EINE EVOLUTION, ABER UNTERSCHIEDLICHE GESCHICHTEN?. Albert Helber

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EINE EVOLUTION, ABER UNTERSCHIEDLICHE GESCHICHTEN? - Albert Helber


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Primaten ausgehend, über den auf zwei Beinen gehenden aufrechten Australopithecus und den hominiden Greifern Homo habilis oder Homo erectus schließlich zum Homo sapiens führend. Auch beobachten die Archäologen immer wieder Skelettreste, die sich der angesprochenen Entwicklungsreihe entziehen, zu Seitenlinien führen und aus der historischen Forschung unzugänglichen Gründen verschwinden. Dass auf der Erde lebende Tierarten oder Hominiden untergehen und für immer verschwinden können ist ein Ergebnis archäologischer Forschung.

      Bestätigt wird der archäologisch entwickelte Stammbaum zum Homo sapiens schließlich durch eine in den letzten Jahrzehnten möglich gewordene Altersbestimmung entdeckter Skelettreste. Das Alter der Schädel- und Skelettreste wird mit deren formalen Veränderungen verglichen und so ein Stammbaum erstellt. Aus archäologischen Befunderhebungen und deren zeitlicher Einordnung entsteht so der Stammbaum des modernen Menschen, oder jener Stammbaum, wie er den heutigen Vorstellungen der Wissenschaft entspricht. Was dieser Stammbaum nicht liefern kann sind historisch gesicherte Hinweise auf ein unterschiedliches Verhalten der Zwischenglieder des menschlichen Stammbaums und dessen Lenkung durch mentale Fähigkeiten. Die Archäologie kann aus der Zunahme des Schädelumfanges oder aus der Ausweitung des Schädelinnenraumes ein kontinuierlich größer werdendes Gehirn vom nichtmenschlichen Primaten zum Homo sapiens erkennen oder kann diese Zunahme der Hirngröße durch vergleichende Untersuchungen an Tier und Mensch bestätigen. Sie kann aber nicht auf mentale Fähigkeiten oder mentale Entwicklungsschritte der Zwischenglieder des menschlichen Stammbaums verweisen.

      Archäologische Spurensuche des Menschen ist eine wichtige Spezialität der Anthropologie, doch ist moderne Anthropologie eine interdisziplinär-, v.a. eine multidisziplinäre Wissenschaft. Jede wissenschaftliche Disziplin liefert ihren Beitrag und erst in der Zusammenschau entsteht ein reales Bild der Menschwerdung: Die Archäologie liefert mit ihren Befunden einen frühen Beweis für die Evolution des Menschen und mit ihren Befunden an unterschiedlichen Orten unserer Erde Beweise für frühe Wanderungen des Menschen. Die Verhaltensforschung an Tieren6 und an nichtmenschlichen Primaten 7,8,9,10,11,12 offenbart jenes biologische Fundament an mentalen Fähigkeiten, auf denen der Sonderweg zum Homo sapiens beginnt und sich fortsetzt. Während die Verhaltensforschung an Tieren einen Ausgangspunkt der mentalen Evolution zum Menschen analysiert, liefern Verhaltensanalysen des Menschen deren Endpunkt. Die Entwicklungspsychologie von Individuen beobachtet, wie sich evolutionäre Entwicklungsschritte in der individualpsychologischen Entwicklung in rascher Folge wiederholen. Schließlich beschreibt die Ethnologie das Leben indigener-, von der Moderne noch wenig veränderter Gruppen. Heutige indigene Gruppen sind zwar Sapiens-Menschen, doch sind ihre Gemeinsamkeiten ein wichtiger Hinweis auf genetisch erworbene-, von Kultur noch unbeeinflusste Verhaltensweisen. Auch die Genetik liefert mit der Entwicklung der biologischen Uhr im mitochondrialen Genom für die Evolution wichtige Befunde13 . Für im Genom feststellbare Veränderungen wird eine zeitliche Zuordnung möglich. Am Leipziger Forschungsinstitut für Anthropologie ist aus Knochenmaterial erstmals ein Neandertal-Genom analysiert worden 14. Der Autor dieses wichtigen Unternehmens Päabo aber schränkt ein: „Genetische Analysen an noch älteren Skelettresten werden immer schwieriger“ und genetische Aussagen für menschliches Verhalten sind unsicher: „Wir wissen so gut wie nichts darüber, wie ein Genom in die Besonderheiten eines werdenden Individuums umgesetzt wird“. Schließlich liefert die Neurophysiologie über vergleichende Analysen des Gehirns an unterschiedlichen Primaten oder an Untersuchungen an Neugeborenen bis ins Alter wichtige Entdeckungen zur Entwicklung, zumal die Embryonalentwicklung des Menschen diesen mit seiner biologischen Evolution verbindet15. Der Mensch ist ein Produkt der Evolution. Für diese Erkenntnis erhielten am 10. Dezember 1973 die Ethologen Konrad Lorenz, Karl von Frisch und Nikolaas Tinbergen den Nobelpreis für Physiologie und Medizin. Für ihre Studien an Vögeln, an Bienen und an Fischen wurden Verhaltensforscher von Tieren geehrt, deren Ergebnisse weitreichende Parallelen zu menschlichem Verhalten offenbarten. Es wurden Verhaltensforscher gewürdigt, die eine neue Wissenschaft der „Ethologie“ begründeten 6. Ihr Ziel ist die biologische Grundausstattung menschlicher Psychologie zu betonen: Für Ethologen ist der Mensch in seinem Verhalten genetisch gelenkt, doch ermöglichen ihm auch biologisch entstandene Strukturen zu lernen und zu variieren. Für Ethologen ist die Darwinsche Theorie der Evolution die Basis, mit welcher allein das menschliche Verhalten erklärt werden kann. Der Mensch ist ein der biologischen Evolution entsprungenes-, ein über Jahrmillionen werdendes Wesen, ist genetisch gelenkt und, von Genetik ausgestattet, fähig zu lernen und zu entscheiden.

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      Biologische Fähigkeiten der Energie-, der Stoffwechsel-oder der Fortpflanzungskontrolle hat der Mensch alle von seinen biologischen Vorfahren der Säuger übernommen. Auch seine mentalen Fähigkeiten sind Produkte der biologischen Evolution. Was den Menschen zum Homo sapiens macht sind schließlich mentale Fähigkeiten, die er von Primaten übernimmt und in der Evolution vom nichtmenschlichen Primaten zum Homo sapiens weiterentwickelt. Viele Schritte mentaler Fähigkeiten - vom Reagieren zum Handeln, vom Kurz- zum Langzeitgedächtnis, von der Neugier zur Aufmerksamkeit, von Emotion zum Gefühl, vom Gefühl zum Verstand, von Gedanken zu Ideen, von der Zugehörigkeit zur Gruppe zum individuellen Selbst, von emotionaler- zu kognitiver Intelligenz und schließlich vom Nichtbewusstsein zum Bewusstsein - haben diese mentale Evolution geformt. Sie übernimmt Funktionen von evolutionären Ahnen, verändert sie und entwickelt Neues. Viele aufeinander aufbauende Stufen der Entwicklung menschlicher Mentalität münden schließlich in ein Verhalten, das den Sapiens-Menschen lenkt, unsere individuelle Entwicklung und schließlich menschliche Geschichte formt. Diese Entwicklung nach zu zeichnen ist eine Herausforderung, zumal die Evolution zum Menschen, v.a. seine mentale Evolution, jene Basis liefert, die heute unser Verhalten lenkt.

      Eine Zusammenfassung der Ergebnisse von Verhaltensforschern an Tieren oder nichtmenschlichen Primaten, von gemeinsamen ethnologischen Befunden an über die Erde verteilten indigenen Gruppen, von Befunden aus Neurophysiologie, aus Genetik und aus Archäologie liefert eine Menge an Daten, die eine Analyse der mentalen Evolution des Menschen ermöglichen. Die Ethologie der letzten 50 Jahre beweist eine schrittweise Entwicklung menschlicher Mentalität ausgehend von Trieben und Instinkten, über zusätzliches Lernen von Emotionen bis zu einer emotionalen- und schließlich einer kognitiven Intelligenz. Diese mentale Evolution spiegelt sich wiederum in der Individualentwicklung des Menschen 16, wozu uns die Entwicklungspsychologie interessante Einblicke vermittelt. Alle mit dem Menschen sich beschäftigenden Wissenschaften beweisen, wie sehr wir Menschen Geschöpfe der biologischen Evolution sind.

      Jedes Buch über menschliches Verhalten muss die mentale Evolution als Ausgangspunkt des Menschen aufgreifen. Nur unsere evolutionäre Herkunft kann den Menschen und sein Verhalten erklären. In einer Entstehungsgeschichte menschlicher Psychologie muss erkennbar werden, wie v.a. menschliche Gefühle den Bezug zur Welt bestimmen und wie von ihnen ausgehende Gedanken oder Ideen nur dann ihre Wichtigkeit behalten, so sie durch unsere Gefühle, unsere soziale Zugehörigkeit und unsere Abhängigkeit von Natur und Umfeld ihre Berechtigung erfahren. Jede neue mentale- oder psychologische Erwerbung benutzt im evolutionären Ablauf die Vorausgehende als Orientierung, setzt diese fort, ergänzt sie oder optimiert sie. Durch genetische Mutationen erzeugte Veränderungen können sich nur dann durchsetzen, wenn sie das Vorhandene nicht verdrängen, sondern dieses allenfalls ergänzen und das Neue anpassbar oder flexibel gestalten. Ein menschliches Verhalten, das sich nur an Verstand und Wissen orientiert und die zuvor schon entstandenen- und gestaltenden Gefühle vernachlässigt, wie dies im christlichen Abendland geschah, konnte nicht gut gehen und musste korrigiert werden. Hoffen wir nur, dass die Korrektur nicht zu spät kommt.

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      Evolutionäre Intelligenz, ein dialektisches Zusammenspiel zweier sich laufend verändernder Pole aus Umwelt und biologischem Akteur, entwickelt biologische Diversität und schafft einzigartige Geschöpfe und hoch spezialisierte Arten: Sie lösen Staunen und Bewunderung aus und lassen in uns Menschen auch Demut aufkommen, denn jedes biologische Geschöpf, jede Pflanze und jedes Tier hat eine besondere-, eine eigene Entwicklungsgeschichte, die ein weltweites Überleben oder ein Dasein in der Nische möglich macht. Evolutionäre Intelligenz schafft für jedes biologische Geschöpf jene optimale Funktion, die sein Überleben und seine Fortpflanzung sichert. Jede Art ist einzigartig und jedes Glied ist wichtig im Zusammenspiel des Lebens auf der Erde.


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