Flarrow, der Chief – Teil 3. Lothar Rüdiger
Читать онлайн книгу.Der Zweite Offizier kam ebenfalls aus Kassel, und der neue Kapitän sagte nicht viel, hörte sich das Geschwafel seines Vorgängers an, das sich schon bald um seine Briefmarkensammlung drehte. Der Chief betonte immer wieder, wie sehr sie gearbeitet hätten, um den Laden in Schuss zu bringen. Vor der Jugoslawienreise war das Schiff bereits in Charter für Pescanova S. A. gewesen. Sie hätten vier Wochen vor Walvis Bay auf Reede gelegen und auf die Trawler gewartet. Da wäre gut Zeit gewesen, alles auf Vordermann zu bringen.
„Sie werden gut zurechtkommen und können bei der Reederei einen guten Eindruck machen, nicht wahr?“
Flarrow, dem das „Nicht wahr“ bereits auf die Nerven ging, nickte nur noch. Am nächsten Morgen verschwanden die Urlauber. Zwei überholte Generatoren wurden angeliefert, mit eigenem Geschirr an Bord genommen und vom Dritten und dem Elektriker montiert.
Flarrow betrat den Maschinenraum und glaubte zunächst nicht, was er da sah. Im Kopf hatte er immer den Maschinenraum des Hornschiffes, das sie damals in Leixöes getroffen hatten, als er noch Zweiter auf der „LORENZO“ war. Der war klar aufgebaut, klein aber gediegen und vor allem blitzsauber. Hier dagegen gab es das nicht. Dieser Maschinenraum war völlig verbaut, als ob man ihn nachgerüstet hätte, wozu man den vorhandenen Raum völlig wahllos genutzt hatte. Es herrschte eine Enge, so dass viele Maschinen kaum zugänglich waren. Ungepflegt war der gesamte Maschinenraum auch. Schmierige Geländer, Öl und Dreck auf den Flurplatten, sogar vor dem Fahrstand!
Als Flarrow den Zweiten kennen lernte, der exakt das vorstellte, was man als „Schmierpäckchen“ bezeichnete, war ihm alles klar. Der Elektriker, ein bulliger Typ, sah Flarrow schief an, weil der in Uniform auftrat. Er ließ ihn deshalb sogleich wissen, dass sie hier genug zu tun hätten und keinen Hamburg-Süd-Chief bräuchten. Flarrow lächelte nur und verlangte vom Zweiten Meldung, wenn die Generatormontage beendet wäre, da er bei der Inbetriebsetzung dabei sein wollte. Der wachhabende Assistent, rein äußerlich zu den beiden vorgenannten passend, stand am Fahrstand und hatte Mühe, die Hände aus den Taschen zu bekommen, als sich Flarrow vorstellte. Die Ablehnung die ihm hier entgegen gebracht wurde, konnte man förmlich greifen. Als er an Deck kam, torkelte einer über die Gangway an Bord. Der Betrunkene, den niemand sonst wahrnahm, verschwand im Deckshaus. An Deck wurde aufgeklart und seeklar gemacht. Der Zweite Offizier spielte den Bootsmann. Flarrow war kaum in seiner Kabine, als der Alte kam und ihn fragte, wie es denn so aussehen würde mit der Maschine. Er grinste nur und fragte zurück, wann es denn losgehen sollte. „Sobald Sie mit der Maschinenreparatur fertig sind. Schaffen Sie das bis heute Nachmittag? Ab vierzehn Uhr ablaufendes Wasser, das wäre der richtige Zeitpunkt.“ Flarrow nickte dazu und prüfte auf die Schnelle noch die wichtigsten Papiere auf Vollzähligkeit.
Gegen Mittag kam der Zweite und meldete die beiden Generatoren klar. Sie wären in Ordnung, und der Elektriker hätte jetzt beide Aggregate am Bordnetz. Flarrow sagte dazu nichts. Der Zweite hatte nämlich die gegebene Weisung, vor der Inbetriebnahme der Generatoren Bescheid zu sagen, einfach nicht beachtet. „Können wir um vierzehn Uhr auslaufen?“, fragte er den Zweiten, der das bestätigte. „Also, dann um vierzehn Uhr Maschine klar.“
In der Kabine des Kapitäns saß auch der Erste Offizier, ein sympathischer junger Mann, der Flarrow darauf aufmerksam machte, dass Uniformen auf diesem Schiff abgelehnt würden. „Von wegen feine Pinkel, die Streifenträger oder so?“, antwortete Flarrow. „Genauso, ich sage das nur, um zu informieren. Mir persönlich ist das egal.“ – „Na, da bin ich aber beruhigt“, sagte der Kapitän. Und zu Flarrow gewandt: „Chief, die mögen uns hier also nicht, was halten Sie davon?“ – „Warten wir es ab“, meinte Flarrow. Nach den Erlebnissen des Vormittags konnte es ja eh nur besser werden.
Flarrow war nicht in der Maschine, als es losging. Er überließ alles dem Zweiten, der das gewöhnt war. Sollten sie glauben, was sie sahen. Einen uniformgeilen Hamburg-Süd-Chief, der natürlich keine Ahnung hatte und schon gar nicht mit anpacken würde.
Deshalb hatte Flarrow Zeit, den Tower zu betrachten, als „HILDEGARD“ die extra für sie geöffnete Tower Bridge passierte.
Bei der ersten Hartruderlage, die das Schiff überholen ließ, war aus der Maschine ein Alarm zu hören, und die Hauptmaschine stotterte etwas. Flarrow gab sich alle Mühe gelassen zu wirken, wohl wissend, dass der Alte ihn aus den Augenwinkeln beobachtete. Als sie dann die nächste Flussbiegung erreichten, wiederholte sich der Vorgang, und die Hauptmaschine stoppte. Da gab es kein Halten mehr, der Lotse wurde nervös, und Flarrow stürzte in den Maschinenraum, wo der Zweite inzwischen die Hauptmaschine wieder gestartet hatte und lächelnd erklärte: „Wir fahren so wenig Schmieröl wie möglich, denn das spart ja bekanntlich. Wir setzen jetzt aber Schmieröl zu.“
Flarrow ließ Öl peilen und sah, dass der Ölstand unter dem Minimum lag. Außerdem war das Öl ziemlich trüb und dunkel, also stark verunreinigt. „Füllen Sie sofort Schmieröl auf, bis zum mittleren Ölstand. Was ist mit dem Schmierölseparator, ist der in Ordnung?“ – „Ja.“ – „Das Öl ist sehr dreckig, sehen Sie das nicht. Wir müssen, glaube ich, über Verschiedenes reden, sobald wir auf See sind.“
Gegen achtzehn Uhr ging der Lotse von Bord, und die Seereise begann. Flarrow erregte großes Staunen, als er im Kesselpäckchen zur Übernahme seiner Abendwache erschien. Das waren sie also nicht gewöhnt, dachte er. Der Zweite hatte gerade auf Schweröl umgestellt, und weil die Temperatur des Brennstoffs viel zu niedrig war, lief die Maschine hart. Nach ein paar Minuten bekamen zwei Zylinder nicht mehr genug Treibstoff, und die Drehzahl fiel. Der Zweite war nicht überrascht und sagte der Brücke Bescheid, dass sie stoppen müssten. Das geschah dann auch, und nach dem Wechsel von zwei kleinen Rückschlagventilen im Brennstoffpumpenblock lief endlich alles rund. Die Vier-Acht-Wache ging nach oben, während Flarrow in seinem Wachgänger den betrunkenen Mann vom Vormittag erkannte. „Ich bin Jan van Thaden und Schmierer hier an Bord.“ Jan hatte ein niederländisches Seemaschinistenpatent, das auf deutschen Schiffen nicht galt. Deshalb fuhr er hier nur als Schmierer. Man konnte natürlich den Verdacht haben, dass Jan nur auf deutschen Schiffen fuhr, weil er, aus welchen Gründen auch immer, in den Niederlanden keine Heuer mehr bekam. Jan war hier immer die Chiefwache allein gegangen, was nicht unüblich war, und er hatte den Laden im Griff. Flarrow begann sich in die Anlage einzuarbeiten und fragte dieses und jenes. Dabei entdeckte er zunächst, dass es in der Werkstatt kein Werkzeug gab. Das würde der Zweite unter seiner Koje fahren, weil das angeblich immer geklaut würde, sagte Jan. Es gab also noch eine Menge Merkwürdigkeiten hier an Bord. Kaum zu glauben, aber trotzdem wahr, leider.
Der Schmierölseparator, der normalerweise ein Reinigungsintervall von vierundzwanzig Stunden hatte, war bereits nach zwei Stunden reif für die Reinigung. Das interessierte aber augenscheinlich niemanden. Eine Peilung der Ölreserven ergab Überbestände von rund zwanzig Prozent, aber warum so wenig Schmieröl im Hauptmotor gefahren wurde, wusste auch Jan nicht. Das hatte der Chief so gewollt, war die lakonische Antwort.
Gegen zweiundzwanzig Uhr rief der Alte an und fragte, ob Flarrow wohl ein paar Minuten Zeit hätte, die Nachrichten der Deutschen Welle zu hören. Das tat Flarrow auch. Nach den Nachrichten fragte der Kapitän, wie es denn so ginge im Maschinenraum. Flarrow sagte ihm seine Meinung und beschönigte nichts. So etwas haben sie mir in Hamburg auch angedeutet, meinte der Alte. An Deck sähe es nicht viel besser aus, nur die Steuerleute wären o. k. Dafür gäbe es aber nur zwei, so dass er als Kapitän gegebenenfalls auch Wache gehen müsste.
Er erzählte nun Flarrow, was er von seinem Vorgänger gehört hatte. Der hatte den Chief wegen irgendeiner Geschichte zu Hause verpetzt. Der Chief wiederum hatte sich diesbezüglich revanchiert, und so hatten die beiden vor den Augen der ganzen Besatzung einen offenen Kleinkrieg geführt. Flarrow kapierte, das hier nicht nur in der Maschinenanlage einiges zu richten war. Der Kapitän erwähnte auch die Kühlmaschine, daran wären sie in Hamburg besonders interessiert. Wegen einer zukünftigen Charter müsste die Anlage viel besser laufen. Dazu konnte Flarrow allerdings noch nichts sagen. Dessen Hauptsorge waren zunächst die Dieselmotoren. Neben dem Hauptmotor gab es auch die vier Hilfsdiesel. Das waren Lkw-Motoren der Firma Büssing, für die kaum Ersatzteile vorhanden waren. Die gemeinsam gehörten Nachrichten der Deutschen Welle wurden schon bald zur guten Gewohnheit.
Um Mitternacht übergab Flarrow seine