Das Lexikon der uncoolen Dinge. Harry Luck

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Das Lexikon der uncoolen Dinge - Harry Luck


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behauptet noch bewiesen werden. Doch ohne Zweifel wäre eine Welt ohne Gesetzesbrecher und Regelverletzer zwar vielleicht spießig, dafür aber friedlich.

      Verkehrsregeln haben ihren Sinn, und wer bei Rot stehen bleibt, akzeptiert den Sinn dieser Regeln, von denen er schließlich auch selbst profitiert: Denn wer in eine Einbahnstraße fährt, kann zu 99,9 Prozent sicher sein, dass ihm kein Fahrzeug entgegenkommt.

      Die Wechsellichtzeichenanlage in einer einsamen Sackgasse bei Dunkelheit ist nicht nur ein Verkehrszeichen, sondern auch ein Symbol für ein funktionierendes Gemeinwesen. „Lieber rot als tot“, sagte man in früheren Zeiten. Heute bedroht uns nicht mehr der Kommunismus, sondern die zügellose Anarchie. Daher sollte es heute heißen: „Lieber ein spießiger und lebendiger Staatsbürger als ganz cool vom Auto überfahren werden.“ Und wer von allen Argumenten der Lebenserhaltung unbeeindruckt bleibt und das Rotlicht nur dann beachtet, wenn eine Strafe droht, der sollte sich fragen lassen, ob er im Kaufhaus auch klauen würde, wenn die Detektive streiken, oder seinem Partner nur treu ist aus Angst davor, beim Seitensprung erwischt zu werden.

      Über das Klauen von Zeitungen und Christbäumen

      Ähnlich wie mit der roten Ampel verhält es sich mit den sogenannten stummen Verkäufern. Die Metallboxen mit Plexiglasdeckel am Straßenrand, in denen vom Boulevardblatt bis zur Qualitätszeitung alles feilgeboten wird, was die Tagespresse im Sortiment hat, heißen nicht umsonst stumme „Verkäufer“. Wenn die darin liegenden Zeitungen als Werbegeschenke zum Mitnehmen gedacht wären, hießen sie vielleicht „stumme Spender“. Allein die Tatsache, dass der Verkauf von Zeitungen zu jeder Tages- und Nachtzeit auf diese Weise unkompliziert und ohne Kontrollfunktion und Wechselgeldrückgabe möglich ist, verleitet den einen oder anderen dazu, dies als Gratis-Mitnahmeeffekt zu betrachten. Denn dass die Aufschrift „Zahlungskontrolle jederzeit möglich“ eine eher leere Drohung darstellt, hat sich längst bis zum letzten Abo-Sparer herumgesprochen, zu denen auch mein Freund Bob gehört, dem sein wirklicher Name Benjamin schon lange zu spießig klingt. Ich glaube, er hat im Leben noch keine Zeitung bezahlt. Seine Lieblingsargumente lauten: „Die Verlage verschenken die Zeitungen auf diese Weise, um die Auflage hoch zu halten und damit die Anzeigenpreise zu sichern.“ Und: „In der Gesamtkalkulation sind die geklauten Zeitungen mit eingerechnet.“ Das mag sogar beides zutreffen, dennoch – das sei an dieser Stelle mal ganz spießig festgehalten – handelt es sich um Diebstahl, der in der perfidesten Form ausgeübt wird, indem statt des verlangten Betrags zwei Cent-Stücke eingeworfen werden oder gar – das beherrschen allerdings nur die abgebrühtesten Gratisleser – nur für die Umstehenden die Geldbörse gezückt und das Einwerfen einer klimpernden Münze vorgetäuscht wird. Diese Laiendarsteller hätten es zuweilen fast verdient, das gesparte Geld als Gage für ihre Schauspielkunst zu kassieren.

      Ähnlich funktionieren die „Snack-Boxen“ in vielen Büros, aus denen man sich gegen den Einwurf eines Euros Schokoriegel oder kleine Gummibärchentüten nehmen darf. In einem Büro, wo eine solche Box aufgestellt wurde, fehlte nach der ersten Abrechnung der stolze Betrag von fünfundvierzig Euro. Das heißt, dass etwa jede zweite Süßigkeit nicht bezahlt wurde. Die Snack-Box gab es bald darauf nicht mehr. Die Diebe sind nach wie vor unbehelligt auf freiem Fuß.

      Zeitungen werden bekanntlich aus Papier gemacht, das immer weniger aus Holz, also Bäumen besteht, aber dennoch: Hier wären wir beim nächsten vermeintlichen Kavaliersdelikt, das nur deshalb in der Statistik der Kleinkriminalität nicht auftaucht, weil es sich um ein saisonal begrenztes Vergehen handelt: den Christbaumklau.

      Von den zahllosen Tannenbäume, die alle Jahre wieder in der Adventszeit bei Nacht und Nebel heimlich im Wald geschlagen und daheim aufgestellt werden, dürften die wenigsten aufgrund von Bedürftigkeit gestohlen werden. Vielmehr handelt es sich um einen besonderen Kick und den Beweis besonderer Coolness, unter einem „selbst geholten“ Weihnachtsbaum scheinheilig „O du fröhliche“ zu singen. Doch anders als beim Zeitungsklau, wo es um Bagatellbeträge geht, kann der Diebstahl einer Nordmanntanne juristisch schnell zum Verbrechen werden: Ist das Diebesgut mehr wert als fünfzig Euro, handelt es sich für die Polizei nicht mehr um einen „Diebstahl von geringem Wert“. Dies sollte nur der riskieren, der einen Knastaufenthalt cool findet, denn es drohen bis zu fünf Jahre Haft. (Und aus diesem Grund kann ich mich wegen noch nicht abgelaufener Verjährungsfrist auch nicht über Bobs Tannenbaum äußern.)

      Den wenigsten Menschen in Deutschland geht es so schlecht, dass sie aufs Klauen angewiesen sind. Dennoch ist es für viele fast ein sportlicher Ehrgeiz, etwa den ungeliebten Arbeitgeber unbemerkt und dauerhaft zu schädigen, zum Beispiel, um eine längst überfällige Gehaltserhöhung auszugleichen. Ein früherer Kollege von mir hatte es sich zur Lebensaufgabe gemacht, bis zur Pensionierung keine Milchtüten, Spülmaschinen-Tabs und Zuckerwürfel mehr zu kaufen. Bei all diesen Dingen bediente er sich tagtäglich in geringsten Mengen in der Büroküche, natürlich unbemerkt – bis zu seiner Entlassung. Gefeuert wurde er allerdings nicht, weil er des dauerhaft organisierten Diebstahls überführt worden wäre, sondern weil seine Abteilung aus betriebsbedingten Gründen aufgelöst wurde. Er arbeitet heute in der Buchhaltung der Kreissparkasse. Womit er seinen Bausparvertrag füllt, möchte ich lieber nicht wissen.

      Sich dort fremden Eigentums zu bemächtigen, wo die Sanktionsmöglichkeiten gegen null tendieren, ist nicht cool, sondern feige. Und den wahren Kick gibt mir das gute Gewissen, eine Zeitung, einen Christbaum oder eine Milchtüte auch dann bezahlt zu haben, wenn der Diebstahl ein Kinderspiel gewesen wäre.Greatest Hits und Musik-Sampler

      Man muss schon ein sehr großer Fan sein, um sich alle dreißig Rolling-Stones-Alben ins Regal zu stellen. Und man muss wohl ein noch größerer Fan sein, um ihre Hunderte von Songs alle gleich gut zu finden. Aber auch Queen, Chris de Burgh, Peter Maffay oder Pur können gar nicht so genial sein, dass jedes ihrer musikalischen Werke gleichermaßen vollkommenen unübertrefflich durch die Boxen klingt. Denn, liebe Chartbreaker, mal Hand aufs Herz: Da wird doch oft genug in letzter Minute noch das ein oder andere eigentlich unbrauchbare Stück als Füllmaterial auf die Platte gepresst, weil der Veröffentlichungstermin bedrohlich näher rückt und noch wenigstens ein zehnter Track für das Album fehlt, der es eigentlich nicht einmal auf die B-Seite einer Single schaffen würde. Und was ist mit den überflüssigen Songs, mit denen die Rockröhre beweisen will, dass sie auch Jazz, Soul oder Blues beherrscht – oder der Gangster-Rapper, der für seine Schwiegermutter eine Schlagerschnulze aufgenommen hat: Lieder, die die Welt nicht braucht!

      Nun hat man also die Möglichkeit, seine Stones-Alben der Reihe nach durchzuhören und mit der Skip-Taste von Lieblingssong zu Lieblingssong zu springen - oder man legt einfach eine Best-of-Scheibe ein und verlässt sich darauf, dass ein Ohrenschmaus dem anderen folgt. Was kann daran verwerflich sein, wenn dann ein Titel aus den Sechzigern einem aus den Achtzigern folgt und die Reihenfolge nicht von den Künstlern dramaturgisch arrangiert ist?

      Und warum soll man sich Cats oder die fünfte Symphonie von Beethoven komplett anhören müssen, wenn man doch nur auf das geträllerte „Moonlight“ oder das hämmernde „Da-da-da-daaaaa“ wartet? Wer Musik zur Unterhaltung hört, sollte sich doch darauf verlassen können, dass sich die Macher von Samplern wie „Kuschel-Rock“, „Feten-Hits“, „Best of Phantom der Oper“ oder „Hundert Meisterwerke der Klassik“ bei ihrer Auswahl etwas gedacht haben und dem Hörer das Überspringen von Füllmaterial abnehmen. Auch thematische Sampler von „Neuer Deutscher Welle“ über „Schlager“ bis „Hits aus den Achtzigern“ gehören in jedes Archiv, damit in jeder Lebens- und Liebeslage die richtige musikalische Untermalung mit drei Handgriffen (1. Hülle öffnen, 2. Scheibe zwischen Daumen und Mittelfinger klemmen und 3. einlegen) abspielbereit ist. Das ist sinnlicher und haptischer, als auf dem Smartphone eine Youtube- oder Spotify-Playlist zu programmieren oder den USB-Stick an den Multimedia-Fernseher anzuschließen. Wie belanglos und sinnentleert erscheint doch ein Ladevorgang bei iTunes im Vergleich zum Stöbern im Plattenregal!

      Und wer jetzt meint, dass Käufer von Best-of-Alben nichts zum Stöbern haben, der irrt gewaltig: Allein die Rolling Stones haben über ein Dutzend Greatest-Hits-Sampler veröffentlicht!

      Pauschalurlaub


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