Das Ding im Atlas. Micha Rau

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Das Ding im Atlas - Micha Rau


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und Nervenfunktion, jeden Knochen und die Sektionen des Gehirns, aber Knolle drückte sich tatsächlich bis in die letzten Wochen vor dem alles entscheidenden Thema. Auch mehrmalige deutliche Aufforderungen durch uns bis hin zur Meuterei ignorierte er einfach. Tja, nun könnte man sagen, der wusste echt nichts vom Rummachen, weil … wer würde schon mit dem …? Aber Quatsch, der hatte nur Schiss vor unseren Fragen und seinen Antworten.

      Natürlich dachten wir uns, dass er sich dachte, dass wir uns denken konnten, dass er eigentlich nur dumm dabei aussehen konnte. Kurz: Wir waren sicher, dass wir im praktischen Bereich dieses Themas weiter waren als er. Aber es wäre zu lustig gewesen, wenn er es in der Theorie mit uns aufgenommen hätte. Wir wollten uns eben amüsieren. Ja, ja, auf seine Kosten, okay.

      Aber er tat uns den Gefallen nicht.

      Um das, was dann folgen sollte, und ich sag euch, das war der Hammer!, realisieren zu können, musste die ganze Klasse Bescheid wissen. Und mitmachen. Und Geld sammeln. Sonst hätte Knolle nicht etwas fürs Leben lernen können. Aber halt, eins nach dem anderen.

      Der kleine Dicke brauchte einen deutlichen Hinweis. Und wie der auszusehen hatte, darauf brachte uns ausgerechnet Cora.

      „Wie wär´s, wenn wir ihm mal ´ne Sammlung der Seite 3 von der Bild-Zeitung mitbringen? Die mit den nackten Mädels! Vielleicht merkt er dann, wo´s langgeht?“

      Die Idee war nicht schlecht, aber Jörg, ausgerechnet unser solider Jörg, ließ sich davon zu einem weitaus besseren Ding inspirieren.

      „Mensch, Leute, mir fällt da was ein … was haltet ihr´n davon …?“

      Das Weitere ging im Flüsterton vonstatten, nur dann und wann von einer gewaltigen Lachsalve unterbrochen. Und das will ich jetzt mal nicht wiedergeben. Lasst euch überraschen.

      *

      Am darauf folgenden Samstag war Manöverbesprechung.

      Wir hatten die Klasse über unser Vorhaben informiert. Mit einigen Leuten hatte es tatsächlich Schwierigkeiten gegeben, und bei dieser … hmm … etwas delikaten Thematik war das auch durchaus verständlich. Aber eine gute Idee setzt sich immer durch.

      Als das geklärt war, wurde eine Sammlung durchgeführt. Billig war der Spaß nicht. Manche konnten gar nichts geben, ganz einfach, weil eben nicht jeder wohlhabende Eltern hat, aber andere opferten das gesamte Taschengeld. Wir waren sicher, auf einen guten Schnitt gekommen zu sein.

      Danny, Jörg und ich übernahmen die Einsatzleitung. Dann wurde zusammengezählt. Aber vor allem musste telefoniert werden.

      „Wie viel haben wir?“

      Danny platzierte das letzte Geldstück auf eines der zahlreichen, kunstvoll aufgebauten Münztürmchen und pfiff anerkennend.

      „Hundertfünfundfünfzig, fünfundsechzig!“

      Ich war skeptisch.

      „Das reicht nicht. So was bekommst du nicht unter dreihundert.“

      „Keine Angst.“ Jörg machte auf Fachmann. „Für dreihundert kriegste zwei für mindestens drei Stunden.“

      „Woher weißt´n das?“

      „Na, das weiß man eben.“

      „Wer ruft an?“

      Betretenes Schweigen. Jeder sah lässig woanders hin.

      „Gut“, meinte ich. „Wenn wir jetzt kneifen, dann können wir nie wieder in die Schule zurück. Wir müssen da durch. Also?“

      „Mach du doch!“

      „Ähh … losen wir!“

      Die fairste Lösung. Also drei kleine Zettel gefaltet, auf einem stand du, rein in ein Cola-Glas und gut geschüttelt. Eigentlich wollten wir dann noch losen, wer anfängt …

      Jörg hatte den Hauptgewinn. Entsprechend glücklich sah er aus.

      Unser Treffen fand bei mir zu Hause statt, aus dem einfachen Grund, weil hier niemand störte. Wir zwangen also Jörg liebevoll, sein Handy hervorzuholen und blickten ihn erwartungsvoll an.

      Mitleidslos beobachteten wir, wie er mit schweißigen Fingern die Nummer wählte und mit einem titanischen Kloß im Hals kämpfte.

      Dann war es soweit.

      „Besetzt!“

      Jörg war für zwei Sekunden der glücklichste Mensch auf der Welt.

      „Los, versuch´s noch mal!“

      Glück verfliegt so schnell.

      Jörg wählte und wählte, und irgendwann war es wirklich so weit.

      „Es tutet!“

      „Mensch, sprich tiefer!“

      Dann hob jemand ab, und Jörg fing an zu sprechen. Und der machte das so eiskalt, dass es seit damals niemals wieder etwas geben sollte, was ich ihm nicht zugetraut hätte. Der dachte sogar glatt an die rechtlichen Aspekte der Sache! Vor allem, wie man solche verhindern könnte. Ich hätte wissen müssen, dass der Anwalt wird.

      Dann schien das Gespräch beendet zu sein, denn Jörg sagte nur noch: „Danke und bis zum nächsten Freitag“ und beendete das Gespräch.

      Wir sahen uns mindestens eine Minute lang grinsend an. Dann meinte Jörg völlig ernst:

      „Die Sache steigt. Hundertfünfzig. Der Rest sind Spesen.“

      Ich blickte zur Decke.

      „Alea iacta est. Der Würfel ist gefallen. So sei es. Amen.“

      *

      Der Tag X.

      Wir hatten alle verdammtes Magensausen. Diesmal wusste ja ausnahmslos jeder Bescheid. Und jeder von uns hatte außer einem Satz Nerven schließlich noch eine Menge Geld investiert.

      Aber wie das Leben so ist, die Meute bezahlt und gafft, aber einer muss den Helden spielen. Jemand musste die betreffende Person abfangen und die Abschlussver-handlungen führen. Der Andrang war natürlich unbeschreiblich, kurz: Niemand traute sich.

      Nun ratet mal, wer dann schließlich draußen vor der Schule stand und mit hochrotem Kopf wartete, während seine klammen Finger die drei Scheine umkrampften?

      Getroffen!

      Also, da stand ich nun und machte mir vor Angst beinahe in die Hosen. Ich stand stundenlang da, und langsam wurde mir besser.

      Sie kam nicht.

      Ich sah auf die Uhr. Es waren genau drei Minuten vergangen. War wohl doch noch nicht so lange. Ich wartete weiter.

      Die Uhrzeit werde ich nie vergessen: 11:48 Uhr. Bio lief schon acht Minuten.

      Die Verabredung war aus strategischen Gründen auf fünf Minuten nach Unterrichtsbeginn gelegt worden. Gott sei Dank, wer wusste schon, wie die Alte aussah? Außerdem … so richtig Lust auf Zeugen hatte ich wirklich nicht.

      Ich ging wieder rein, murmelte irgendeine Entschuldigung und setzte mich unendlich erleichtert auf meinen Platz. Genau das dachte ich jedenfalls, aber eben in dem Moment, als mein rechtes Bein in Richtung Klasse zuckte, kam der Wagen um die Ecke.

      Eigentlich hatte ich einen Ferrari oder etwas in der Art erwartet, aber alles, was da anhielt, war ein alter Golf, der noch ein Weilchen nachhustete, nachdem der Motor schon abgestellt war.

      Aber was dann aus dieser Karre stieg, das war … also, ich muss schon sagen …

      Nun wartet´s doch noch ein bisschen ab, beschreiben tu ich sie gleich noch!

      Sie kam über die Straße auf mich zu, und ich kippte nach hinten um. Wäre ich jedenfalls, hätte der für unsere Schule zuständige Architekt seinerzeit den Zaun vergessen. So kam sie also, baute sich direkt vor mir auf und fragte mich nach der Schule. Ließ sich nicht mehr umgehen, ich musste mich offenbaren.

      Das


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