Dillinger macht Wind. Rudi Kost

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Dillinger macht Wind - Rudi Kost


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gewesen war. Hier sah es nicht anders aus.

      Auf dem Schreibtisch musste ein Notebook gestanden haben, das Netzteil war noch da. Viele Bücher, viele Papiere, viele Aktenordner und ein ganz altmodisches analoges Adressbuch. Das machte den Frauenhelden ja richtiggehend sympathisch.

      Ich blätterte darin herum. Manche Namen waren ausgeschrieben, andere abgekürzt. Das waren wohl die interessanten. Am liebsten hätte ich es mitgenommen, aber ich war ja nicht lebensmüde. Keller hätte mich geröstet. Ich wünschte den Kollegen viel Spaß, die das alles abtelefonieren mussten.

      Auch bei seinem Terminkalender bevorzugte Rautenberg die antiquierte Methode. Ein Wochenkalender lag auf dem Tisch. Am Dienstag war er beim Zahnarzt gewesen, am Montag und Mittwoch gab es ominöse Abkürzungen, die ich aber nicht im Adressbuch fand, die letzten Tage hatten keine Eintragungen.

      Das Schlafzimmer wurde beherrscht von einem Bett im Kingsize-Format, zerwühlt. Eine schöne Spielwiese. Fehlten nur die Spiegel an der Decke.

      Den Kleiderschrank schenkte ich mir. Stattdessen nahm ich mir die Kommode und den Nachttisch vor.

      Was hatte ich erwartet, außer einer Großpackung Kondome verschiedener Geschmacksrichtungen? Sexspielzeug? Pornofilme zum Anheizen? Der ultimative Ratgeber »Wie verführe ich einsame Nachbarinnen«? Ich wusste es nicht. Eine Schachtel Viagra hätte ich jedenfalls nicht vermutet. Der Anblick deprimierte mich zutiefst. Rautenberg war doch erst sechsundfünfzig gewesen! Hatte man die kleinen Helferlein in diesem Alter auch schon nötig? Ob ich Keller fragen sollte? Der war doch auch ungefähr in diesem Alter.

      Mit finsterer Miene kam er auf mich zu. Aber ich traute mich nicht.

      »Was machst du da?«, fuhr er mich an. »Habe ich nicht ausdrücklich gesagt, du sollst nichts anfassen?«

      »Ich habe ja quasi die offizielle Erlaubnis«, antwortete ich und hielt meine behandschuhten Hände in die Höhe. »Die hast du mir gegeben.«

      »Ich fahre jetzt nach Hause. Wenn du also mitfahren willst …«

      »Ach komm, ihr seid hier doch noch lange nicht fertig.«

      »Morgen ist auch noch ein Tag.«

      »Morgen! Das kann zu spät sein. Du weißt schon, erkaltende Spuren und so. Außerdem ist mittlerweile schon morgen. Ein neuer, schöner Tag ist schon angebrochen.«

      »Die Spuren hier können nicht mehr kälter werden. Der Besuch muss schon ein paar Tage her sein.«

      »Wie haben die das geschafft, sich hier unbemerkt zu verlustieren? In so einer Siedlung kannst du ja nicht mal einen fahren lassen, ohne dass das einer mitkriegt.«

      »Anfänger waren das nicht.«

      »Das ist doch mal ein Ansatzpunkt. Dem sollten wir unbedingt nachgehen. Hier und jetzt.«

      »Ich bin hundemüde. Ich gehe jetzt. Was du machst, ist mir egal.«

      Müde war ich auch, aber mir war klar, dass hier und jetzt meine einzige Chance war, im Haus herumzuschnüffeln. Was ich jetzt nicht sah, sah ich nie mehr wieder, und Keller würde mir ganz bestimmt keine Einsicht in die Berichte geben. Andererseits, wenn Keller nicht mehr hier war, würden die Kollegen mich ganz schnell vor die Tür setzen. Die guckten jetzt schon komisch.

      »Hast du Konditionsschwierigkeiten?«, fragte ich und hoffte, dass er verstand, da ich immer noch die Schachtel mit den blauen Pillen in Händen hielt.

      »Um diese Uhrzeit schon. Also, was ist jetzt?«

      Seufzend folgte ich ihm zum Auto. Ohne Hast fuhren wir Richtung Schwäbisch Hall.

      »Was hältst du davon?«, fragte ich.

      »Weiß ich noch nicht«, brummte er.

      Sonst sagten wir nicht viel.

      Nur einmal seufzte Keller: »Das Schlimme ist, dass wir allen Hinweisen nachgehen müssen, auch wenn sie noch so hirnrissig klingen.«

      »Ich kann mir’s aussuchen.«

      In der mondhellen Nacht huschten die Felder an uns vorüber. Überall sah man die Windräder blinken.

      »Die Frauen«, sagte ich. »Das ist ein Anfang. Die Nachbarin hat ein paar Namen genannt.«

      »Und was hat die Frau im Haus gesucht? Liebesbriefe? Ich sagte doch: hirnrissig.«

      Als mich Keller am Milchmarkt absetzte, war es halb drei. Ich schleppte mich hinüber zu meiner Wohnung in der Gelbinger Gasse. Aus irgendeinem offenen Fenster waren die Geräusche zu hören, die Rautenbergs Nachbarin Roswitha Bäuerle so entzückt hatten. Ich musste nochmal zu ihr. Vielleicht hatte sie Buch geführt.

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