Die Maske des Pharaos. Micha Rau
Читать онлайн книгу.wir jetzt zu tun haben?“
Ich schaute ratlos in Tommys lachende Augen.
„Na, ist doch ganz einfach! Wir legen jetzt unsere rechten Hände in der Reihenfolge unserer Geburten auf die Tafel und warten ab, was passiert.“
Ganz einfach. Wir brauchten nicht lange zu diskutieren. Tommys Lösung schien vernünftig zu sein. Aber was würde dann geschehen? Würde sich der Raum in die Kammer des Wissens verwandeln? Würde sich ein neues Rätsel auftun? Wir wussten es nicht.
Es gab nur eines. Ausprobieren.
„Seid ihr bereit?“, fragte Tommy.
„Sind wir!“
Wir rutschten auf Knien herum, damit jeder seine richtige Position einnahm, und hielten unsere Hände dicht über die bronzene Tafel. Ich bemerkte, dass meine Hand ein wenig zitterte und mein Herz klopfte. Dann musste ich auf einmal lächeln, weil Jever und Lazy dachten, wir spielten und sie ebenfalls ihre Vorderpfoten auf die Platte setzten.
„Einer nach dem anderen“, sagte Tommy entschieden, und noch bevor jemand von uns über die Konsequenzen nachdenken konnte, legte Janine ihre Hand auf ihren Abdruck, dann Sanne, und auch ich zögerte keine Sekunde. Was auch immer geschehen mochte, gefährlich war es bestimmt nicht. Denn die unbekannten Mächte hatten uns noch nie ernsthaft in Gefahr gebracht. Also wartete ich mehr mit neugieriger Spannung als angsterfüllt auf den Moment, in dem Tommy als Letzter seine Hand auf die Tafel legen würde. Und dann tat er es.
Im nächsten Augenblick kippte die Tafel nach unten weg. Mit grauenhaftem Erkennen nahm ich einen schwarzen, unendlich tiefen Schlund war. Die Platte riss uns mit sich in die Tiefe. Ich hatte nicht einmal Zeit zum Schreien.
Die Mondscheibe
Kopfüber stürzten wir nach unten ins schwarze Nichts. Der freie Fall dauerte nur ein oder zwei Sekunden, aber diese beiden Sekunden waren die schrecklichsten meines Lebens. Ich schlug einen Salto, ruderte mit den Armen, sah über mir die rechteckige Öffnung immer kleiner werden und wusste, dass ich jetzt sterben würde. Irgendetwas traf mich hart im Gesicht und Lazy jaulte herzerweichend.
Dann prallte ich gegen eine weiche, nachgiebige Wand, und im nächsten Moment flog ich hin und her, von einer Seite zur anderen. Verzweifelt versuchte ich, irgendwo Halt zu finden, aber das war unmöglich. Die Körper meiner Freunde wirbelten um mich herum. Wir handelten uns etliche blaue Flecken ein, als Arme und Beine gegeneinander schlugen. Dann wurde der Schacht, in den wir gefallen sein mussten, immer schräger und das bremste unseren rasenden Fall. Schließlich fielen wir nicht mehr, sondern purzelten wie ein großes Knäuel ineinander verkeilt weiter abwärts. Lazy patschte auf mein Gesicht. Gleich darauf fiel jemand auf mich drauf, so dass ich keine Luft mehr bekam. Verzweifelt versuchte ich, mich zu befreien, während wir weiter nach unten glitten. Der Schacht schien jetzt in eine Röhre übergegangen zu sein, denn ich fühlte nirgendwo eine Kante. Die Neigung ließ immer mehr nach und wir wurden langsamer. Doch immer noch war es unmöglich, anzuhalten.
Endlich hörte das wilde Durcheinander auf, aber immer noch rutschten wir voller Panik die Röhre hinab. Ich hörte das heftige Atmen meiner Freunde, und endlich konnte ich mich von Lazy befreien und japste nach Luft. Weit unter uns erschien ein rötlicher Schimmer. Ich riss die Augen auf, um die Finsternis zu durchdringen. Nur wenige Sekunden später erfüllte ein unheimliches Glühen die Umgebung. Nun sahen wir genau, dass wir in einer Röhre steckten, deren Wände bei jeder Berührung nachgaben. Von vorne wurde das Rot immer stärker und wir erkannten eine kreisrunde Öffnung. Das Ende des Tunnels!
Ich sog die Luft scharf ein und versuchte alles, um abzubremsen. Das Glühen war derart unheimlich, dass es mir die Kehle abschnürte. Gedanken rasten durch meinen Kopf. Wir waren nicht zu Tode gestürzt, doch was, wenn uns nur ein paar Gnadensekunden blieben und dort unten brodelnde Lava auf uns wartete? Doch ich konnte nichts tun. Als wir der Öffnung immer näher kamen und ich deutlich erkennen konnte, dass das rot glühende Licht heftig flackerte, schloss ich die Augen. Mit eisigem Schrecken war ich mir sicher, dass wir bei lebendigem Leibe verbrannt würden.
Als ich durch die Öffnung fiel, schlang ich die Arme um meinen Körper und machte mich so klein wie möglich, obwohl ich wusste, dass das überhaupt nichts nutzen würde. Dann prallte ich schmerzhaft auf irgendeinen Untergrund und überschlug mich zwei Mal, ehe ich liegen blieb. Ich hielt die Luft an, in meinen Ohren brauste es und ich hörte, wie neben mir die anderen herumkullerten. Ich traute mich nicht, mich zu bewegen und Luft zu holen, denn ich glaubte, die Hitze des Feuers würde mir die Lunge versengen.
Aber dann hörte ich etwas, das ich noch niemals so begrüßt hatte wie in diesem Augenblick. Jever und Lazy fingen an zu bellen. Sie kläfften um die Wette und das taten sie bestimmt, weil sie genau so große Angst ausgestanden hatten wie wir. Doch jetzt wusste ich, dass wir nicht verbrennen würden. Ich öffnete die Augen vorsichtig einen Spalt weit und sah einen Schuh vor meiner Nase. Eindeutig der von Sanne! Langsam hob ich den Kopf und sah, wie auch die anderen in den unmöglichsten Positionen auf dem Boden lagen und ebenfalls dabei waren, sich aufzurappeln.
Noch immer flackerte ein rötlichgelbes Licht um uns herum. Ich nahm alle Kraft zusammen und richtete mich auf. Augenblicklich erkannte ich, wo wir waren.
„Die Kammer des Wissens!“, rief Janine erstickt.
Es gab keinen Zweifel. Wir befanden uns in derselben Kammer, die uns ihr Jahrtausende altes Geheimnis erst vor wenigen Monaten preisgegeben hatte. Ich blickte mich um und entdeckte die Fackeln, die an jeder Wand in schweren Halterungen steckten. Sie waren es, die ein solch unheimliches flackerndes Licht geworfen hatten! Jetzt, da ich wusste, wo wir waren und uns keine unmittelbare Gefahr mehr drohte, fiel die Todesangst schlagartig von mir ab. Aber mein Herz raste immer noch wie verrückt.
„Ist euch was passiert? Seid ihr verletzt?“, fragte Tommy besorgt und setzte sich stöhnend auf. „Ich glaub, ich bin auf die Flasche Wasser gefallen.“
„Ich bin okay“, sagte Sanne und rieb sich das Schienbein.
„Ich auch“, kam es von Janine.
Wie sich herausstellte, waren wir bei unserem Sturz mit ein paar leichteren Blessuren davon gekommen. Kaum zu glauben, dass es so gut abgegangen war. Jever und Lazy bellten immer noch. Es war gar nicht so einfach, sie zu beruhigen. Wir alle hatten einen leichten Schock und mussten das erst einmal verdauen. Einer nach dem anderen erhoben wir uns vom Boden und sahen uns um. Die Kammer war noch genauso wie ich sie in Erinnerung hatte. Eine Kammer konnte man sie eigentlich nicht gerade nennen, denn sie maß vielleicht sechs mal sechs Meter. Ihre Wände waren über und über mit Hieroglyphen bedeckt. Ich spähte umher, ob sich eine von ihnen besonders abhob, aber das war nicht der Fall. Die Zeichen waren in den schönsten leuchtenden Farben gemalt. Die Wand selbst trug ein tiefes Ocker, und die Hieroglyphen strahlten in roten, schwarzen, grünen und goldenen Tönen. Es war ein atemberaubender Anblick, und die Fackeln verstärkten die geheimnisvolle Atmosphäre noch um einiges.
„Seht doch, da sind wir raus gekommen!“, rief Sanne und zeigte auf eine Stelle hinter meinem Rücken. Ich drehte mich um und erkannte eine kreisrunde Öffnung etwa einen Meter über dem Boden.
„Sie geht zu!“
Zur Untätigkeit verbannt mussten wir zusehen, wie die mit vielerlei Zeichen und Bildern bemalte Wand begann, das Loch zu verschließen. Es schob sich nicht etwa eine Klappe davor, nein, die Wand verschloss sich einfach wie eine heilende Wunde. Nach wenigen Sekunden deutete nichts mehr auf eine vorher vorhandene Öffnung hin. Ich ließ die Luft raus, die ich voller Spannung bis dahin angehalten hatte.
„Die Schlafsäcke sind noch oben!“
Die anderen sahen mich völlig entgeistert an und brachen in lautes Gelächter aus.
„Mann!“, hustete Tommy, „da fallen wir in ein Loch, denken, jetzt ist es aus, dann werden wir hier eingesperrt, und du denkst ausgerechnet an die blöden Schlafsäcke!“
„Ja, schon“, gab ich zu und wurde rot. „Aber ich bin ja derjenige, der zu Hause erklären muss, wo