Krakatit. Karel Čapek

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Krakatit - Karel Čapek


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Fenster und bemühte sich, nach Möglichkeit gerade zu sitzen. Er fühlte, daß er sich vor lauter Anstrengung ernst und steif ausnahm, was beide in große Verlegenheit brachte. Das Mädchen biß sich in die Lippen und schlug die Augen nieder. Ach, diese liebliche Glätte der Wangen, diese zarten, so erregten Hände! Sie blickte auf, und Prokop hielt den Atem an, so schön erschien sie ihm.

      »Ist Herr Tomesch nicht zu Hause?« fragte das Mädchen.

      »Er ist weggefahren«, antwortete Prokop zögernd, »heute nacht.«

      »Wohin?«

      »Nach Teinitz, zu seinem Vater.«

      »Wann kommt er zurück?«

      Prokop zuckte mit den Achseln.

      Das Mädchen senkte den Kopf; ihre Hände schienen mit etwas zu kämpfen. »Hat er Ihnen gesagt, warum . . .?«

      »Ja.«

      »Glauben Sie, daß – daß er es tut?«

      »Was, Fräulein?«

      »Sich erschießen.«

      Prokop erinnerte sich blitzschnell, daß er Tomesch einen Revolver in den Koffer hatte packen sehen. »Vielleicht mache ich morgen Schluß«, hörte er ihn wieder sagen. Aber Prokop wollte jetzt nicht davon sprechen.

       »Mein Gott, mein Gott«, klagte das Mädchen, »das ist ja furchtbar! Was meinen Sie . . . wenn – ihm jemand nachfahren würde! Ihm alles sagen – Geld geben würde – da hätte er doch keinen Grund mehr, es zu tun. Wenn man ihm heute noch nachfahren würde –«

      Prokop sah, wie sie verzweifelt die Hände rang.

      »Ich fahre zu ihm«, sagte er leise. »Ich habe zufällig – in der Gegend zu tun. Wenn Sie wollen . . . ich –«

      Das Mädchen hob den Kopf. »Wirklich?« rief sie erfreut. »Sie würden –?«

      »Ich bin ein alter Freund von ihm«, erklärte Prokop.

      »Sie sind zu gütig«, setzte sie kaum hörbar hinzu.

      Prokop errötete leicht. »Das ist eine Kleinigkeit«, wehrte er ab. »Zufällig habe ich gerade frei – ich wollte ohnehin . . . hinausfahren, und überhaupt . . .« Er machte eine verlegene Handbewegung. »Es ist doch nicht der Rede wert. Ich mache alles – was Sie wollen.«

      Nun wurde das Mädchen rot und blickte schnell weg. »Ich weiß gar nicht, wie ich . . . Ihnen danken soll«, sagte sie verwirrt. »Es tut mir so leid, daß . . . ich Sie . . . Aber es ist sehr wichtig, und dann – sind Sie ja sein Freund. – Oder glauben Sie, ich sollte selber –« Sie überwand sich und blickte Prokop mit klaren Augen an. »Ich habe ihm etwas zu schicken. Ich – ich möchte nicht darüber sprechen.«

      »Ist auch nicht nötig«, sagte Prokop rasch. »Ich übergebe es ihm einfach. Ich bin so froh, daß ich Ihnen . . . daß ich ihm . . . Regnet es denn?« fragte er plötzlich, indem er auf ihre feuchte Pelzjacke sah.

      »Ja.«

      »Das ist gut«, meinte Prokop; aber er dachte, wie angenehm es wäre, die Stirn auf diesen kühlen Pelz zu legen.

      »Ich habe die Sache nicht bei mir«, sagte sie und erhob sich. »Es ist nur ein ganz kleines Päckchen. Wenn Sie so lange warten könnten . . . Ich bin in zwei Stunden wieder da.«

      Prokop verbeugte sich sehr steif aus Furcht, das Gleichgewicht zu verlieren. In der Tür wandte sie sich noch einmal um und sah ihm voll ins Gesicht. »Auf Wiedersehen«, sagte sie dann und ging.

      Prokop setzte sich und schloß die Augen. Regentropfen auf dem Pelz, ein dichter, mit Tauperlen benetzter Schleier, verhaltene Stimme, unruhige Hände in eng anliegenden kleinen Handschuhen; kühler Duft, der Blick klar und verwirrend unter anmutigen, stark geschwungenen Brauen. Hände im Schoß, weicher Faltenwurf des Rockes über kräftigen Knien, ach, diese kleinen Hände in den engen Handschuhen! Dunkle, bebende Stimme, das Gesicht glatt und blaß. Traurig, verwirrt und doch mutig. Blaugraue Augen, klare, leuchtende Augen! O Gott, wie sie den Schleier an die Lippen drückte!

      Prokop stöhnte und öffnete die Augen. Das ist kein Mädel, sagte er zu sich in blinder Wut. Sie kennt den Weg hierher und war sicher nicht zum ersten Male da. Vielleicht haben sie hier . . . gerade hier . . . in diesem Zimmer – – – Und ich Dummkopf biete mich noch an, ihm nachzufahren! Ich Idiot, ich trage ihm noch einen Liebesbrief nach! Was – was kümmert sie mich überhaupt?

      Da kam ihm ein rettender Gedanke. Ich laufe nach Hause in meine Laboratoriumsbaracke. Soll sie dann wiederkommen! Mag sie tun, was sie will! Sie – sie – kann ihm ja selber nachfahren, wenn . . . ihr so viel dran liegt –

      Er blickte sich im Zimmer um, sah das zerwühlte Bett, schämte sich und brachte es in Ordnung, wie er es von zu Hause gewöhnt war. Es schien ihm noch nicht gut genug; er bettete es um, richtete es aus, strich noch einmal drüber hin und machte dann überall im Zimmer Ordnung, zupfte sogar die Gardinen zurecht. Dann setzte er sich hin, mit einem dumpfen Gefühl im Kopf, die Brust von schmerzhaftem Druck beengt, und wartete.

      Ihm war, als ginge er durch einen riesigen Gemüsegarten. Ringsum gab es nichts als Kohlköpfe, aber es waren gar keine Kohlköpfe, es waren fletschende, triefäugige, unförmige, wäßrige, finnige und aufgedunsene Menschenhäupter. Sie wuchsen auf dünnen Strünken und waren mit widerwärtigen grünen Raupen übersät.

      Sieh, da kommt ein Mädchen übers Feld auf ihn zugelaufen. Sie trägt einen Schleier vor dem Gesicht, hebt ein wenig den Rock und hüpft über die Menschenhäupter hinweg. Da wachsen unter jedem von ihnen nackte, unheimlich dünne und behaarte Hände hervor und greifen nach den Beinen und dem Rock. Das Mädchen schreit, wahnsinnig vor Angst, und hebt den Rock hoch bis über die festen Knie, entblößt die weißen Beine und versucht, über die gierig greifenden Hände hinwegzuspringen. Prokop schließt die Augen; er erträgt den Anblick ihrer weißen, starken Beine nicht und fürchtet, die grünen Häupter könnten das Mädchen schänden. Da wirft er sich zu Boden und schneidet mit dem Taschenmesser den ersten Kopf ab; der brüllt tierisch auf und schnappt mit hohlen Zähnen nach seinen Händen. Nun der zweite, der dritte Kopf; o Gott, wird er das Riesenfeld abgemäht haben, ehe das Mädchen, das drüben auf der andern Seite des unübersehbaren Gartens kämpft, bis zu ihm gelangt? Wütend springt er auf, trampelt auf den abstoßend gespenstigen Häuptern herum, stößt mit den Füßen nach ihnen. Da verstrickt er sich mit den Beinen in dem Gewirr der dünnen Saugpfoten, stürzt nieder, wird ergriffen, erdrosselt, erstickt . . . und alles verschwindet.

      Alles geht unter in einem wirbelnden Chaos. Plötzlich ertönt ganz in der Nähe eine gedämpfte Stimme: »Ich bringe Ihnen das Päckchen!« Da öffnet er die Augen und springt auf; vor ihm steht ein liederliches Frauenzimmer aus der Altstadt, schielend und schwanger, und reicht ihm etwas, in einen feuchten Fetzen gewickelt. Das ist sie ja gar nicht, durchzuckt es Prokop schmerzlich, und gleich darauf sieht er eine magere, traurige Verkäuferin, die ihm mit Holzstäben seine Handschuhe dehnt. Das ist sie nicht, wehrt sich Prokop. Da sieht er ein kleines aufgedunsenes Mädchen auf rachitischen Beinen, das – das sich ihm schamlos anbietet. »Geh fort!« schreit Prokop auf und erwacht.

      Es klingelte so leise, als hätte ein Vogel die Glocke angeschlagen. Prokop stürzte zur Tür und öffnete; auf der Schwelle stand das Mädchen mit dem Schleier, drückte ein Päckchen an die Brust und holte tief Atem. »Sie sind es?!« sagte Prokop sanft und, aus einem unbekannten Grund, tief ergriffen. Das Mädchen trat ein und streifte ihn im Vorbeigehen. Der Duft, der von ihr ausging, quälte und berauschte ihn zugleich.

      Sie blieb mitten im Zimmer stehen. »Seien Sie mir, bitte, nicht böse«, sagte sie merkwürdig hastig, »daß ich Sie mit einem solchen Auftrag belästige. Aber Sie wissen gar nicht, warum – warum ich – – Wenn es Ihnen Schwierigkeiten machen sollte, dann . . .«

      »Ich fahre!« stieß Prokop heiser hervor.

      Das Mädchen sah ihn nun ganz nahe mit ernsten, klaren Augen an. »Denken Sie nicht schlecht von mir. Ich fürchte nur, daß Herr – daß Ihr Freund etwas tut, was einen andern bis in den Tod betrüben würde. Ich habe viel Vertrauen zu Ihnen


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