Der Sucher. Катя Брандис
Читать онлайн книгу.für das Sondieren hatte.
Anderes brauchte Udiko mir nicht beizubringen. Da meine Mutter als Künstlerin viel mit Gildenformeln gearbeitet hatte, hatte sie mich besser als die meisten darin ausgebildet. Ich war genauso gut darin wie Udiko, mit einer gemurmelten Formel Nebel zu rufen und Wellen zu formen. Anderes fiel mir schwer. Udiko bestand zum Beispiel darauf, dass ich mich im Nahkampf übte. »Du wirst als Sucher in vielen gefährlichen Gegenden unterwegs sein«, erklärte er. »Wer sich seiner Haut nicht wehren kann, der wird nicht alt in dieser Berufung. Und bei deiner großen Klappe wundert es mich, dass du nicht schon längst niedergestochen worden bist.«
Also bekam ich im Hauptraum seiner Kuppel meinen ersten Kampfunterricht und eine Schulung, wie man mit Säurekugeln umgeht. So viel wie an diesem Tag hatte ich Udiko selten fluchen gehört. Vor allem deshalb, weil ich es schon nach fünfmal zehn Atemzügen geschafft hatte, ein Säureloch in seinen wertvollen Buntalgenteppich zu brennen. Auch mit dem Messer stellte ich mich nicht allzu geschickt an und bekam tägliche Lektionen verordnet.
An den langen Winterabenden saßen wir meist mit einem Becher Cayoral im Hauptraum, und Udiko erzählte. Jeden Tag nahm er einen der vielen eigenartigen Gegenstände in seiner Kuppel und berichtete, woher er ihn hatte und was für eine Suche dahinter steckte. Ich konnte nicht genug bekommen von diesen Geschichten und lernte viel daraus.
Trotz all dem bekam ich in diesem Winter zum ersten Mal Heimweh. Ich vermisste Jarco, meine Familie, meine Freunde in Colaris und Uskali. Deshalb war ich begeistert, als sich meine Schwester Kenna zu einem Besuch ansagte. Sie war die älteste von uns drei Geschwistern – vier Winter älter als ich – und im Gegensatz zu mir sehr vernünftig. Früher hatte ich sie oft fast zum Wahnsinn getrieben, aber inzwischen verstanden wir uns gut. Sie freute sich sehr, als ich ihr die schwarze Perle schenkte.
Taktvoll ließ Udiko uns allein, damit wir uns in Ruhe unterhalten konnten. Es gab viel zu erzählen, und wir redeten bis spät in die Nacht. Als wir alle Neuigkeiten ausgetauscht hatten, wurde Kenna ernst. »Willst du Vater nicht mal besuchen, Tjeri? Er vermisst dich.«
Ich vermisste ihn auch. Die Sehnsucht danach, mal wieder Seite an Seite mit ihm durch die Fischfarmen zu schwimmen, setzte mein Herz unter Wasser. Aber dann dachte ich wieder an seine neue Frau und an den hässlichen Streit. Unglaublich, es tat immer noch weh. »Hat er das gesagt?«, fragte ich hart. »Dass er mich vermisst?«
»Nein, nicht direkt. Aber ich weiß es. Er würde sich freuen, dich zu sehen.«
»Ich bin in den nächsten Monaten nicht im Norden. Und Zeit habe ich auch keine.«
»Du kannst ganz schön grausam sein, Tjeri.«
Ich schwieg und streichelte den Salamander auf meiner Schulter.
Der Herr der Quallen
Meine zweite große Bewährungsprobe kam, als das Eis gerade geschmolzen war und allmählich wieder Ratsuchende zu uns fanden. Nicht immer waren sie so harmlos wie unsere bisherigen Gäste.
Als wir an einem milden Frühlingstag hörten, dass jemand zur Kuppel heruntertauchte, versuchte der Große Udiko aufzustehen. Stöhnend ließ er sich wieder zurücksinken. »Geh du«, knurrte er. »Mein Rücken tut heute weh wie sonst nur nach einem Wettschwimmen.«
Ich hatte keine Zeit, einen Gruß zu rufen. Der Vorhang wurde mir aus der Hand gerissen, und ein halbes Dutzend Soldaten in nassen schwarz-silbernen Uniformen drängte sich aus dem Vorraum in den Gang. Sie sahen aus wie halb ertränkte Nachtwissler. »He, Junge!«, brüllte mich einer von ihnen an. »Wo ist dein Meister?«
Ich legte die Hand ans Ohr. »Was habt Ihr gesagt? Könntet Ihr bitte ein bisschen lauter reden?«
»WO IST DEIN ...«
»Schon gut, schon gut«, sagte ich und ging ihnen voran in die Wohnkuppel. Wieso verstand eigentlich nie jemand aus einer anderen Gilde meine Witze? Und wer waren diese Kerle überhaupt? Da es auf Daresh nicht viele Uniformen gab, fiel mir nur eine Möglichkeit ein: Es mussten Farak-Alit sein, Mitglieder der gildenlosen Elitetruppe der Regentin. Ich kündigte sie Udiko an und setzte mich neben ihn, um mir anzuhören, was die Kerle zu sagen hatten. Vielleicht überlegte ich mir besser schon mal, ob und wie wir es im Zweifelsfall schaffen könnten, sie rauszuwerfen.
Die Soldaten stellten sich breitbeinig mitten in die Kuppel und tropften den Teppich voll, weil sie keine schnell trocknenden Schwimmhäute trugen. Ihre Langschwerter schleiften fast auf dem Boden; sie waren so unhöflich gewesen, ihre Waffen in den Wohnbereich mitzunehmen. Aber Udiko ließ sich keinen Ärger anmerken.
»Seid Ihr der Große Udiko?«, raunzte der Kommandant – derjenige, der mich vorhin angeschrien hatte.
»So werde ich genannt.«
»Die Regentin braucht Eure Hilfe«, sagte der Farak-Alit. Ich versuchte ihn so zu sehen, wie Udiko es mir beigebracht hatte, und bemerkte, dass seine Kiefermuskeln angespannt waren. Er schien sehr nervös zu sein. »Ihr Sohn, der Zweite Regent, wird im Seenland vermisst. Man hat uns gesagt, dass Ihr der beste Sucher von Vanamee seid. Ihr habt Befehl, ihn zu suchen und zurückzubringen. Sofort. Und natürlich ist das alles strengstens geheim!«
Udiko und ich sahen uns an. Eins war klar: In seinem momentanen Zustand konnte Udiko nicht mal eine Menschenlänge weit schwimmen. Andererseits lehnte man eine Bitte der Regentin nicht leichten Herzens ab. Weil man sonst riskierte, einen Kopf kürzer gemacht zu werden.
»Das mag sein«, gab mein Meister zurück. »Aber ich bin krank. Der Rücken. Tut mir leid.«
Das gefiel ihnen nicht. Ganz und gar nicht. Mürrisch fragte der Kommandeur: »Wer ist der zweitbeste Sucher von Vanamee, und wo lebt er?«
»Kiris. Im Norden, zehn Tagesreisen von hier.«
Allmählich sah der Kommandeur etwas verzweifelt aus. »Gibt es keinen guten Sucher, der näher wohnt?«
»Doch«, sagte Udiko und deutete auf mich.
Ich war sprachlos. Moment mal! Ich lernte erst seit einem Winter von ihm! Er konnte nicht ernsthaft vorhaben, mich auf eine so wichtige Suche zu schicken! Auch die Soldaten blickten nicht wirklich überzeugt drein. Doch Udiko blieb wie üblich die Ruhe selbst. »Erzählt uns, was passiert ist.«
»Der Zweite Regent war tagsüber wie immer ohne Eskorte unterwegs«, berichtete der Kommandant schroff. »Das macht er gerne, er reist viel durch die Provinzen. Normalerweise holen wir ihn jeden Abend ein, um ihn nachts zu beschützen. Doch diesmal haben wir nur sein Kanu treibend gefunden. Leer. Das war vor fünf Tagen.«
»In welcher Gegend?«
»Zwei Tagesreisen südlich von hier. Keine Ahnung, wie die verdammte Gegend heißt.«
»Lingaja-Region«, sagte ich und begann, wie es meine Aufgabe war, mit einem feinen Stöckchen eine Karte der Gegend in die Sandschale zu zeichnen. Den Schwarzen Fluss. Die Hundert Schächte. Die Quallenhöhlen. Je länger ich zeichnete, desto mulmiger wurde mir zu Mute. Wenn dieser Bursche tatsächlich da langgepaddelt war, dann würde es ein gutes Stück Arbeit werden, ihn heil zurückzubringen.
Als ich fertig war, nickte Udiko und wandte sich an die Farak-Alit: »Würdet Ihr bitte oben warten?«
Als die Soldaten endlich polternd und tropfend entschwunden waren, sah Udiko mich erwartungsvoll an. »Und? Was sagen dir deine Augen?«
»Sieht so aus, als würde die Regentin ihren Sohn nicht besonders lieben«, meinte ich. »Nur sechs Soldaten zu schicken, ist eine Beleidigung. Es kann natürlich sein, dass oben noch zwanzig warten, aber das hätten wir sicher bemerkt.«
Udiko nickte. »Soweit ich gehört habe, verachtet sie ihn. Außerdem hat ein Zweiter Regent kaum eine Funktion. Außer, die Regentin stirbt unerwartet. Dann nimmt er vorübergehend ihren Platz ein, bis eine Nachfolgerin gefunden ist. Was meinst du – wissen die Farak-Alit, wo er steckt?«
Ich dachte nach. »Nein. Ich glaube nicht. Wahrscheinlich