DER ELEGANTE MR. EVANS. Edgar Wallace

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DER ELEGANTE MR. EVANS - Edgar Wallace


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1: Die Bruderschaft

      Inspektor Pine war eigentlich etwas mehr als nur ein Polizeiinspektor. In bestimmten Kreisen nannte man ihn einen Christenmenschen. Er betätigte sich als Laienprediger, auch hatte er dem Alkoholgenuss den Kampf angesagt, galt sogar als Sozialreformer. Und wenn ein Mann es durch harte Arbeit geschafft hatte, Educated Evans zum Eingeständnis seiner Verfehlungen zu bringen, dann war es Inspektor Pine. Er hatte mit dem Teufel gerungen, als es um Evans’ geistige und moralische Erneuerung ging; er hatte für Mr. Evans gebetet, und einmal, als es sehr schlecht um ihn stand, hatte er Mr. Evans dazu bringen können, an einer Veranstaltung teilzunehmen, die unter dem Motto stand: Begegnung zum Lobe des Herrn.

      Educated Evans respektierte die Ernsthaftigkeit eines jeden Menschen, wenn er ihn auch als seinen natürlichen Feind ansah; als er aber feststellen musste, dass ihm die »Begegnung zum Lobe des Herrn« keinerlei finanzielle Vorteile brachte, lehnte er jegliche weitere Einladung ab und widmete bei künftigen Exkursionen seine Kräfte dem Sammeln von Informationen über ein bestimmtes Pferd, das am 2. Weihnachtstag im Hindernisrennen von Kempton Court an den Start gehen sollte.

      Dennoch – Inspektor Pine verlor keinesfalls den Mut. Er glaubte daran, dass man die Selbstachtung und das Selbstvertrauen eines Mannes wiederherstellen konnte; aber in diesem Punkt hätte er sich eine Menge an Mühe ersparen können; denn das Selbstbewusstsein eines Educated Evans war einfach enorm und so überzeugt wie nie, wenn er in eine Hymne einstimmte, wo es in zwei Zeilen heißt »Die Kräfte der Dunkelheit müssen fliehen; der kommende Tag triumphiert über die Nacht«.

      Evans nahm dies gerne als Omen an und schickte all seinen Wettkunden seine Tipps mit dem Hinweis »Informationen eines frischen Morgens – bedient euch«. Evans war bei allen anderen Beschäftigungen, denen er so nachging, auch ein Tippgeber und verfügte über eine Kundschaft, in der sich viele Gastwirte und die gesamte Belegschaft des Güterbahnhofs der Midland Railway befanden.

      Eines Tages im April lehnte Evans trübsinnig an einem breiten Brückengeländer und schaute mit mäßigem Interesse hinunter auf den Fluss. Sein melancholisches Gesicht drückte nichts als Schmerz und Enttäuschung aus, während sich seine Unterlippe kummervoll vorstülpte, und seine runden Augen drückten eine Qual aus, als habe er ihnen nur noch eine letzte Chance gegeben zu zeigen, was er wirklich sehen wollte. Und wenn sie diese Chance nicht nutzen wollten, brauchten sie ihm niemals mehr zu Diensten zu sein.

      Er war so in Gedanken vertieft, dass er den Mann nicht bemerkte, der einem völlig anderen und für Evans verhassten Beruf nachging, sich nun zu ihm gesellte und an den stillen Betrachtungen teilnahm.

      Kleine Schleppdampfer, langsame Boote, ein geschmeidig dahingleitendes Polizeiboot – all das beobachtete Educated Evans, aber anscheinend bekam er nicht das serviert, was er sehen wollte, und so wendete er mit einem ungeduldigen Seufzer seinen Blick ab.

      Dann erst sah er seinen stillen Begleiter und stellte fest, dass er hier, an diesem eintönigen Uferdamm, einen Mann traf, den er meilenweit entfernt glaubte.

      Der Neuankömmling war ein großer Mann Mitte dreißig, mit breiten Schultern, jeder Zoll eine kraftvolle Gestalt. Er trug schwarze Kleidung und die breite Krempe eines Filzhutes bedeckte seine Augen. Er kaute an einem Strohhalm, und wenn Evans ihn nicht an anderen Dingen erkannt hätte – spätestens daran hätte er ihn als den »Müller« identifiziert, dessen richtiger Name William Arbuthnot Challoner lautete.

      »Wie das, Müller, ich dachte schon, Sie seien tot! Ich spekuliere hier über 190 Millionen Kubikmeter Wasser, die täglich unter dieser Brücke durchfließen, und sinniere über die bemerkenswerten Veränderungen, die sich ereignet haben, seit der gute alte Christoph Columbus von eben diesem Pier abgelegt hat; er und die Pilgerväter, die 1579 Amerika entdeckt haben...«

      Der Müller hörte ihn, aber er hörte nicht zu. Der Strohhalm zwischen seinen starken Zähnen tanzte hin und her; sein langgezogenes, finsteres Gesicht war dem Fluss zugewandt und seine Gedanken waren weit weg.

      »Eine hübsche Gegend hier«, sagte Evans und legte Begeisterung in seine Stimme, während er auf den dunstigen Horizont deutete. »Genau, wie der gute alte Turner sie gemalt hat, und Fluter...«

      »Whistler«, sagte sein Begleiter abwesend.

      »Whistler – natürlich! Oh, mein Gott, wo bleibt meine Bildung!« Mr. Evans wackelte mit dem Kopf, unzufrieden mit sich selbst. »Whistler. Was für ein Künstler. Müller – wenn Sie diese Vertraulichkeit entschuldigen. Ich werde Sie sonst Challoner nennen, wenn es Ihnen besser passt. Was – für – ein – Künstler! Da gibt es ein paar Gemälde von ihm in der National Gallery. Und noch eines in dem – dem Praydo* in Madrid. Kunst ist eine meiner großen Schwächen, immer schon, als ich noch ein Junge war. Kennen Sie Sergeant? Großer amerikanischer Maler. Einer der größten Künstler auf der Welt. Und kennen Sie den berühmten französischen Künstler Carrot?«

      »Weißt du«, begann der Müller bedächtig und schaute dabei weiter auf den Fluss, »weißt du, wo du warst zwischen 19.30 Uhr und 21.15 Uhr am Abend des 8. in diesem Monat?«

      »Ja, das weiß ich«, erwiderte Evans prompt.

      »Weiß das sonst noch jemand – und zwar jemand, dessen Wort auch von einem Polizeirichter akzeptiert würde, der mit einem gesunden Verstand und ausgeprägtem Misstrauen der Unterwelt gegenüber ausgestattet ist?«

      »Mein Freund, Mr. Harry Sefferal«, begann Evans und der Müller lachte gekünstelt und etwas gequält auf.

      »Du musst nur deinen Freund in den Zeugenstand bringen«, sagte er, »und brauchst nur zuzulassen, dass der Richter seine düstere Visage sieht. Dann bist du ruckzuck in Dartmoor, und zwar für den Rest deines Lebens. Harry Sefferal könnte dich nur vor dem Gefängnis retten, wenn du des Mordes angeklagt würdest. Der Henker, der seine sogenannten Beweise liest, würde sofort seine Sachen packen, ohne auf den Freispruch zu warten. Harry Sefferal!«

      Mr. Evans zuckte mit den Schultern.

      »An dem bestimmten Abend spielte ich ganz ruhig für mich in der Gesellschaft eines bekannten und angesehenen Geschäftsmannes, Mr. Julius Levy...«

      »Du bist jetzt schon tot!«, knurrte der Müller. »Kennst du Karbolt Manor?«

      Mr. Evans dachte nach.

      »Nein, ich glaube nicht«, sagte er schließlich.

      »In der Nähe von Sevenoaks – das große Haus, das Binny Lester vor fünf Jahren ausgeraubt hat und entwischte.«

      Educated Evans nickte.

      »Jetzt, wo Sie von diesem prunkvollen Anwesen sprechen, Müller, kommt es mir wieder in den Sinn – wie ein Traum sozusagen oder eine Erinnerung an glücklichere Tage.«

      »Gibt es eine Leiter in deinem Traum? Eine Leiter, die zu dem Fenster von Lady Cadrington’s Schlafzimmer hochging, als die Familie zu Mittag saß? Träume bitte sehr sorgfältig, Evans.«

      Auf Mr. Evans Stirn, die normalerweise absolut glatt war, erschienen ein paar Falten.

      »Nein«, sagte er; »ich kenne den Ort, aber in der Nähe bin ich nicht gewesen. Darauf kann ich den heiligsten Eid...«

      »Tu’s besser nicht«, bat der Müller. »Ich habe lieber dein Ehrenwort. Es bedeutet mir mehr.«

      »Bei meinem Ehrenwort als Gentleman«, sagte Evans feierlich, »ich bin nicht sehr oft in der Nähe oder sagen wir so, anderweitig diesem Hause nahegekommen. Und wenn ich jetzt nicht die Wahrheit spreche, möge der Himmel mich in dieser Sekunde zu Boden schmettern.« Dabei warf er die Arme theatralisch nach oben, während der Müller wartete und zum Himmel hinaufschaute.

      »Der Himmel hat dich nicht gehört«, sagte er ungerührt und ergriff Evans am Arm. »Pine will dich sehen.«

      Mit einem Schulterzucken gab Evans auf.

      »Sie nehmen einen Unschuldigen fest«, sagte er würdevoll. Der Müller ertrug den kleinen Schlag gelassen.

      »Der Müller« war für eine bestimmte Klasse immer »der Müller«. Er wurde mit Namen und unter der


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