Tot oder lebendig. Kai Althoetmar

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Tot oder lebendig - Kai Althoetmar


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Bomber genutzt werden, verringern ihre Geschwindigkeit auf 150 Stundenkilometer und gehen auf bis zu 120 Meter hinab. Sie „öffneten ihre Luken“, so Schwitzke, „und schütteten an Schirmen aus ihnen die Männer, die binnen Kurzem, zu Gruppen zusammengeschlossen über die Felder vorgingen“. Es folgen die Gleiter, die sich aus ihren Schleppflugzeugen ausklinken. „Und ohne lange leise zu segeln, stellten sie sich plötzlich auf die Nase, entfalteten ebenfalls einen Fallschirm hinter sich und rutschten sausend durch den Dunst hindurch fast senkrecht zur Erde, rings die Stadt umschließend.“ Für den Kriegsberichter ist aus der Luft nicht zu erkennen, was genau sich am Boden abspielt. Das Gegenfeuer der Partisanen entgeht ihm nicht. „Da schossen MGs, dort versuchte leichte Flak in die letzten Gleiter hineinzuhalten.“ Schon bald haben die deutschen Kampfflieger vier der sechs Flak-Maschinengewehre ausgeschaltet.4

      An Bord der Ju 52 von Kommandeur SS-Hauptsturmführer Kurt Rybka ist auch der SS-Untersturmführer Peter Renold, einer der wenigen Schweizer, die als Freiwillige in der Waffen-SS dienen. Er ist von der Nachrichtenschule Metz abkommandiert und soll mit anderen die Funk- und Telefonanlagen der Partisanen ausschalten.

      Renold verfaßt später einen ausführlichen Bericht über das Unternehmen „Rösselsprung“. Texte mit Renolds Rückschau erschienen im August 1977 in Der Deutsche Fallschirmjäger, dem Mitteilungsblatt des Bundes Deutscher Fallschirmjäger e.V. unter dem Titel „Rösselsprung nach Drvar“ und in Der Freiwillige, einer von 1956 bis 2014 erschienenen Zeitschrift für ehemalige Angehörige der Waffen-SS unter dem Titel „Luftlandeaktion gegen Titos Hauptquartier 1944“.

      Renold sitzt nervös in der Ju 52, die einen Lastensegler DS 210 im Schlepptau hat, und wartet auf den Absprung. „An meinem Gurtzeug befanden sich eine Luftwaffentragtasche mit Karten, Schreibzug, Sprengmittel, MPi mit Ersatzmagazin und Pistole.“ Der knapp 20jährige macht mit einer Minox-Kamera Fotos vom Lauf des Unac und von anderen Flugzeugen mit Lastenseglern. „Wir waren voller Anspannung. Unser Absetzer, ein Feldwebel und Kretateilnehmer der Luftwaffe, übertrug seine Ruhe und Gelassenheit auch auf uns.“ Die Fallschirmspringer gehen von Bord, ehe die Segler ausgeklinkt werden. Der Absprung verläuft glatt, der Schirm öffnet sich. Die Windverhältnisse sind günstig. Bis zur Bodenlandung vergehen höchstens 15 Sekunden. Die Männer um Rybka landen an einer Straße direkt am Ort, befreien sich aus dem Gurtzeug und bewaffnen sich. Renold: „Die Lastensegler steuerten eine Landefläche an. Es sah zunächst alles gut und geordnet aus, als doch plötzlich eine wilde Schießerei begann. Unsere Gruppe hatte kaum Widerstand, und wir gaben uns gegenseitig Feuerschutz.“

      Die gelandeten deutschen Truppen setzen Leuchtsignale, um für die Bomberpiloten die Stellungen der Partisanen zu markieren. Kriegsberichter Schwitzke beobachtet, daß die Luftlandetruppen Terrain erobern. „Als wir nach geraumer Zeit abfliegen, erkennen wir, daß dieselbe Gruppe, die noch eben sichernd von Haus zu Haus sprang, aufrecht den Feldweg entlangschreitet.“ Damit endet der Bericht des Luftwaffenreporters. Schwitzke dreht mit der Ju 52 ab. Seine Betrachtungen aus der Luft sollen sich als allzu siegesgewisse Ferndiagnose erweisen.5

      5. „Dem Bandenstaat mitten ins Herz“

      Im Frühjahr 1944 hat Titos Volksbefreiungsarmee bereits über 300.000 Partisanen unter Waffen, darunter viele Frauen. Titos Heer ist aufgeteilt in elf Armeekorps, bestehend aus 39 Divisionen und etlichen unabhängigen Brigaden. Während die Deutschen Städte und Garnisonen sowie die wichtigen Eisenbahnlinien und Fernstraßen kontrollieren, beherrschen die Tito-Partisanen das zumeist bergige Hinterland. Bis Ende März 1944 haben die Deutschen sechs Divisionen vom Balkan abziehen müssen: zwei, um sie in Italien den Angloamerikanern entgegenzuwerfen, vier für die Besetzung Ungarns.

      Ziel der deutschen Operation ist die Gefangennahme oder Tötung Titos. Wenn möglich, soll die gesamte Kommandostruktur der Jugoslawischen Volksbefreiungsarmee zerschlagen werden. „Rösselsprung“ ist die letzte von sieben Offensiven, die die Achsenmächte gegen die Partisanenarmee führen. Die Operation geht daher auch als „Siebte Offensive“ in die Kriegsgeschichte ein.

      „Dem Bandenstaat mitten ins Herz. Überraschende Landeaktion ins Zentrum bosnischen Bandenwiderstandes“. Unter dieser Überschrift verfaßt Leutnant Dr. Heinz Schwitzke vom Luftwaffen-Kriegsberichterzug 19 einen ersten Report über die Operation „Rösselsprung“. Der hohnsprechende Tonfall des Berichts kontrastiert auffallend zum Ernst dessen, was die deutschen Fallschirmjäger am Boden erwartet. Über die von Tito kontrollierten Gebiete schreibt Schwitzke: „Viel Zusammenhängendes hat nie existiert von der so stolzen großserbisch-jugoslawisch-bolschewistischen Bandenrepublik. Aber ein kleines Stück des Landes, oder vielmehr des Gebirges hat sie trotzdem besessen: es liegt abseits jeder großen Siedlung, abseits bedeutender Straßen, mitten in der unendlichen Einsamkeit des Velebit-Gebirges. Dort hat sich die Meute zwischen den bis zu 2.000 Metern aufsteigenden Bergen in jene Talkassel eingenistet, die - wie man nun will - natürliche Festungen oder aber ein natürliches Gefängnis waren.“ Über die Abhängigkeit der „Bandenrepublik“ von britischen Abwürfen über Bosnien schreibt er: „Dort auch genoß sie das Glück, Staats- und Weltpolitik zu spielen, mit ein paar Eisenbahnwagen auf einer kleinen Strecke hin und her zu fahren, sich von der englisch-sowjetischen Rivalität ausgiebig zu nähren und hin und wieder, besonders nachts, lieben Besuch zu empfangen: Besuch, der sie mit dem Segen von Kleidern, Nahrungsmitteln und einigen abgelegten Waffen aus der Luft leider nicht immer ausreichend überschüttete.“

      Der Bericht läßt sich auch darüber aus, warum Titos Partisanen das Velebit-Gebirge unter ihre Kontrolle bringen konnten. Schuld gibt Schwitzke Italien und seiner Besatzungspolitik auf dem Balkan - nicht aber erst der Absetzung des Duce vom 25. Juli 1943, der anschließenden Machtübernahme durch Marschall Pietro Badoglio und dem Ausscheiden der Italiener aus dem Krieg nach dem Waffenstillstand mit den West-Alliierten vom 3. September 1943, dem in den folgenden Wochen die deutsche Besetzung Italiens folgte. Noch unter Benito Mussolini ließ Italiens Kampf gegen die Tito-Partisanen aus deutscher Sicht zu wünschen übrig. „Über das Velebit-Gebirge nämlich läuft die Grenze zwischen Bosnien und Dalmatien, lief die Grenze zwischen deutscher und italienischer Militärhoheit. Und die militärischen Dienststellen im Küstenland, in deren Herzen schon die Frucht des Badoglio-Verrates langsam keimte, wünschten keine deutschen Säuberungsaktionen in ihrem Bereich, und sie unternahmen erst recht keine eigenen. So allerdings konnten sich die dunklen Existenzen hier wohlfühlen.“6

      6. Spione und Verräter

      Titos Hauptquartier in Drvar haben die Deutschen durch intensive Funkaufklärung ermittelt. Seit 1942 interessieren sie sich mehr und mehr für die Funkanlagen, mit denen der britische Geheimdienst zunächst die Stäbe der serbischen Tschetniks unter General Draa Mihailoviæ versorgte. Als auch Titos Leute die Anlagen in die Finger bekamen, wurde es brenzliger: Die alliierte Luftwaffe erhielt per Funk Informationen über Truppenbewegungen der Achsenmächte - damit ließen sich gezielte Bombardements planen.

      Im Sommer 1943 war die in Saloniki stationierte Nachrichtenaufklärungsabteilung 4 der Deutschen nach Belgrad verlegt worden und widmete sich unter der Leitung von Hauptmann Wollny der Überwachung und Entschlüsselung der Funksprüche der Partisanen. „Nach wenigen Monaten konnte praktisch der größte Teil des Funkverkehrs des Obersten Stabes entschlüsselt werden, ohne daß dies den deutschen Abhörspezialisten große Probleme bereitete“, schreibt der deutsche Militärhistoriker Romedio Graf von Thun-Hohenstein in seiner Studie „Rösselsprung“. „Schwierig war dagegen die Einpeilung der jeweiligen Standorte, weil die Partisanenverbände äußerst beweglich waren und die Peilung von ‘erdmagnetischen Störungen’ erschwert wurde.“7

      Mit Kreuzpeilungen verschiedener Empfangsstationen war es Ende Februar 1944 dennoch gelungen, Titos Hauptquartier zu lokalisieren. Die in der Region tätigen Front-Aufklärungs-Kommandos 111 und 201 der deutschen Abwehr verifizierten die Angaben im März 1944. Weitere Informationen von Zuträgern wie Geheimer Feldpolizei, Feldkommandantur, Sicherheitsdienst (SD) und Spitzeln sowie anschließend abgehörter Funkverkehr ließen keinen Zweifel mehr, wo Tito steckte. Allerletzte Bedenken zerstreute ein Mitte Mai 1944 abgefangenes Telegramm des jugoslawischen Militärattachés in Washington an seinen Gegenpart in Kairo. Der Funkspruch erwähnte Drvar als Titos Sitz. Den exakten Aufenthaltsort


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