangel. Tapferer Kerl!

      Dann steht Quangel allein auf dem Gang mit seinen Plakaten, die in dem ewigen Zug leise rascheln. Er schickt sich an zu gehen. Aber vorher tut er noch etwas, das ihn selbst überrascht: Er nickt dem Plakat, an dem Trudel weinte, zu – mit einer grimmigen Entschlossenheit.

      Im nächsten Augenblick schämt er sich seines Tuns. Das ist ja blöde Fatzkerei! Dann macht er, daß er nach Hause kommt. Es ist die allerhöchste Zeit, er muß sogar eine Elektrische nehmen, was seinem Sparsinn, der manchmal fast an Geiz grenzt, verhaßt ist.

      Enno Kluges Heimkehr

      Um zwei Uhr nachmittags war die Briefträgerin Eva Kluge mit ihrem Bestellgang fertig geworden. Bis gegen vier Uhr hatte sie noch mit der Abrechnung von Zeitungsgeldern und Strafporti zu tun gehabt: War sie sehr müde, verwirrten sich ihr die Zahlen, und sie verrechnete sich immer wieder. Mit brennenden Füßen und einer schmerzenden Öde im Kopf machte sie sich auf den Heimweg; sie mochte gar nicht daran denken, was sie noch alles zu tun hatte, bis sie endlich ins Bett gehen konnte. Auf dem Heimweg erledigte sie noch ihre Besorgungen auf Karten; beim Fleischer mußte sie ziemlich lange anstehen, und so war es fast sechs Uhr geworden, als sie langsam die Stufen ihrer Wohnung am Friedrichshain emporstieg.

      Auf der Treppenstufe vor ihrer Tür stand ein kleiner Mann in hellem Mantel und mit Sportmütze. Er hatte ein farbloses Gesicht ohne allen Ausdruck, die Lider waren ein wenig entzündet, die Augen blaß, solch ein Gesicht, das man sofort wieder vergißt.

      »Du, Enno?« rief sie und nahm die Wohnungsschlüssel unwillkürlich fester in die Hand. »Was willst du denn bei mir? Ich habe kein Geld und auch kein Essen, und in die Wohnung lasse ich dich auch nicht!«

      Der kleine Mann machte eine beruhigende Bewegung. »Warum denn gleich so aufgeregt, Eva? Wieso denn gleich so bösartig? Ich will dir doch bloß mal guten Tag sagen, Eva. Guten Tag, Eva!«

      »Guten Tag, Enno!« sagte sie, aber nur widerwillig, denn sie kannte ihren Mann seit vielen Jahren. Sie wartete eine Weile, dann lachte sie kurz und böse auf. »Jetzt haben wir uns guten Tag gesagt, wie du wolltest, Enno, und du kannst gehen. Aber wie ich seh, gehst du nicht, was willst du also wirklich?«

      »Siehste, Evchen«, sagte er. »Du bist 'ne vernünftige Frau, und mit dir kann man 'n Wort reden ...« Er fing an, ihr umständlich auseinanderzusetzen, daß die Krankenkasse nicht länger zahlte, weil er seine sechsundzwanzig Wochen Kranksein rum hatte. Er mußte wieder arbeiten gehen, sonst schickten sie ihn zurück zur Wehrmacht, die ihn seiner Fabrik zur Verfügung gestellt hatte, weil er Feinmechaniker war, und die waren knapp. »Die Sache ist nun die und der Umstand der«, schloß er seine Erklärungen, »daß ich die nächsten Tage einen festen Wohnsitz haben muß. Und da habe ich gedacht ...«

      Sie schüttelte energisch den Kopf. Sie war zum Umsinken müde und sehnte sich danach, in die Wohnung zu kommen, wo so viel Arbeit auf sie wartete. Aber sie ließ ihn nicht ein, ihn nicht, und wenn sie die halbe Nacht stehen mußte.

      Er sagte eilig, aber es klang immer gleich farblos: »Sag noch nicht nein, Evchen, ich bin noch nicht zu Ende mit meinen Worten. Ich schwöre dir, ich will gar nichts von dir, kein Geld, kein Essen. Laß mich bloß auf dem Kanapee schlafen. Ich brauch auch keine Bettwäsche. Du sollst nicht Arbeit von mir haben.«

      Wieder schüttelte sie den Kopf. Wenn er bloß aufhören wollte mit Reden, er sollte doch wissen, daß sie ihm nicht ein Wort glaubte. Er hatte noch nie gehalten, was er versprochen hatte.

      Sie fragte: »Warum machst du das nicht bei einer von deinen Freundinnen ab? Die sind dir doch sonst gut genug für so was!«

      Er schüttelte den Kopf: »Mit den Weibern bin ich durch, Evchen, mit denen befaß ich mich nicht mehr, mit denen hat's mir gereicht. Wenn ich alles bedenke, du warst doch immer die Beste von allen, Evchen. Gute Jahre haben wir gehabt, damals, als die Jungen noch klein waren.«

      Unwillkürlich hatte sich ihr Gesicht bei der Erinnerung an ihre ersten Ehejahre aufgehellt. Die waren wirklich gut gewesen, damals, als er noch als Feinmechaniker arbeitete und jede Woche seine sechzig Mark nach Haus brachte und von Arbeitsscheu nichts wußte.

      Enno Kluge sah sofort seinen Vorteil. »Siehste, Evchen, ein bißchen hast du mich doch noch gerne, und darum läßt du mich auch auf dem Kanapee schlafen. Ich versprech dir, ich mach's ganz schnell ab mit dem Arbeiten, mir liegt doch auch nichts an dem Kohl. Bloß so lange, daß ich wieder Krankengeld kriege und nicht zu den Preußen muß. In zehn Tagen schaff ich's, daß sie mich wieder krank schreiben!«

      Er machte eine Pause und sah sie abwartend an. Jetzt schüttelte sie nicht den Kopf, aber ihr Gesicht sah undurchdringlich aus. So fuhr er fort: »Ich will's diesmal nicht mit Magenblutungen machen, da geben sie einem nichts zu fressen in den Krankenhäusern. Ich reise diesmal auf Gallenkoliken. Da können sie einem auch nichts nachweisen, bloß mal röntgen, und man muß keine Steine haben für die Koliken. Man kann bloß. Ich habe mir alles genau erklären lassen. Das klappt schon. Bloß daß ich erst diese zehn Tage arbeiten muß.«

      Sie antwortete wieder mit keinem Wort, und er fuhr fort, denn er glaubte daran, daß man den Leuten ein Loch in den Bauch reden kann, daß sie schließlich doch nachgeben, wenn man nur beharrlich genug ist. »Ich habe auch die Adresse von 'nem Arzt in der Frankfurter Allee, der schreibt jeden krank, wenn man will, bloß daß er keine Schwierigkeiten hat mit den Leuten. Mit dem schaff ich's: in zehn Tagen bin ich wieder im Krankenhaus, und du bist mich los, Evchen!«

      Sie sagte, müde all dieses Geschwätzes: »Und wenn du bis Mitternacht hier stehst und redest, ich nehm dich doch nicht wieder auf, Enno. Ich tu's nie wieder, du kannst sagen, was du willst, und du kannst tun, was du willst. Ich laß mir nicht wieder alles kaputtmachen von dir und deiner Arbeitsscheu und deiner Rennwetterei und deinen gemeinen Weibern. Ich hab's dreimal erlebt und das vierte Mal und noch mal und noch mal, und nun hat's geschnappt bei mir, nun ist es alle! Ich setze mich hier auf die Treppe, ich bin nämlich müde, seit sechs bin ich auf den Beinen. Wenn du willst, setz dich dazu. Wenn du magst, rede, wenn du nicht magst, halt den Mund, mir ist alles egal. Aber in die Wohnung kommst du mir nicht!«

      Sie hatte sich wirklich auf die Treppenstufe gesetzt, auf die gleiche Stufe, die vorher sein Warteplatz gewesen war. Und ihre Worte hatten so entschlossen geklungen, daß er fühlte, diesmal half auch alles Reden nichts. So rückte er denn seine Jockeimütze ein wenig schief und sagte: »Na denn, Evchen, wenn du durchaus nicht willst, wenn du mir nicht mal so 'nen kleinen Gefallen tun willst, wo du weißt, dein Mann ist in Not, mit dem du fünf Kinder gehabt hast, und drei liegen auf dem Kirchhof, und zwei Jungen kämpfen für Führer und Volk ...« Er brach ab, er hatte ganz maschinenmäßig so vor sich hin geredet, weil er das Immerweiterreden aus den Kneipen gewohnt war, obwohl er doch begriffen hatte, hier war jedes Reden zwecklos. »Also, ich geh denn jetzt, Evchen.


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