EINE EVOLUTION, ABER UNTERSCHIEDLICHE GESCHICHTEN?. Albert Helber
Читать онлайн книгу.und schafft eine gewollte gegenseitige Abhängigkeit. Eine abgestufte Form biologischer Zusammenarbeit ist der „Mutualismus“, ist eine Wechselbeziehung zweier Lebewesen, aus welcher beide Nutzen ziehen: Pilze und Wurzeln von Pflanzen bilden eine Mykorriza zu gegenseitigem Nutzen und „win-win-Situationen“ lenken auch das menschliche Zusammenleben. Schließlich finden unabhängig von einander lebende Geschöpfe zur „Kooperation“: Wenn Vögel aus der Haut von Elephanten oder anderen Säugetieren Parasiten entfernen, so sind diese für die Vögel eine wichtige Eiweißnahrung und Elephanten genießen die Entfernung der juckenden Räuber. Kooperation hilft den frühen Menschen und vielleicht noch mehr uns heute lebenden Menschen beim Überleben. Symbiose, Mutualismus und Kooperation sind unterschiedliche Formen von akzeptierter Zusammenarbeit im sozialen Zusammenleben von Tieren und Pflanzen. Akzeptanz, oder gegenseitige Zusammenarbeit in Form von Symbiose, Mutualismus oder Kooperation, sind in der biologischen Evolution eine wichtige Voraussetzung des Überlebens. Sie werden schließlich auch wichtige Funktionen der mentalen Intelligenz des Menschen sein und dessen soziales Zusammenleben gestalten. Aus einer Symbiose von Mann und Frau wird ein neuer Mensch. Aus Mutualismus wird Vertrauen und aus Kooperation wird Erfolg.
Das zelluläre Phänomen der Phagocytose führt zur Symbiose, aber auch zu unterschiedlichen Stufen einer Ablehnung: Im „survival of the fittest“ der biologischen Evolution überlebt eine Zelle, weil sie die eindringende- und potentiell Schaden zuführende Zelle mit einer chemischen Keule vernichtet. „Zelltod“ oder Vernichtung der eindringenden Zelle ist dann der Gegensatz von Symbiose. Auf Vernichtung folgt in der der Ablehnungsreihe der „Parasitismus“ und ist Gegenpol von Mutualismus. Der biologische Akteur des Parasitismus ist ein „Schmarotzer“, der sich von anderen Organismen einen Nutzen verspricht, sie gelegentlich auch tötet, v.a. aber sich „kommensal“ ernährt ohne zu töten. Am Ende dieser Reihe folgt der „Konkurrent“, der in jedem Gegenüber einen potentiellen Mitbewerber um ein gegebenes- oder Allen gehörendes Gut erkennt: Der Stärkste und Kräftigste wird Andere vertreiben, so sich dafür eine Gelegenheit bietet.
Akzeptanz in Form von Symbiose, Mutualismus und Kooperation oder Ablehnung in Form von Vernichtung, Parasitismus und Konkurrenz formen das Zusammenleben der Geschöpfe einer biologischen Evolution. Akzeptanz oder Ablehnung sind von der Biologie erschaffene Gegensätze, welche Entwicklung möglich machen. Sie sind in der biologischen Evolution entstanden und werden auch die mentale Entwicklung des Menschen und menschliches Verhalten bestimmen: Die Symbiose von Vorläuferzellen bringt die ortsständige Welt der Pflanzen hervor und auch die Mobilität von Tieren und Menschen. Eine symbiotische Verschmelzung von Eizellen und Samenzellen steht am Anfang aller Geschöpfe und auch die Symbiose des Kindes mit seiner Mutter steht am Anfang eines jeden menschlichen Individuums. Akzeptanz offenbarende Mutualismen oder Kooperation sind biologisch entstandene Eigenschaften und lenken das menschliche Verhalten. Gleiches gilt für ablehnende Verhaltensformen in Form von Tötung oder Vernichtung, von Parasitismus und Konkurrenz. Aus der biologischen Welt übernehmen wir Menschen nicht nur Triebe und Instinkte.
Wir orientieren unser menschliches Verhalten an Phänomenen, die früh in der biologischen Welt von evolutionärer Intelligenz erfunden wurden. Aus sensorischen Wahrnehmungen entwickeln wir mit unseren Gefühlen Glück, Lust, Hoffnung, Zuversicht, Liebe und Vertrauen oder aber Angst, Unlust, Furcht, Scham, Ekel und Aggressivität. Mit wohltuenden Gefühlen erleben wir soziale Akzeptanz und sind zufrieden. Mit leidigen Gefühlen erleben wir uns abgelehnt und entfremden uns aus der Gesellschaft. Mit gegensinnig wirkenden Polen wird früh schon das Entstehen der Welt erklärt: Aus einer Zusammenarbeit von „Akzeptanz oder Ablehnung“ der Biologen wird im frühhistorischen China ein Zusammenspiel der Pole von Yin und Yang, im indischen Denken von purusha und pakriti und nach 2000 Jahren Verspätung in Europa ein Zusammenspiel von Distinktion und Integration in Darwins Evolutionslehre.
Mit „Akzeptanz oder Ablehnung“ und deren Variationen macht eine evolutionär entstandene biologische Dialektik vor was schließlich der Philosoph Hegel in eine gedankliche Dialektik verwandelt und sich zu deren Erfinder erklärt. Die europäische Philosophie der Aufklärung greift die biologische Dialektik auf und entwickelt Vorstellungen und Ideologien zum Menschen, deren Merkmale nicht „Akzeptanz und Ablehnung“ als menschliche Eigenschaften beinhalten, sondern allein „Ablehnung“ bedeuten. In der Philosophie von Thomas Hobbes (1588 - 1679) sind die Menschen böse, sind Egoisten, ist der Mensch seinem Mitmenschen gegenüber ein Wolf, ein „homo homini lupus“. Die „Ablehnung“, die im o.g. biologischen Bild gegenseitige „Vernichtung“ bedeutet, ist für Hobbes der angebliche Naturzustand des Menschen und kann allein durch einen allmächtigen „Leviathan“ verhindert werden. Für John Locke (1632 - 1704), einerseits ein aufgeklärter Sensualist und andererseits ein vom Alten Testament der christlichen Bibel und vom calvinistischen Protestantismus tief beeinflusster Philosoph, wird die gegenseitige „Konkurrenz“ des Menschen, eine weitere Form von „Ablehnung“, zum Merkmal des Menschen und zur Orientierung der Staatslehre von John Locke. Sie sollte zu einer wichtigen Grundlage der amerikanischen Verfassung werden. In beiden Philosophien dieser europäischen Aufklärer ist der Mensch ein „homo homini lupus“ oder er ist Konkurrent. Beide Philosophien wurden vom christlichen Menschenbild beeinflusst und machten daraus eine rationale Ideologie der Aufklärung. In beiden Philosophien wird der Mensch nicht auch von positiven Phänomenen wie „Symbiose, Mutualismus oder Kooperation“ gelenkt, sondern ausschließlich von negativen Eigenschaften wie „Vernichtung, Parasitismus, Konkurrenz“. „Aus einer Symbiose von Mann und Frau wird ein neuer Mensch, aus Mutualismus wird Vertrauen, aus Kooperation wird Erfolg“ schreibe ich. Aus ablehnenden Phänomenen werden in der biologischen Evolution Zelltod oder Vernichtung, Parasitismus und Konkurrenz. „Vernichtung“ haben wir in Kriegen viel erfahren müssen. Parasitismus wird beim Menschen Misstrauen oder Unbehaglichkeit auslösen. Konkurrenz kann gelegentlich hilfreich sein, doch führt sie in der Regel zur Niederlage eines Konkurrenten.
Wie sehr ein unterschiedliches Menschenbild das wirtschaftliche Handeln beeinflusst zeigen zwei Väter einer klassischen Ökonomie17: Für den Begründer moderner Nationalökonomie Adam Smith (1723 - 1790) ist „eigennütziges“ Handeln Garant für eine gesellschaftliche Ordnung: Die Eigenliebe eines Handwerkers produziert ein Möbelstück und will auch Gewinne machen. Er versorgt aber auch Andere, die daraufhin ihr handwerkliches Produkt erstellen und verkaufen. Ein „mutualistisch“ ausgerichtetes gegenseitiges Handeln oder eine „win-win-Situation“ wird so zur „sozialen Marktwirtschaft“ eines Adam Smith. 5o Jahre vor Adam Smith hat Bernard Mandevilles (1670-1733) die Ichsucht oder den Egoismus des Menschen zum Stimulus für wirtschaftliches Handeln erklärt. Der intelligenteste „Konkurrent“ gewinnt im wirtschaftlichen Handeln. Bestimmen bei Adam Smith Mutualismus oder Kooperation das wirtschaftliche Handeln in einer „sozialen Marktwirtschaft“, so erklärt Mandevilles den Egoismus oder die Konkurrenz zum entscheidenden wirtschaftlichen Stimulus. Er wird von Hobbes Ideologie des „homo homini lupus est“ unterstützt und wird schließlich die Ideologie einer „kapitalistischen Weltwirtschaft“ bestimmen.
5. Strategien sensorischer Intelligenz.
Eine erste Strategie sensorischer Intelligenz ist Entwicklung von Diversität und Komplexität, aber auch Reduktion von Komplexität durch eine Antwort. Der evolutionäre Trend hin zu Differenzierung und Komplexität zeigt sich bereits in der Entwicklung von Instinkten. Instinkte sind genetisch festgelegte- und direkte Reiz-Antwort Reaktionen. Gleichzeitig sind sie hoch komplexe endokrin- oder neuronal bearbeitete Verhaltensmuster, mit denen Tier und Mensch ihre Ernährung sichern, ihr Überleben ermöglichen und ihre Fortpflanzung organisieren. Die Komplexität eines Schlüsselreizes wird von der Intelligenz des Gehirns, - für Instinkte ist dies der Hirnstamm -, mit einem unterschiedlichen-, mit einem topischen oder phobischen Verhalten beantwortet. Im Instinkt werden aus direkten Reiz- Reaktionen hochkomplexe Abfolgen von Assoziationen, welche z.B. zu einem Nestbau, zu Ritualen der Partnersuche oder der Brutpflege führen. Sie folgen einem gelenkten Zusammenspiel , für das wir in unseren Tagen das Wort „Algorithmus“ benutzen. Algorithmen sind Handlungs-anweisungen zur Lösung eines Problems oder einer Klasse von Problemen. Sie bestehen aus vielen wohldefinierten- und festgelegten Einzelschritten und werden