Mit Gold gepflastert .... Marc-Christian Riebe

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Mit Gold gepflastert ... - Marc-Christian Riebe


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in einer beruflichen Ausbildung steckte. Und auch während meines BWL-Studiums war ich nebenbei als Buchhalter in einer Immobilienfirma tätig. Es schien, als ob Geld mich zu einem anderen Menschen machte, selbst verdientes Geld. Ich fühlte mich nach Menschen machte, selbst verdientes Geld. Ich fühlte mich nach Auszahlung des Lohnes stolz. Mein Selbstwertgefühl stieg. Ich bekam Anerkennung, empfand mehr Lebensqualität und wuchs an meiner finanziellen Unabhängigkeit.

      Ich wusste lange nicht, was ich beruflich machen sollte oder anders gesagt, in welcher Branche ich meine erste Million verdienen wollte! Denn das war mein Ziel. Ich konnte es als junger Mann noch nicht so schlüssig formulieren. Doch ich spürte, dass es im Universum ein Gesetz der Ordnung und Anziehung geben muss. Ich glaubte an Wohlstand und Glück und liess nicht zu, dass sich gegenteilige Gedanken in meinem Geist festsetzten. Sehr viel später erst lernte ich nicht nur die Höhenflüge von beruflichem Erfolg kennen, sondern auch, wie es sich anfühlt, völlig am Boden zu sein. Irgendetwas musste sich in meinen positiven Gedanken verhakt haben. Aber vielleicht wollte mich das Leben auch nur auf die Probe stellen, denn einfach ist «Erfolg zu haben» nie. Aber unglaublich berauschend.

      Ein Blick zurück

      Elbing in Westpreussen, am gleichnamigen Fluss gelegen, bezeichnete mein Vater stets als «Schmuckkästchen»: Zahlreiche gotische Kirchen, hübsche Giebelhäuser, ein sehenswertes Markttor, der masurische Oberländische Kanal … Das Haus und Geschäft «Alter Markt 53» gehörte meinem Urgrossvater, dem Goldschmiedemeister Johann Augustin Cyrus Riebe (1863-1945). Er bot unter anderem «Alfenidewaren» an, eine Mischung aus Kupfer, Zinn und Nickel, bei der es sich um eine Art Neusilber handelte. Deshalb stand über dem Laden: «AUGUST RIEBE Gold, Silber & Alfenidewaaren». Waaren mit zwei aa geschrieben. Und unter den Fenstern des zweiten Stocks hiess es noch einmal schlicht: Augustin Riebe. Er war ein Meister seines Fachs und bildete im Laufe der Zeit zahlreiche Goldschmiedegesellen aus, die noch heute in Schriften erwähnt werden.

      «Um das Bein nicht amputieren zu müssen, wurde es gekürzt.»

      Einer seiner Söhne war Leo Josef Riebe, mein Grossvater. Er arbeitete zunächst als Goldschmiedelehrling und später als Geselle bei seinem Vater. In den 1930er Jahren machte er sich selbstständig und eröffnete sein eigenes Juweliergeschäft in der damals umbenannten Adolf-Hitler-Strasse, zuvor Innerer Mühlendamm. Infolge der Weltwirtschaftskrise musste ein Unternehmer nach dem anderen Insolvenz anmelden, auch mein Urgrossvater wurde zahlungsunfähig, und das schmucke Haus «Alter Markt» musste zwangsversteigert werden.

      Leo Riebe, sein Vater beziehungsweise mein Grossvater, war behindert. Das hatte nicht wirklich Auswirkungen auf das Zusammenleben, sollte sich später sogar als hilfreich erweisen. Wie es dazu gekommen war? Leo hatte als elfjähriger Junge mit seinen Freunden auf der Schlittschuhbahn Schabernack getrieben und sich das linke Schienbein angeschlagen. Er verschwieg zunächst das Unglück, bis die Wunde zu eitern begann. Um das Bein nicht amputieren zu müssen, wurde es gekürzt. Die Operation musste fürchterlich gewesen sein, denn sie geschah mangels Narkosemitteln ohne Betäubung. Er wurde kurzerhand auf eine Pritsche geschnallt und konnte nur hoffen, dass der Chirurg schnell und sicher in seinen Handgriffen war. Seither trug er einen Spezialschuh mit Schiene. Das war schon schlimm genug. Doch der Eiter hatte sich bereits durch seinen Körper gefressen. Sein rechtes Auge war angegriffen worden. Es lief aus und musste durch ein Glasauge ersetzt werden.

      Juweliergeschäft von Augustin Riebe in Elbing, Westpreussen

      Der Zweite Weltkrieg machte auch vor Elbing nicht halt. Die Russen rückten näher und mein Grossvater Leo bereitete im November 1944 die Flucht der Familie vor. Oma Gertrud, im Freundeskreis Lache-Trudchen genannt, weil sie ein sonniges Gemüt hatte und immerzu gute Laune versprühte, brach mit den Kindern Gernot C., dem Zwillingsbruder Manfred sowie Tochter Erdmute mit dem Zug Richtung Westen auf. Die Reise war als «Besuch bei Freunden» getarnt, bei Menschen, die es tatsächlich gab und die Familie erwarteten. Mein Grossvater, der wegen seiner Behinderung als Berufsschullehrer eingesetzt und zwangsverpflichtet worden war, sollte weiterhin die Stellung halten. Er erlebte später das ganze Ausmass einer überstürzten Flucht und brach erst gen Westen auf, als die Russen im Januar 1945 die Stadt mit Kanonen beschossen und die ersten Panzer Kurs auf Rathaus und Innenstadt nahmen.

      Über Steglitz, Burg und Magdeburg gelangten sie alle gemeinsam nach Ostberlin. Von dort flohen sie nach dem Krieg in den Westsektor, wo mein Grossvater in Wilmersdorf eine Zweizimmerwohnung organisiert hatte. Ein Glück und eine Rarität. Das Leben, der Stolz, eine Zukunft – alles war unter enormen Trümmerbergen begraben. Zurück blieb nur die Pflicht des unbedingten Weitermachens, und der kamen meine Grosseltern beherzt nach.

      «Eines Tages entdeckte Leo ein freies Ladengeschäft direkt am Konstanzer Bahnhof»

      Grossvater Leo machte sich keine unnötigen Gedanken. Er vertraute auf sich und sein Können. Von Prophezeiungen oder gar Zukunfts-voraussagen hielt er nicht viel, auch wenn er sich für Astrologie interessierte. Über dieses Interessengebiet kam er mit einer Wahrsagerin in Kontakt, die ihm voraussagte, bald an ein «grosses Wasser» zu gelangen. Nun gut, er war Segler, er konnte schwimmen, so abwegig war das nicht. Eines Tages las er in der Zeitung das Inserat einer Geschäftsfrau, die einen kleinen Uhrenladen in Konstanz am Bodensee abzugeben hatte. Danach ging alles sehr schnell: Ausweispapiere besorgen, Wohnung auflösen, die Kinder aus der Schule nehmen und die Anfahrt organisieren.

      Bald standen sie wieder am Bahnhof Friedrichstrasse, diesmal auf der richtigen Seite, nämlich im Westen. Es war der Tag der Abreise. Die Taschenuhr meines Grossvaters tickte. Die Zeiger rückten stetig voran. Alles an ihm war angespannt und freudig erregt. Sie würden in eine neue Zukunft aufbrechen. Wahrscheinlich war er glücklich. Ja, er war glücklich.

      Ich weiss nicht, in welcher Form die Familie erstmals in Kontakt mit Einheimischen kam. Doch als der Zug durch den Schwarzwald fuhr, wunderten sie sich, weil sie kein Wort verstanden und dachten, sie seien im «Urwald». Das mag eine seltsame Beschreibung sein für eine Sprache, vo uugfähr zäe Millione Mänsche gredet wird. I de Schwyz kennt mers als Schwyzerdütsch, z Frankriich heissts Elsässerditsch. Aber klar, Alemannisch klang zunächst fremd für eine Familie, die gewohnt war, Hochdeutsch zu sprechen.

      Die Sprache stellte womöglich das Hauptproblem und den Grund dar, warum sie sich in Baden-Württemberg fremd fühlten, als Aussiedler eben. Selbst bei der Einschulung war sie ein Hindernis. Den Kindern fehlten Französischkenntnisse, mit Russisch, das sie als erste Fremdsprache gelernt hatten, konnten sie im Westen nichts anfangen. Sie wurden zwei Klassen zurückgestuft – eine herbe Enttäuschung. Aber auch die Bevölkerung ging nicht immer sanft mit den Zuwanderern um. Und wenn es Hart auf Hart kam, war man schnell dabei mit einem: «Dann geht halt dorthin zurück, wo ihr hergekommen seid!»

      Grossvater galt als sympathischer, freundlicher und umtriebiger Mensch. Ein Mann der Tat eben. Er kümmerte sich um eine Unterkunft, brachte den Uhren- und Schmuckladen auf Vordermann und trat dem Verein Bodan-Badenia bei, einem Vorläufer des heutigen «Sinfonischen Chores Konstanz», Er gab als Tenor sein Bestes.

      Nun endlich schienen die Riebes in der Konstanzer Gesellschaft angekommen zu sein. Doch sie waren arm. Jedenfalls im Vergleich zu den anderen Familien, die weder Heimat noch Besitz verloren hatten. Die Stadt war von den alliierten Bombenangriffen aufgrund der Nähe zur Schweizer Grenze verschont geblieben.

      Mein Grossvater hatte kein Vermögen und auch keine finanziellen Rücklagen, doch er besass ein Ladengeschäft, Schmuck und Wertgegenstände. Trotzdem war Geld immer knapp. Grossvater erhielt keinen Bankkredit, vor allem, weil er schwerbehindert war. Der Einkauf lief Ware gegen Wechsel.

      Dem schmalen Budget musste sich so manch notwendige Anschaffung beugen. Und da sich meine


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