Dillinger macht Wind. Rudi Kost
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Rudi Kost
Dillinger macht Wind
Ein Hohenlohe-Krimi
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Inhaltsverzeichnis
Erstes Kapitel
Ich sah einem entspannten Tag entgegen. Das Horoskop sagte: »Unter Jupiter stehen Sie in einem großartigen Strom von Ideen, Plänen und Visionen. Das ist extrem wertvoll, denn Sie bereiten sich auf einen schöpferischen Neustart vor. Üben Sie sich in Gelassenheit.«
Angesichts dieser Aussichten betrachtete ich den Papierstapel auf meinem Schreibtisch, der seit Tagen nicht kleiner werden wollte, mit einiger Nachsicht. Ja, fast mit Zärtlichkeit. Auf alle Fälle mit Gelassenheit. Der gute Jupi!
Das mit dem schöpferischen Neustart klang gut. Was damit wohl gemeint war? Dass ich mich nie mehr in meinem Leben mit dem inbrünstig verhassten Papierkram befassen musste?
Irgendwann muss ein Mann ja mal zur Ruhe kommen. Vielleicht war jetzt der richtige Zeitpunkt. Nur wie? Gegen so ein Horoskop war das Orakel von Delphi eine Plaudertasche.
Bevor ich in weitere philosophische Tiefen abtauchen konnte, was einem Mann, der die Vierzig überschritten hat, eigentlich gut anstand, wurde die Tür aufgerissen.
Es gibt einige Leute, die einfach so in mein Büro stürmen, doch nur eine hat eine rote Lockenmähne.
Unter einem schöpferischen Neustart stellte ich mir was anderes vor.
Isabel war zwar nicht die »Sexiest Woman Alive« (da hatte ich mich noch nicht zwischen Angelina Jolie und Rihanna entschieden), aber ganz bestimmt die heißeste Immobilienmaklerin in Hohenlohe. Nun ja, die Konkurrenz war überschaubar.
»Was willst du?«, fragte ich, mäßig begeistert.
»Dir auch einen wunderschönen Tag. Stör ich bei irgendwas?«
»Beim Denken.«
»Oh! Ein neues Hobby?«
Isabel sah wie immer entzückend aus. Bei ihrer gertenschlanken Figur konnte sie alles tragen. Auch ganz wenig.
»Was ist los, Dillinger? Seit Wochen sieht und hört man nichts mehr von dir, draußen ist das schönste Sommerwetter, und du verkriechst dich in deinem Büro. Das sieht dir gar nicht ähnlich.«
»Zu viel Arbeit.«
»Zu viel ist ungesund. Zu viel Arbeit, zu viel Alkohol. Nur nicht zu viel – na, du weißt schon.«
Sie hüpfte auf meinen Schreibtisch und bohrte die hohen Hacken ihrer Sandaletten mit den wohlgeformten Füßen darin in meinen Oberschenkel. Eine nicht sehr vorteilhafte Position für eine Dame, wenn der Rock sehr kurz ist.
Das Horoskop stimmte. Ich hatte eine Vision. Tapfer schaute ich nach oben auf ihre wilde Mähne.
»Ich möchte übers Land kutschiert werden«, sprach ein knallrot geschminkter Mund unter einer Stupsnase.
»Bin ich dein Chauffeur?«
»Ja. Du musst mal raus aus diesem Loch. Den Kopf auslüften. Sonne tanken. Los, setz deinen Hintern in Bewegung, den ich als durchaus knackig in Erinnerung habe.«
»Was soll das? Willst du mich anbaggern?«
»Exakt.«
»Isabel, wir hatten unsere Zeit.«
»Eine schöne Zeit.«
»Ich habe sie als etwas … wild in Erinnerung.«
»Sag ich doch. Also, Cowboy, sattle die Pferde, und dann ab in die Wildnis.«
Wenn sich Isabel etwas in den Kopf gesetzt hatte, war Widerstand zwecklos, deshalb war sie auch so erfolgreich in ihrem Job.
Vielleicht war die Idee gar nicht so schlecht. Eine Landpartie mit einer schönen Frau an meiner Seite. Ich zierte mich nur noch anstandshalber.
***
Isabel wollte nicht sagen, wohin die Reise ging, und ich ließ mich dirigieren. Hinunter ins Bühlertal, dann wieder hinauf auf die Hochebene, vorbei an der Abzweigung nach Hohenberg. Vertraute Wege. Erinnerungen an den Bauer Huber, den ich tot in seiner Scheune gefunden hatte. Wie hieß das Mädchen, das mir damals das Leben schwer gemacht hatte? Egal. Vergangenheit.
Ich ließ meinen gelben Porsche gemütlich schnurren. Nicht einmal die Cröffelbacher Steige war ich hinaufgeprescht, jede Kurve am Anschlag, wie ich das sonst gern tat.
Wir hatten die Fenster geöffnet, der warme Augustwind wirbelte Isabels Mähne durcheinander. Bilderbuchwetter. Nur vereinzelte Wölkchen am Himmel und satte 29 Grad. Endlich mal wieder ein Sommer, der diesen Namen verdiente.
Auf den Feldern stand das Korn stramm und schickte seine Düfte zu uns herüber. Vereinzelt waren schon die ersten Mähdrescher unterwegs und zogen Staubwolken hinter sich her.
Auf der ganzen Fahrt hatte Isabel, abgesehen von knappen Richtungsangaben, kaum etwas gesagt. Also eigentlich gar nichts, für ihre Verhältnisse.
Als wir hinter Wolpertshausen Richtung Ruppertshofen abbogen, meinte sie: »Dieser Anblick überwältigt mich immer wieder.«
Mein Blick schweifte über die Hohenloher Ebene, über das helle Grün der Wiesen, das satte Grün der hingesprenkelten kleinen Wäldchen, das Gelb der Kornfelder. Das Gefühl einer unendlichen Weite, kaum beeinträchtigt durch sanfte Hügelchen hier und da. Wie Amerikas Great Plains, stellte ich mir vor, nur im Modellmaßstab.
Und anmutig verstreut die kaum noch zu zählenden Windräder, die in letzter Zeit aufgeschossen waren wie Pilze nach einem warmen Regen.
»Die Ästhetik des regenerativen Zeitalters«, sagte ich. »Wenn wir keine Atomkraft wollen, und wer will das schon, müssen wir uns daran gewöhnen.«
»Zurück zum Kerzenlicht!«
»Und zum Eselskarren und zum Waschbrett und zu kalten Zimmern. Für die Annehmlichkeiten unseres Lebens müssen wir den Preis bezahlen. Oder machen Gewinn damit. An den meisten von diesen Dingern verdiene ich ganz nett.«