EINE EVOLUTION, ABER UNTERSCHIEDLICHE GESCHICHTEN?. Albert Helber

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EINE EVOLUTION, ABER UNTERSCHIEDLICHE GESCHICHTEN? - Albert Helber


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ist das Verhältnis sensorischer- zu intermediären Neuronen etwa 1:20, im menschlichen Gehirn ist ihr Verhältnis 1: 20 00031. In den intermediären Neuronen werden sinnliche Wahrnehmungen mit Erinnerungen, mit Gefühlen oder Gedanken verglichen und so eine neue Antwort erarbeitet. Neue Gefühle und Gedanken entstehen, die sich wiederum an sinnlichen Wahrnehmungen, am Umfeld oder am Mitmenschen orientieren. Andererseits entwickelt der Mensch auch Phantasien und Illusionen, die keinen Bezug zu sinnlichen Erfahrungen haben, weltabgewandte Abstraktionen sind und zu Ideologien oder Religionen werden. Diese Abstraktionen, Ideologien oder Religionen sind wohl das Produkt intermediärer Neurone, welche einen Bezug zu sensorischen Neuronen eingebüßt haben.

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      Tierische- und menschliche Lernfähigkeit entsteht im Gehirn durch ein „implizites Kurzzeitgedächtnis“ als Voraussetzung des Lernens. Einzelne Neurone oder neuronale Verbindungen können gebahnt werden und unterschiedlich schnell ihren Informationsauftrag erfüllen. Wie Lernen funktioniert entnehme ich Eric Kandels Buch „Suche nach dem Gedächtnis“28. Für die bahnbrechenden Untersuchungen seiner Arbeitsgruppe erhielt Eric Kandel im Jahre 2000 den Nobelpreis für Physiologie. Kandel unterscheidet ein in der biologischen Evolution früh entstandenes-, primäres- oder „implizites Gedächtnis“ oder Kurzzeitgedächtnis, von einem evolutionär jüngeren-, sekundären- oder „explizitem Langzeitgedächtnis“. Erinnern, eine Funktion des „impliziten Kurzzeitgedächtnisses“ ist für Kandel eine Voraussetzung des Lernens. V.a. aber ist dieses implizite Kurzzeitgedächtnis eine strukturelle Eigenschaft aller neuronalen Verbindungen oder Netzwerke. Wo immer Synapsen Neurone verbinden kann deren Funktion gestärkt oder geschwächt-, stimuliert oder inhibiert werden. Eine in allen Neuronen gleiche Übertragung würde kein Gedächtnis schaffen und auch kein Lernen ermöglichen. Erst die Bereitstellung von aktivierenden Substanzen an der Synapse, von modulierenden Transmittern oder elektrischen Reizen und unterschiedliches Verhalten von Rezeptoren schafft neuronale Netze, die selektiv begehbar werden und eventuelle Reize entweder schnell oder langsam verarbeiten. Schnelle Netze führen zur Bahnung von Aktivitäten, zu Assoziationen und Automatismen, zu funktionalen Algorithmen. Sie entstehen bei Wiederholungen und beim Üben. Wer lernt und übt, wird jene neuronalen Bahnen aktivieren, deren schnelles Zusammenwirken Assoziationen und Automatismen schafft, die schließlich den Lernerfolg bestimmen. Mit biophysikalisch wirksamen Strukturen werden in unserem Zentralnervensystem Zusammenhänge erarbeitet, die etwas Neues an Stelle des bisher Gegebenen erschaffen. Das Neue ist etwas Erlerntes und ist durch ein „implizites Gedächtnis“, durch unterschiedliche Aktivitäten in unseren neuronalen Netzen durch assoziierendes Bahnen entstanden.

      Die Bahnung neuronaler Netze lenkt das motorische Lernen des Menschen. Wer Bewegungen übt, induziert in den für diese Bewegung zuständigen neuronalen Netzen anatomische Veränderungen. Synapsen werden prominenter und neue Netze entstehen. Es sind mikroskopisch nachweisbare, erworbene Eigenschaften, die aber genetisch nicht übertragbar sind. Die von Kandel beschriebenen neuronalen und das Lernen ermöglichenden Strukturen wurden auf dem langen Weg der Evolution erschaffen. Im Genom wurde festgelegt, welche Funktionen der Anpassung an das Umfeld genügen. Im Genom wird entschieden, wie wir zu aufrechten Menschen werden. Wozu die Evolution 6-12 Millionen Jahre benötigte, schaffen wir durch Übung und Lernen in etwa einem Jahr, weil wir die von der Evolution entwickelte Lernfähigkeit benutzen können. Zum Zeitpunkt unserer Geburt sind die Voraussetzungen für eine Anpassung ans Umfeld noch nicht gegeben. Wir müssen erst noch lernen auf zwei Beinen zu gehen. Die von der Evolution geschaffene „motorische Intelligenz“ des Lernens hilft uns, durch regelmäßiges Versuchen und Üben jenen Automatismus zu erwerben, der uns schließlich aufrechte Stabilität verleiht: Jede Muskelaktion arbeitet nach dem Prinzip der „reziproken Hemmung“. Jede Muskelaktion der Strecker erfordert eine zeitlich präzise Inaktivierung der entspannenden Partner. Verantwortlich für dieses muskuläre Zusammenspiel ist eine durch die o.g. Bahnung entstandene motorische Intelligenz, die in Basalganglien des Stammhirns und mit der „Zeitmaschine“ Kleinhirn jene Strukturen schuf, die das Erlernen eines aufrechten Ganges in unserem ersten Lebensjahr möglich machte.

      Was ich am Beispiel des aufrechten Ganges im ersten Lebensjahr zu beschreiben versuche, ist ein Entwicklungsphänomen, an welchem sich die Plastizität des menschlichen Gehirns demonstrieren lässt. Korrekte Bewegungen entstehen nur durch Übung und Lernen und unser Gehirn macht Lernen möglich. Physiologie und Medizin kennen in der Zwischenzeit zahlreiche Beispiele für eine funktionelle Plastizität des Gehirns, indem sich dessen Neurone nach „funktionalen- und aktivitätsabhängigen“ Kriterien vernetzen: Bei Klaviervirtuosen wird die Repräsentation der Finger durch regelmäßigen Gebrauch im motorischen Cortex unseres Gehirns umfangreicher. Der Zuwachs ist Resultat des Lernens durch Wiederholung und macht das Erlernte durch Bahnung der dafür zuständigen Neurone zur Routine. Die Evolution hat uns die Möglichkeit des Lernens geschenkt. Was aber erlernt werden soll muss angestrebt und geübt werden. Nach Schlaganfällen mit Zerstörung unterschiedlicher Hirnareale können Behinderungen der Beweglichkeit oder Sprachausfälle auftreten. Das „selbstreferentielle System Gehirn“32 arbeitet „autopoietisch“, selbstorganisierend und offenbart Plastizität. Solange unbeschädigte Neurone noch in Kontakt zu sensorischen Einflüssen stehen, durch die üblicherweise Bewegungen oder Sprache ausgelöst werden, können diese die ausgefallenen Funktionen der Bewegung oder der Sprache zum Teil übernehmen. Die Übungsintensität entscheidet über den Erfolg einer Rehabilitation.

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      Lernen ist in der Evolution und auch in der Individualentwicklung eine Entwicklung formende Funktion. Das Lernen ist nach der Fähigkeit der Unterscheidung durch sensorische Intelligenz eine zweite genetisch festgelegte Fähigkeit des Menschen und ist eine lebenslang die menschliche Entwicklung formende Funktion. Ohne Lernen könnten wir uns nicht entwickeln oder überleben. Lernen beginnt als unbewusstes Lernen des Körpers, wird über lange Perioden der menschlichen Entwicklung im unbewussten Umgang mit Objekten als spielerisches- oder imitierendes Lernen wirksam bleiben und spät erst beim Menschen zu einem bewussten-, von Aufmerksamkeit gelenkten- und von Gefühlen und Gedanken intendiertem Lernen werden. Lernen ist eine Fähigkeit, die wir Menschen von unseren tierischen Vorfahren übernommen- und weiterentwickelt haben. Eine evolutionäre Intelligenz hat Lernen möglich gemacht und Bedingungen geschaffen, die Lernfähigkeit schufen: Nicht ein menschliches Bewusstsein hat das Lernen erfunden. Eine evolutionäre Intelligenz hat Lernen möglich gemacht und biologisch entwickelte Lernfähigkeit hat eine mentale Intelligenz und auch ein Bewusstsein geschaffen. Menschliches Bewusstsein hat aus einem unbewussten- und assoziativen Lernen allenfalls ein intendiertes Lernen entstehen lassen, das über weite Strecken ebenfalls assoziativ seinen Erfolg sucht.

      Erste Bedingung des Lernens ist immer ein Objekt, durch welches Lernen angestoßen wird. Wer lernt braucht einen Anlass oder einen Partner, der Lernen auslöst: Was erlernt werden muss ist in der biologischen Welt und auch beim Menschen immer ein Zusammenspiel von „Irritation und Reaktion“. Dieses kosmische Gesetz lenkt jegliches Handeln, Fühlen und Denken, mit denen umzugehen gelernt werden muss. Nach diesem Gesetz führen sensorische Wahrnehmungen zu Reaktionen. Diese Reaktionen oder Aktionen sind über weite Perioden in der biologischen Welt assoziativ erlernt- und dann genetisch angelegt worden. Das erste Objekt eines biologischen Individuums ist sein Körper, der lernen muss, sich zu entwickeln, sich gesund zu erhalten, der aber auch weh tun kann oder Lust entwickelt und nach Antworten sucht. Lernen beginnt als „Lernen des Körpers“. Seit Beginn der biologischen Evolution muss jedes biologische Geschöpf lernen, ein metabolisches- oder biochemisches Gleichgewicht, eine Homöostase zu entwickeln, wenn es überleben will. Ein starker und gesunder Körper entsteht, wenn chemische- oder elektrophysiologische Rückmeldungen jeder Zelle oder jedem Organismus annoncieren, was ihm schadet und was ihm nützt. Was einmal nützlich war wird fortbestehen, wird wiederholt und wird durch das o.g. „implizite Gedächtnis“ „erlernt“.

      In der Biologie ist Metabolismus die früheste Funktion, welche erlernt werden muss. Jedes biologische Geschöpf braucht Energie und Pflanzen mussten lernen, die Sonnenenergie zu nützen. Metabolisches Lernen ist eine nie endende Abfolge von Versuch und Irrtum: Ein interagierendes Funktionssystem aus chemischen- und elektrophysiologischen Reizen wird von Rezeptoren aufgefangen und entwickelt in Zellen, in Organen oder


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