Goethes Lebenskunst. Dr. Wilhelm Bode

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Goethes Lebenskunst - Dr. Wilhelm Bode


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ihn dann mit dem Gärtner die buchsbaumumsäumten Gartenstiege eifrig hin und wieder schreiten, das nötige Säen und Pflanzen anordnend, bei dem er früher so gern selber Hand angelegt.

      Noch schlichter als die Studierstube ist sein Schlafzimmer. In dem kleinen Gemache ist außer seinem Bette fast nichts vorhanden als der Lehnstuhl, in dem er starb, und daneben ein kleines Tischchen, auf dem noch heute die letzte Medizin steht. Eine Art Waschtisch sehen wir noch, ein sehr kleines Ding mit einem sehr kleinen Waschbecken, wie wir es jetzt nur noch in zurückgebliebenen Dorfwirtshäusern vorfinden.

      Einen anderen Eindruck bekommen wir freilich, wenn wir die andern Teile des Hauses betreten; hier erfreut uns der behaglichste, gesündeste Luxus: der Luxus der Geräumigkeit. Zahlreiche große, wenn auch nicht sehr hohe Zimmer, breite, langsam aufsteigende Treppe, stattliches Vorhaus. Der gewöhnliche Luxus fehlt auch hier; die Vorhänge sind überaus bescheiden, die Wände sind schlicht-vornehm nach klassischen Mustern bemalt. Auch die Möbel sind einfach-fein und im Stile der Zeit, im Empirestil. „Prächtige Gebäude und Zimmer sind für Fürsten und Reiche. Wenn man darin lebt, fühlt man sich beruhigt, man ist zufrieden und will nichts weiter. Meiner Natur ist es ganz zuwider. Ich bin in einer prächtigen Wohnung, wie ich sie in Karlsbad gehabt, sogleich faul und untätig. Geringe Wohnung dagegen, wie dieses schlechte Zimmer, worin wir sind, ein wenig unordentlich ordentlich, ein wenig zigeunerhaft, ist für mich das Rechte; es läßt meiner Natur volle Freiheit tätig zu sein und aus mir selber zu schaffen.“11 Er war über achtzig Jahre alt, als er zum getreuen Eckermann sagen konnte: „Sie sehen in meinem Zimmer kein Sofa, ich sitze immer in meinem alten hölzernen Stuhl und habe erst seit einigen Wochen eine Art von Lehne für den Kopf anbringen lassen. Eine Umgebung von bequemen geschmackvollen Möbeln hebt mein Denken auf und versetzt mich in einen passiven Zustand.“12 Ebenso hielten es seine nächsten Freunde wie Karl August und Schiller, ebenso hatte er auch schon als Jüngling empfunden. Wo er fühlte, daß das am höchsten gewertet wurde, was am meisten Geld kostet, da ward ihm nicht wohl; das war ein Grund mit, weshalb er sich von Lili Schönemann, mit der er verlobt war, trotz aller Liebe wieder loslöste.

      Doch sein Stadthaus bekam auch ohne Luxus bald einen sehr vornehmen Schein und einen sehr kostbaren Inhalt. Dafür sorgte seine Liebe zur Kunst und zur Natur, seine Lust am Sammeln, sein Bedürfnis, das Schöne, Merkwürdige oder Lehrreiche zu besitzen und es stets zur Hand und oft vor Augen zu haben. Es wuchsen die Altertümer, die Statuetten, Denkmünzen, Plaketten, Kameen, Büsten, Majoliken, Ölgemälde, Kupferstiche, Handzeichnungen, die Steine, Knochen u.s.w. allmählich zu Hunderten und Tausenden an. In ihre Betrachtung vertiefte er sich immer wieder, um feinsten Genuß und neue Belehrung davon zu tragen; in ihrer Mitte hielt er oft seine Gesellschaft ab, schon dadurch jede Langeweile ausschließend; hier erlebte es mancher Fachkenner, daß für sein Gebiet die gesamten Lehrmittel sofort herbeigeholt werden konnten; hier waren denn auch die gelehrten Freunde und Mitarbeiter aus der Stadt: Meyer, Riemer und Eckermann, oder die noch gelehrteren Gäste von auswärts, die Humboldt, Wolf und Boisserée, an ihrem Platze. Der Gast, der vielleicht in sträflicher Neugier in das Haus eindrang, um nachher mit seinem Besuche bei Goethe prahlen zu können, ward hier sogleich aus den kleinlichen Dingen des Tages entrückt und ahnte, daß der Bewohner dieser Räume in den Jahrtausenden lebte. „Gleich beim Eintritt in das mäßig große, in einfach antikem Stil gebaute Haus deuteten die breiten, sehr allmählich sich hebenden Treppen, sowie die Verzierung der Treppenruhe mit dem Hunde der Diana und dem jungen Faun von Belvedere die Neigungen des Besitzers an. Weiter oben fiel die Gruppe der Dioskuren angenehm in die Augen, und am Fußboden empfing den in den Vorsaal Eintretenden blau ausgelegt ein einladendes SALVE. Der Vorsaal selbst war mit Büsten und Kupferstichen auf das reichste verziert und öffnete sich gegen die Rückseite des Hauses durch eine zweite Büstenhalle auf den lustig umrankten Altan und auf die zum Garten hinabführende Treppe. In ein anderes Zimmer geführt, sah der Gast sich aufs neue von Kunstwerken und Altertümern umgeben: schön geschliffene Schalen von Chalcedon standen auf Marmortischen umher; über dem Sofa verdeckten halb und halb grüne Vorhänge eine große Nachbildung des unter dem Namen der Aldobrandinischen Hochzeit bekannten alten Wandgemäldes, und außerdem forderte die Wahl der unter Glas und Rahmen bewahrten Kunstwerke, meistens Gegenstände alter Geschichte nachbildend, zu aufmerksamer Betrachtung auf.“ So schildert einer der vielen Gäste, der gelehrte Leibarzt des sächsischen Königs, Gustav Carus, was er sah, ehe der Ersehnte und zugleich Gefürchtete erschien. So war das Haus, das für Goethe eine Festung gegen die Welt bedeutete. Ihm war das Bild des Zauberers geläufig, der um sich einen unsichtbaren Ring entstehen lässt, worüber nichts hinweg schreiten darf, was er nicht zuläßt. In der Ferne sehnte er sich immer wieder nach dem Hause: „wo ich einen Kreis um mich ziehen kann, in welchem außer Lieb und Freundschaft, Kunst und Wissenschaft nichts herein kann.“13 Oder er schickte in die Heimat an seinen „Haus- und Küchenschatz“ den Gruß:

      „Von Osten nach Westen —

      Zu Hause am besten.“14

      An Christiane, mit der er so gerne im Hausgarten das Gedeihen des Gemüses, die Blüte der Gesträuche, das Wachstum der Bäume beobachtete, dachte er auch, als er im Mai 1790 aus Venedig sich heimwärts lehnte:

      Weit und schön ist die Welt, doch o! wie dank ich dem Himmel,

      Daß ein Gärtchen beschränkt zierlich mir eigen gehört.

      Bringet mich wieder nach Hause! Was hat ein Gärtner zu reisen?

      Ehre bringt ihm und Glück, wenn er sein Gärtchen besorgt.15

      * *

      *

      Einen Gärtner hat sich Goethe öfter genannt, aber er war eine Zeit lang auch Rittergutsbesitzer. „Eine unwiderstehliche Lust nach dem Land- und Gartenleben hatte damals die Menschen ergriffen,“ schreibt er in seinen Annalen von 1797. „Schiller kaufte einen Garten bei Jena und zog hinaus,“ — also Schiller sogar! — „Wieland hatte sich in Oßmannstädt angesiedelt. Eine Stunde davon, am rechten Ufer der Ilm, ward in Oberroßla ein kleines Gut verkäuflich.“ Im März 1798 wurde der Kauf nach zweijährigen Verhandlungen abgeschlossen, und am 22. Juni konnte er an Wieland schreiben: „Meinem lieben Herrn Bruder in Apoll und Genossen in Ceres vermelde hierdurch freundlichst, daß ich in Oberroßla angelangt bin, um von meiner Hufe und dem Zugehörigen Besitz zu nehmen. Wie mich nun eine so nahe Nachbarschaft herzlich erfreut, so wollte ich hiermit höflichst gebeten haben, morgen gegen Mittagszeit Sich aus Euro Palästen in unsere Hütten zu begeben, mit einem juristisch-ökonomischen frugalen Mahl vorlieb zu nehmen und mir nach langer Zeit ein fröhliches Wiedersehn zu verschaffen.“ So lud er auch in den nächsten Jahren Herren und Damen gern auf sein Gut. An Henriette v. Wolfskeel heißt es 1801: „Die verschiedenen Wahrzeichen von Oberroßla, die schöne Quelle, die neue Parkanlage und die Gänschen, die durchs Gitter fressen, werden Ihnen nicht geringe Unterhaltung gewähren. Leben Sie wohl und erfreuen mich mit dem berühmten, zweilettrigen Wort, das so erfreulich aus einem schönen Munde klingt.“ Mit Christiane zog er gern zu ländlichen Festen auf das Gut, zur Kirchweihe oder zur „Bornfege“; einmal sehen wir ihn von der Kirchweihe nach Buttstädt zum Pferdemarkt fahren, gleich einem andern Gutsbesitzer. Aber er hütete sich wohl, in die Landwirtschaft hineinzupfuschen und selber zu administrieren; lieber nahm er die Unannehmlichkeiten mit Pächtern auf sich. Wieland hielt es zwar anders, doch spotteten beide, wie umständlich das Landleben sei, da Wieland sich eine Magd nehmen mußte, die die Wiese besorgte, die die Kuh ernährte, die die Milch gab, welche der Städter doch viel bequemer auf seinen Tisch bekommt. Aber wenn Goethe sich auch aller praktischen Tätigkeit sorgfältig enthielt, so reizte ihn sein Besitz doch, in die Geheimnisse des Ackerbaues theoretisch einzudringen; selbst die Branntweinbrennerei und die ganz neue Zuckerfabrikation studierte er, und insgesamt hat diese Oberroßlaer Episode nicht wenig zu seiner Bildung beigetragen. „Gar schön ist der Feldbau,“ steht in seinem Tagebuche, „weil alles so rein antwortet, wenn ich was dumm oder was gut mache ... Der Meister geht gerade auf das Ziel los, er träumt nicht ins allgemeine wie unsereins ehemals in der bildenden Kunst. Wenn er handeln soll, greift er gerade das an, was jetzt nötig ist.“

      Goethe hatte immer eine Abneigung gegen die Großstadt. Er dachte wohl daran, welche Vorteile ihm ein Leben in Berlin oder Wien oder Paris bieten würde, aber selbst seine Vaterstadt war ihm


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